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Jeder, der mit Jazz zu tun hatte, kannte Hans Ruland: als netten Jazz-Onkel vom Radio, bei dessen gemütlichem Geplauder, hinter dem sich profundes Wissen verbarg, man regelrecht die Pantoffeln und die Pfeife ahnte, die er freilich nicht im Studio rauchte. Oder von seinem Konterfei das jahrelang die erste Seite der Jazzzeitung zierte. Oder gar als Austräger seiner Jazzzeitung.
Auch das gehörte zur Realität des Mannes, der so viel für den Jazz in Deutschland getan hat, ein Engagement, das zwar nicht als Alleingang zu bezeichnen ist, aber doch als Selbstausbeutung. Eigenes Kapital, eigene Kraft, eigene Zeit steckte er in all seine Projekte, ohne dass es ihm immer genügend gedankt worden wäre. Allzu selbstverständlich war es den Münchnern jahrelang, mit der Jazzwelle Plus einen Jazzsender zu haben oder eine Jazzzeitung – als regionale Medien in den 80er- und 90er-Jahren etwas Unerhörtes waren. Erst später wagten das Jazzradio Berlin und andere ähnliche Versuche. Am 4. März ist er in München nach schwerer Krankheit 57-jährig verstorben. Kann man jemanden als Vaterfigur bezeichnen, der so früh von uns geht? Man kann, wenn es sich um eine Persönlichkeit handelt, die so viel für die von ihm geliebte Musik getan hat wie er. Hans Ruland war, wie jeder, der seine Sendungen und Artikel kannte, weiß, pianophil, oder sagen wir ruhig, er war ein Pianomane. Er selbst spielte gut Klavier und seine ganze Begeisterung für den Jazz ging einst davon aus, dass er nach etwas suchte, das er als virtuose Cocktailmusik charakterisierte. Dabei stieß er auf seine Leib- und Magenmusik, den Harlem -Stride-Piano-Stil. Initiiert hat seine ganze Jazzbesessenheit der „Carolina Shout“ von James P. Johnson. Das Stück wurde zum Modell für eine ganze Pianistengeneration. Duke Ellington hat nach eigenen Worten Klavierspielen gelernt, indem er mit seinen Fingern den Bewegungen folgte, die Johnsons Klavierrolle auf den Tasten des mechanischen Klaviers erzeugte. Duke Ellington, über den Ruland ein viel gelesenes, beim Oreos Verlag erschienenes Buch schrieb, war auch einer seiner Hausgötter. Ellingtons „Come Sunday“ und der „Carolina Shout“ erklangen denn auch am 9. März auf dem Münchener Nordfriedhof bei der Trauerfeier. Als gewiefter Diplom-Kaufmann hätte Hans Ruland mit etwas Lukrativerem handeln können, als es der Jazz im ausgehenden 20. Jahrhundert war, einer Zeit, die von der Hochkonjunktur der Popmusik geprägt war. Sein Ziel war es jedoch, dem Jazz mehr Hörer zu verschaffen. Es ist ihm, wie Medienanalysen zeigen, gelungen. Dabei musste er als Unternehmer freilich kommerziell denken, das heißt im Zweifelsfall eher Miller als Mingus senden, jedenfalls zu den Uhrzeiten mit der höchsten Einschaltquote. Dass er uns trotzdem völlige Freiheit ließ in den Abendstunden, Specials über die entlegendsten oder avantgardistischsten Themen zu produzieren, gehört zu seiner Größe. Die gleiche große Bandbreite war auch für die Jazzzeitung eine Selbstverständlichkeit. Trotz wirtschaftlicher Überlegungen und persönlicher Bevorzugung des Swing war es ihm wichtig, den Jazz in seiner ganzen Breite vorzustellen. Oft bedauerte er, dass die Jazzanhängerschaft sich selbst schwächt, indem sie sich in Fraktionen und Fraktiönchen splittern, statt an einem Strang zu ziehen. Unzählige Menschen verdanken Hans Ruland ihre erste Begegnung mit Jazz, vor allem wegen seiner 1986 gegründeten Jazzwelle Plus – ein Sender, der seine Existenz der Unzufriedenheit seines Gründers mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verdankte: Jazz wurde meist nur selten und zur späten Nachtzeit gesendet. Wie sollen die Menschen eine Kunst kennen und schätzen lernen, wenn sie in den Medien kaum präsent ist? Zum Moderatorenteam der Jazzwelle Plus gehörten Fachleute, die bereits etabliert waren oder sich durch den Sender etablieren konnten. Unter ihnen waren Jazzexperten wie zum Beispiel Thomas Breitwieser, Ralf Dombrowski, Gerd Filtgen, Jochen Jungk, Manfred Roth, Hans-Jürgen Schaal, Manfred Scheffner und der Verfasser dieser Zeilen. Das „Plus“ stand ab den frühen 90er-Jahren für ein erweitertes Kulturprogramm: Klassik, Literatur, Kleinkunst, Theater und vieles mehr wurde von kompetenten Fachjournalisten und Musikern liebevoll präsentiert. Damit stand Hans Ruland in einer Reihe mit einem Joachim-Ernst Berendt, der Jazz nicht isoliert als Orchideenfach hütete, sondern im großen Rahmen der Kultur sah. Als Ruland die Jazzwelle gründete, hatte er bereits mit der Jazzzeitung gezeigt, wie man Jazz unter die Leute bringt, zunächst als langjähriger Mitarbeiter. Ruland, zweifellos der bedeutendste Mann in der Geschichte der Jazzzeitung, übernahm 1982 das Blatt von seinem Gründer Sepp Dachsel. Er machte aus der kaum bekannten Jazzzeitung ein bedeutendes Organ, das zunächst in Bayern Verbreitung fand und dann, nachdem Hans Ruland 1991 auch in Hamburg eine Jazzwelle Plus aus der Taufe gehoben hatte, in einer süd- und einer norddeutschen Ausgabe erschien. Die Jazzzeitung wurde für bayerische Jazzfreunde nahezu unentbehrlich, selbst für solche, die sie nicht kauften. Sie erstellte auch das bekannte Plakat „Jazz in München“, das jeden Monat zugleich mit der Jazzzeitung erschien und eine praktische, vergrößerte Abbildung einer Doppelseite der Jazzzeitung war. Nachdem Ruland sehr zur Popularisierung des Jazz in unseren Breiten beigetragen hatte, gab er 1997 Jazzwelle Plus und Jazzzeitung auf. Die Jazzzeitung kam zum ConBrio Verlag und blieb uns damit erhalten. Ein Einzelner bewirkt viel, wenn er die Berufung zum Beruf macht. Hans Ruland war nicht nur Chefredakteur und Herausgeber der Jazzzeitung, Gründer und Leiter der Jazzwelle Plus, er war auch Veranstalter unvergessener Jazzkonzerte (z.B. der Jazzpiano Nacht 1992 im Gasteig) und Plattenproduzent des kleinen, feinen Labels Swingtime Records. Hier erschienen mitunter Aufnahmen, die vom Bayerischen Rundfunk aufgenommen worden waren, zum Beispiel gleich die erste Produktion des Jahres 1980, das „Meisterswinger“–Konzert vom Gärtnerplatz-Theater mit Pianisten wie Jay McShann, Dick Wellstood und Dorothy Donegan. Mit seinen Swingtime Records produzierte Hans Ruland auch Platten mit Münchner Musikern, etwa mit Harald Rüschenbaum, Max Neissendorfer und dem Jazzkränzchen Immergrün. Zu alledem kommt noch eine Tätigkeit, die man kaum angemessen umschreiben kann: Er war bis 1997 mit seinem Jazzbüro Ruland für viele Jahre der Ansprechpartner in München für schlicht alles, was mit Jazz zu tun hat. Ständig klingelten die Telefone, kamen Postberge. Bands wurden gesucht und vermittelt, fachliche Auskünfte erteilt bis ins fernste Ausland… Die ganze Arbeit erledigten sehr wenig Leute: Hans und seine kompetente, unermüdlich tätige Frau Barbara Ruland; im Laufe der Jahre kamen Teilzeitkräfte – eine Sekretärin, ein Praktikant – dazu. Aber es waren immer zu wenige Menschen für zu viel Arbeit. Die vielen gewünschten Heinzelmännchen blieben aus. Wer einmal bei Rulands gearbeitet hat und die vielfältigsten Anfragen mitbekommen hat, wundert sich, wie die Jazz-Szene ohne diese Anlaufstation auskommt. Das alles währte, wie Sender und Zeitung, bis 1997, als die Gesundheit
des vielbeschäftigten Mannes nachzulassen begann. Nach einigen Jahren
des Rückzugs moderierte er noch bis Ende 2005 jeden Samstag den „Hot
Club“ und dann den „Jazzpoint“ sowie die „Radiojazznacht“
für den Bayerischen Rundfunk. Hier fanden auch viele ehemalige Mitarbeiter
eine neue Heimstadt, die mit Jazzzeitung und/oder Jazzwelle Plus verbunden
waren, zum Beispiel Ralf Dombrowski, Ssirus W. Pakzad und Marcus A. Woelfle.
Die Liste der Kollegen, die wie der Verfasser dieser Zeilen „HR“
die entscheidende Weichenstellung in ihrem Berufsleben verdanken, wäre
ellenlang. Er war Förderer und Mentor unzähliger Musiker und
Journalisten. Marcus A. Woelfle |
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