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Am fehlenden Publikum lag’s nicht, dass es zur spontan einberufenen Jam-Session dann doch nicht kam; es mangelte schlicht an Musikern, willens, sich in der einstündigen Pause zwischen zwei samstagabendlichen Festivalkonzerten ein paar Standards um die Ohren zu hauen. Eine schöne Sache hätte das werden können: Hochschuljazzer und die Heroen vom German Jazz Meeting auf einer Bühne, aber vielleicht ahnten die schon, dass sich eine solch traditionsbehaftete Spielart inmitten dieser ausdrücklich nach vorne blickenden Veranstaltung ein wenig merkwürdig ausgenommen hätte.
Nein, nicht jenes leicht nostalgisch auf Kontinuität setzende „Keep swinging“ gab den Ton an in Bremen, „jazzahead!“ war vielmehr Titel und Motto eines Wochenendes, das wahrlich ein in die Zukunft gerichtetes Ausrufezeichen setzte. Mit „Jazzmesse“ wäre es freilich auch nur unzureichend umschrieben gewesen, obwohl die Ausstellung selbst sich durchaus schon sehen lassen konnte. Labels und Veranstalter, Instrumentenhersteller und Agenturen, Jazzorganisationen, Musikhochschulen und Verlage: Insgesamt 80 Aussteller, einige freilich an Gemeinschaftsständen, vermittelten einen durchaus repräsentativen Eindruck von dem, was man mit ein wenig Selbstbewusstsein den Wirtschaftsfaktor Jazz bezeichnen könnte. Für den Bremer Messechef Hans Peter Schneider, als bekennender Jazzfan Initiator und Antreiber dieser ersten jazzahead, steht fest, dass es sich in einer so klar umrissenen Szene schnell herumsprechen wird, welchen Achtungserfolg man beim Start erzielt habe: „In drei Jahren wird die Bude so voll sein, dass man sich am Samstag ärgern wird, nicht schon am Freitag gekommen zu sein.“ Das ist in etwa der Zeitraum, in dem Schneider die jazzahead in den Bereich führen will, wo es für die Messegesellschaft auch wirtschaftlich interessant zu werden beginnt. Im Moment investiert man, und das erfreulicherweise in Inhalte. Denn der Bremer Clou bestand darin, es nicht beim Jazz als Wirtschaftsfaktor zu belassen, sondern diesen Aspekt einerseits um eine überraschende Facette zu bereichern und andererseits den künstlerischen Bereich und das Thema Ausbildung konsequent mitzudenken. So machten sich zum einen in einem separat abgehaltenen Management-Seminar Businessmenschen darüber Gedanken, wie Strukturmerkmale des Jazz gewinnbringend in die Führung eines Unternehmens miteinbezogen werden könnten. Und so sorgten zum anderen die weiteren „Module“, Symposium, Festival und German Jazz Meeting, dafür, den vorgegebenen Rahmen mit Substanz zu füllen. Gerade das ohne alle Abstriche geglückte German Jazz Meeting (GJM) warf die Frage nach dem „Warum erst jetzt?“ auf. Wolfram Knauer, als Mitglied im Musikbeirat des Mitfinanziers Goethe-Institut an der Auswahl der Musiker beteiligt, brachte es auf den Punkt: „Davon träumen wir seit Jahren, weil es sich in anderen Ländern als sinnvoll erwiesen hat, und mit jazzahead waren plötzlich die Strukturen dafür da. Ohne das German Jazz Meeting wäre jazzahead nicht so gelaufen, ohne jazzahead hätte das German Jazz Meeting nicht stattgefunden.“ In der Tat erwies sich das GJM als der entscheidende Identität stiftende und integrierende Bestandteil der jazzahead. Hier trafen alle Interessen gebündelt zusammen: die der Musiker, die schon lange auf ein Forum warten, sich für internationale Auftritte empfehlen zu können; die ihrer Agenten und Produzenten; die der gut 60 geladenen Veranstalter aus 27 Ländern und die des Publikums, das schnell erkannte, dass dies eine höchst attraktive Konzertform sein kann. Vorausgesetzt, die Künstler nehmen die Vorgabe eines nur 20-minütigen Auftritts als Chance und nicht als Einschränkung an. Und hier schlug nun die Stunde großartiger Musiker und Bands, die
sich dieser Herausforderung allesamt mit Bravour stellten: intensive Triobesetzungen,
von den Pianisten Michael Wollny, Florian Ross oder dem Vibraphonisten
Christopher Dell angeführt, die in freie Zonen vordringenden Formationen
Daniel Erdmanns („Erdmann 3000“) oder Frank Möbus’
(„Der Rote Bereich“), gediegene Vokal-Acts mit Lisa Bassenge
und Roger Cicero (mit dem Julia Hülsmann Trio) sowie DJ- und Dancefloor-Elemente
garantiert ohne Chillout-Verharmlosungen aufnehmende Bands wie Lychee
Lassi und Turbo Pascale. Alle konnten sie auf ihre jeweils ganz eigene
Weise einen kurzen, aber intensiven Bogen spannen, der ihr Potenzial klar
erkennbar machte. Das waren zweimal vier Stunden, die unterhaltsamer,
informativer kaum hätten ausfallen können
Das abendliche Festival machte ebenfalls einen recht weiten Bogen um den Mainstream herum: Colin Towns‘ intelligente Zappa-Arrangements wurden von der NDR Big Band souverän zu Klang verwandelt; Bobo Stenson zog sich in die Intimität seines Trios zurück, um dann doch Platz zu machen für die ganz eigene Stimme Christof Lauers, beides vom überragenden Anders Jormin am Bass auf sonor ausschwingenden Händen getragen. Bugge Wesseltoft vergrub sein Tastenspiel in düstere Elektronik-Frickeleien, die sich erst allmählich, auch dank Håkon Kornstadts Saxophonspiel, zu tragfähigeren Gebilden auftürmten. Umjubelt wurde vor allem das exzentrische Charisma der Maria João, die ihre Stimme, mancher Manierismen zum Trotz, in ungeahnte Ausdrucksbereiche führte, vor allem dort, wo sie mit Mário Laginha in ein ganz von der Außenwelt abgekapseltes Zwiegespräch eintrat.
Von John Scofields Ray-Charles-Hommage und Randy Breckers Mitwirkung am Engstfeld/Weiss-Quartett abgesehen, war das ein klar auf den europäischen Jazz fokussierendes Programm, das Uli Beckerhoff, künstlerischer Leiter der jazzahead da zusammengestellt hatte (von Stuart Nicholsons mehr theorie-, denn erkenntnisgesättigtem Vortrag quasi wissenschaftlich begleitet). Und genau dorthin, nach Europa, will sich die Bremer Messegesellschaft auch entwickeln. Projektleiterin Sybille Kornitschky hat schon die Planungen für das European Jazz Project im Blick, das sich mit dem GJM im Zweijahresturnus abwechseln wird: „Für den Antrag an die Europäische Kommission haben wir schnell fünf Partnerländer gefunden: Finnland, Schweden, Norwegen, Ungarn und Italien. Es können aber natürlich weitere hinzukommen, die Musiker nach Bremen schicken und die im Gegenzug deutsche Bands einladen werden.“ Im Wechsel mit dem GJM sei dies eben jenes gegenseitige Geben und Nehmen, das einen echten Austausch ausmache. Auch den Nachwuchsbereich soll das Europäische Projekt im kommenden Jahr einschließen, einen Vorgeschmack darauf lieferte das beachtliche Konzert einer von Dozenten vor Ort gecoachten Formation aus Belgiern, Schweden, Italienern, Ungarn und Deutschen. Entscheidend für den Erfolg der jazzahead 2007 wird sein, inwieweit die Gastspiele an die Attraktivität des GJM werden anknüpfen können. Und ob es gelingt, die Musikhochschulen und deren Klientel besser anzusprechen und zu integrieren. Bei der Premiere hatten sich nur diejenigen Institute zu einem Stand durchringen können, die auch die Möglichkeit hatten, sich in den Vormittagskonzerten der Dozenten und Studierenden zu präsentieren. Weder dieser Termin noch die von der Ausstellung im Kongresszentrum doch einigermaßen isolierte zweite Halle waren dazu angetan, bei den Hochschulvertretern Euphorie auszulösen. „Unsere Hoffnung, junge Interessenten für ein Studium in Köln zu gewinnen und unsere Musiker durch die Konzerte bekannter zu machen, haben sich leider nicht erfüllt“, so die Pressesprecherin der Kölner Musikhochschule Heike Sauer, die vorschlug, einen kompakten Hochschultag einzurichten. Eine ähnliche Anregung, für einen solchen Termin gezielt an Jugendmusikschulen und in den Landesjugendjazzorchestern zu werben, kam auch vom Leiter der Hamburger Jazzabteilung Wolf Kerschek. Die keineswegs beratungsresistent wirkenden Macher zogen schon am zweiten Tag Konsequenzen aus der unbefriedigenden räumlichen Trennung und verlegten kurzerhand sämtliche Diskussionsrunden in die bis dahin recht verwaiste Halle, wo auch die vom Jazzinstitut Darmstadt in informativen Tafeln angelegte Ausstellung „Jazz in Deutschland“ bis dahin weitgehend unbemerkt geblieben war.
Korrekturbedarf besteht wohl auch beim Symposium selbst, das dem Motto „starttalkingjazz!“ noch kein rechtes Leben einzuhauchen vermochte. Natürlich saßen da interessante und kompetente Gesprächspartner zusammen, aber es erwies sich als relativ spannungsarm, dass jeweils vier Clubbetreiber, Festivalmacher oder Radioredakteure unter sich blieben. Über mehr oder weniger angeregte Plaudereien kam das oft nur dann hinaus, wenn sich einmal eine Stimme aus dem Auditorium erhob und den Blickwinkel änderte. Als Informationsbörse für die ursprünglich als Zielgruppe anvisierten Jungjazzer auf dem Sprung ins Business dürften die Veranstaltungen ebenfalls wenig ergiebig gewesen sein, vielleicht kann auch hier ein konzentrierter Thementag in Zukunft Abhilfe schaffen. Selbst Peter Schulze, als künstlerischer Berater der jazzahead für das German Jazz Meeting verantwortlich, hatte zunächst Mühe, Manfred Eicher in ein lockeres Gespräch zu verwickeln. Wie mit dem zuvor übergebenen ersten „jazzahead Skoda Award“ konnte der sich dann aber doch noch mit dem Mikrofon anfreunden und gab ein Stück der ECM-Philosophie zur Kurzbesichtigung frei. Mancher Geburtswehen zum Trotz: Wenn der Eindruck nicht täuscht, dann war diese erste jazzahead das bemerkenswerte Eröffnungskapitel einer Erfolgsgeschichte, die sich dem Mut verdankt, dort neue Wege einzuschlagen, wo sonst gerne das Jammertal angesteuert wird. Die streckenweise geradezu euphorische Zustimmung der Aussteller, der Musiker und der insgesamt etwa 3.500 Besucher sollte den Machern Ansporn sein, die jazzahead mit allen Beteiligten nun konsequent weiterzudenken und zu einer Institution zu machen. Der Anfang ist gemacht oder, wie Wolfram Knauer es formulierte: „Alles fängt klein an, und dafür, dass das hier klein angefangen hat, war es schon ziemlich groß.“ Juan Martin Koch
„Hier bildet der Jazz die Messe“Viel Lob und konstruktive Kritik der Aussteller an der jazzahead! 2006
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