Nach über 20 Jahren als Solo-Kontrabassist von Opern- und Sinfonieorchestern
mit Konzertreisen rund um die Welt wurde Silvio Dalla Torre Anfang 2002
zum Professor für Kontrabass und Kammermusik an die Hochschule für
Musik und Theater Rostock berufen, wo er seitdem intensive Forschungen
zum Thema „historische und moderne Spieltechniken“ betreibt.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sind nach nunmehr vier Jahren beeindruckend
weit fortgeschritten und Begriffe wie „Bassetto“, „Neue
Niederländische Schule“ oder „Schwerer Bogen“ sind
mittlerweile nicht nur den Avantgardisten unter den Kontrabass-Spielern
geläufig. Höchste Zeit, den Lesern der Jazzzeitung diese Neuerungen
vorzustellen.
Jazzzeitung: Herr Dalla Torre, Ihre Forschungen führten
zur Wiederentdeckung des so genannten Bassettos, welches man grob als
Zwischenstufe von Kontrabass zu Cello beschreiben kann und das beispielsweise
in der Barockmusik ein verbreitetes Instrument war. Spielen Sie das Bassetto
auch auf Ihren Konzerten?
Silvio Dalla Torre: Ja, ich spiele grundsätzlich
nur noch Konzerte mit zwei Instrumenten. Erster Teil Kontrabass und Klavier,
zweiter Teil Bearbeitungen für Bassetto und Klavier. Nach längerer
Suche nach einem guten Instrument bin ich letztendlich in den USA fündig
geworden. Carleen Hutchins, die in den 1960ern mit ihrem Violin-Octet
eine Neuordnung der Streichinstrumente vornahm, verwies mich auf einen
ihrer Schüler, Joris Wouters, der für mich ein Bassetto baute.
Das Instrument begeistert mich seitdem total. Es verfügt über
eine tiefe, männliche und intensive Klangfarbe.
Ich kann darauf höhere Töne in besserer Qualität spielen
und verliere trotzdem nicht die Tiefe eines herkömmlichen Kontrabasses.
Jazzzeitung: Wo sehen Sie die Einsatzmöglichkeiten
des Bassettos – oder wird es ein musikhistorisches Fossil bleiben?
Dalla Torre: Ich sehe ein durchaus großes Einsatzspektrum,
gerade im Jazz und in der so genannten U-Musik.
Dann natürlich im Bereich der Kammermusik. Die Forschung bringt ja
gerade zutage, dass man heute nicht mehr genau bestimmen kann, welche
Bassinstrumente eigentlich besetzt waren in der Alten Musik. Das Bassetto
bietet die Möglichkeit, in der tiefen (16-Fuß) und der normalen
Oktave (8-Fuß) zu spielen, also in beiden Registern. Im symphonischen
Bereich sind die Möglichkeiten eher begrenzt, ganz einfach weil es
keine dafür geschriebenen Werke gibt. Im Solobereich hingegen ist
das Bassetto ein vollwertiges Instrument und das Publikum ist jedes Mal
sehr überrascht über seine Klangfarben.
Jazzzeitung: Wo liegt der Zusammenhang zur Neuen Niederländischen
Schule, die Sie zusammen mit Hans Roelofsen vor wenigen Jahren gegründet
haben? Gibt es Probleme beim Switchen zwischen traditioneller und neuer
Technik?
Dalla Torre: Bei der Neuen Niederländischen Schule
muss man unterscheiden zwischen den verschiedenen Teilaspekten Vier-Finger-Technik,
schwerer Bogen und sitzende Spielweise. Die Vier-Finger-Technik ist Voraussetzung
für das Beherrschen des Bassettos. Da diese an die Cellotechnik angelehnt
ist, ist es für Cellisten einfacher als für Bassisten, das Bassetto
zu spielen. Beim Switchen gibt es keine Probleme, da die traditionelle
Technik mit drei Fingern als enge Lage in der Vier-Finger-Technik enthalten
ist.
Jazzzeitung: Wer spielt die Vier-Finger-Technik?
Dalla Torre: Immer mehr Leute aus dem Jazzbereich, zum
Beispiel der kürzlich viel zu früh verstorbene Niels-Henning
Ørsted Pedersen neben einigen Solisten aus der Klassik.Vor allem
in Nordamerika steht man meinen Forschungen sehr offen gegenüber,
was meine Einladungen nach Kanada und in die USA belegen. Es gibt auch
immer mehr Kurse und Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema beschäftigen.In
Internet-Foren wird übrigens reichlich darüber diskutiert.
Jazzzeitung: Räumen Sie auch dem Spiel mit dem
schweren Bogen ähnlich gute Prognosen ein?
Dalla Torre: Bassisten selber sagen meist, dass es damit
nicht mehr nach Bass, sondern zu sehr nach Cello klingt.
Das ist aus ihrer Sicht auch verständlich, denn sie haben ein anderes
Klangideal. Der Klang mit leichtem Bogen ist etwas näselnder, dünner
und nicht so tragfähig. Aber gerade im Orchester, wo man sich beim
Kontrabassspiel oft mehr Kern und Prägnanz im Ton wünscht, kann
der schwere Bogen hilfreich sein.
Jazzzeitung: Scheuen sich die Traditionalisten vor Ihren
Erkenntnissen?
Dalla Torre: Ja, da gibt es Berührungsängste.
Aber ich bin der Ansicht, dass gerade für Bassisten heutzutage Vielseitigkeit
sehr wichtig ist, und letztendlich kann die Spieltechnik von Grenzüberschreitungen
ja nur profitieren. Meine Erkenntnisse sollen ein Beitrag sein, der die
Spieltechnik bereichert und damit auch die Musik selbst. Fakt ist natürlich
auch, dass die Qualität einer Darbietung oder Interpretation nur
sekundär von der Technik abhängt. Denn wenn ein Musiker einen
starken Ausdruckswillen hat, dann wird er auch mit einer minderwertigen
Technik gut spielen. Ich sag’ dann natürlich gern augenzwinkernd:
Mit einer besseren Technik könnte man noch besser spielen.
Jazzzeitung: Ein Beitrag also, keine absolute Lehre?
Dalla Torre: Richtig. Ich hab doch die Weisheit auch
nicht mit dem Löffel gefressen. Was ich mir wünschen würde,
wäre eine breitere, offenere Diskussion, wo man einfach feststellt:
Was sind die Anforderungen, welche Antworten gibt es, was kann die Neue
Niederländische Schule dazu beitragen? Es gibt einfach ein paar neue
Möglichkeiten, über die es sich zu diskutieren lohnt.
Das Interview führte Thomas Neubauer
CD-Tipp
„Song, Chansons, Elegies“
Mendelssohn, Bach, Bridge, Elgar, Rachmaninoff, Glasunow, Massenet,
Fauré, Schumann
Silvio Dalla Torre – Bassetto
Matthias Petersen – Piano
Hänssler-Classic, Best. Nr. 98212
www.silviodallatorre.de
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