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Eine gute Idee. Die Auswahl ist überzeugend: sie reicht vom „St. Louis Blues“ (1914) bis „Lush Life“ (ca. 1938). Der Autor hat sich als gründlicher Kenner des amerikanischen Jazz- und Popgesangs bereits einen sehr guten Namen gemacht. Sein Wissen über Aufnahmen (darunter auch sehr seltenen) der zwölf Titel (nicht nur im Jazzbereich) ist schier unerschöpflich. Auch rein instrumentale Versionen werden besprochen. Er analysiert zudem Text und Musik, letztere nur mit der Nennung von Tonbezeichnungen. Hatte der Verlag Angst, ein Buch mit (einigen) Notenbeispielen würde sich schlechter verkaufen? Ein paar Korrekturen: Charlie Christian wurde 25 Jahre alt, nicht 23 (S. 18); der Duopartner von David Murray heißt nicht Arvantis, sondern Arvanitas (S. 179); der Dirigent Charles Previn war nicht Andre Previns Vater, sondern dessen Cousin (S. 188). Unverständlich ist die Behauptung, „Doxy“ und „Giant Steps“ seien von „I got rhythm“ abgeleitet. Aber gleichwohl und trotz fehlendem Register (etwas ärgerlich) lohnt sich die Lektüre sehr.
Mit 3,9 kg und den Abmessungen 37 x 26 x 5 cm nimmt dieses Buch größen- und gewichtsmäßig unter seinesgleichen einen Spitzenplatz ein. Aber auch der Inhalt wiegt schwer. Auf Kunstdruckpapier gruppieren sich über 900 (!) vorzüglich reproduzierte Fotos, unter ihnen viele seltene, um einen weitgespannten Text, der die Geschichte des Labels Atlantic von 1947 bis 2000 erzählt, sehr lebendig und spannend. Auch viele Künstler kommen zu Wort. Für den Jazz war dieses Label wichtig, aber mehr wohl noch für Rhythm & Blues und Soul. Gründer Ahmet Ertegun (zusammen mit Herb Abramson) war der Sohn des türkischen Botschafters in Washington. Sein langjähriger Mitarbeiter Jerry Wexler stieg 1953 in die Firma ein, kurz darauf auch sein älterer Bruder Nesuhi Ertegun, der sich dann in erster Linie um die Jazzproduktionen kümmerte. In dieser Hinsicht prägten das Modern Jazz Quartet, Charles Mingus, John Coltrane und Ornette Coleman Atlantic. Dazu kamen Ray Charles, The Drifters, Roberta Flack, Lennie Tristano, Jimmy Giuffre, Bobby Short, Mabel Mercer, Big Joe Turner, Thelonious Monk, Wilbur de Paris, Bobby Darin, LaVern Baker, Herbie Mann, Charles Lloyd, Aretha Franklin, Otis Redding, Cream, Led Zeppelin, Bette Midler, Manhattan Transfer, Rolling Stones, Abba, Foreigner, Phil Collins… Die Firma wurde immer größer, der Jazz immer weniger. Ahmet Ertegun bringt es 1997 auf den Punkt: „It’s you grow, the whole machinery of releasing und promoting records becomes bigger and more complicated. We have to feed the machine that we‘ve built.“ (S. 450) Ist das nicht überhaupt eines der größten Probleme unseres Zeitalters? Ein faszinierendes Buch, aber es zu lesen und zu verarbeiten braucht seine Zeit. Ein Tipp: Versuchen Sie nicht, es in Lokalen und öffentlichen Verkehrsmitteln zu studieren. Sie fallen zu sehr damit auf.
Eine solide, sehr informative Arbeit über den bisher größten aller europäischen Jazzmusiker. 1934 entstand in Paris das „Quintette du Hot Club de France“ mit Geige (Stephane Grappelli), drei Gitarren (eine davon Django Reinhardt) und Bass, das schon bald Jazzgeschichte schrieb. Bei Kriegsausbruch war die Gruppe in England; Grappelli blieb und spielte etwa mit dem jungen George Shearing, die übrigen kehrten nach Paris zurück. Erst Anfang 1946 trafen sich Reinhardt und Grappelli in London und machten Aufnahmen mit englischen Musikern. Ende Oktober 1946 kam Django auf Einladung Duke Ellingtons in die USA, fühlte sich dort aber sehr unwohl; im Februar 1947 kehrte er nach Frankreich zurück. Die letzten sechs Jahre seines Lebens waren geprägt von Unsicherheit und dem Wunsch, neuen Entwicklungen im Jazz zu folgen. Er spielte mehr und mehr E-Gitarre, was seinem Ton nicht gut tat, und er wollte Bebop spielen, was ihm nicht lag und nicht gelang. Auch auf seinen letzten Aufnahmen 1953 hören wir nichts von Bob-Rhythmik oder den neuen Akkordstrukturen, wie hätte er die mit seiner Behinderung auch greifen können (1928 büßte er bei einem Wohnwagenbrand den Gebrauch von kleinem Finger und Ringfinger der linken Hand ein. Hätte er länger gelebt und seine frühere Spielweise beibehalten wie Grappelli, hätte er wie dieser ab den 60er-Jahren eine Weltkarriere machen können. Aber er war kein einfacher Mensch. Er liebte seine Freiheit über alles, spielte im Grunde nur, wenn er Lust dazu hatte, gab verdientes Geld sofort wieder aus, hatte kein Bankkonto, konnte weder lesen noch schreiben (Grappelli brachte ihm mühsam eine Art Unterschrift für Verträge bei) und war doch einer der großen Gitarristen des 20. Jahrhunderts, den auch alle seine amerikanischen Kollegen bewunderten. Dieses Buch ist spannend wie eine Abenteuergeschichte. Hoffentlich wird es bald ins Deutsche übersetzt. Joe Viera |
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