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Trotz meines jungen Alters habe ich bereits ein großes Sortiment an Schrulligkeiten entwickelt: Beispielsweise liegen die Gabeln in der Besteckschublade in Löffelchenstellung nebeneinander, die Löffel selbstredend auch, Gläser sind nach Größe geordnet, besondere Stücke wie Averna-Gläser stehen gar im CD-Regal, und Langarmshirts werden, nach Farbe sortiert, getrennt von den Kurzarmshirts im Schrank verwahrt. Mit diesen leichten Zwanghaftigkeiten musste in den letzten Jahren meine Mitbewohnerin Teresa zu Rande kommen, doch nachdem sie sich zum Auszug entschieden hatte, bin auch ich einen Schritt weitergegangen und wohne jetzt zu fünft in einer neuen Wohngemeinschaft. Als ich mich damals (vor circa acht Wochen) in dieser neuen WG vorgestellt hatte, durchlief ich die Standardprozedur unter Zuhilfenahme des Standardfragenkataloges: Bin ich Raucher? Bin ich Vegetarier? Habe ich eine Freundin? Und dann ziemlich bald: Was für Musik höre ich? Da diese Frage nicht einfach mit einem Nein zu beantworten war, musste ich ein wenig ausholen. Eigentlich alles, aber nicht das „Alles“, das diejenigen meinen, die sich den ganzen Tag mit den Top 40 aus dem Radio beschallen lassen, sondern das andere „Alles“, das aus Rock, Pop (in dem wiederum Reggae, Soul und Funk aufgehen) und viel Jazz besteht. Fällt das Wort „Jazz“, wird man mit einer interessanten Reaktion konfrontiert: Eine Mischung aus Erstaunen und interessierter Begeisterung macht sich breit, wenn man erzählt, dass man in seiner CD-Sammlung, die ja in gewisser Weise auch in das faktische Gemeinschaftsvermögen der WG einfließt, einen Gutteil dieser abgehobenen Musik habe. Nun mussten – unabhängig von der Musikfrage – zwei Haltungen geprüft werden: Will die WG mich? Will ich die WG? Mich schlaflos im Bett wälzend ging ich noch mal alles durch: Wie hatten sie auf meine Antworten reagiert? Wo konnte ich punkten? Kann man überhaupt punkten? Oder läuft es vielleicht anders herum, und man kann nur verlieren? War es schlimm, dass ich Single bin? Steht mein Nichtraucherdasein dem Rauchverhalten der anderen im Weg? Und vor allem: Hatten die anderen Bedenken wegen meines Musikgeschmacks? Hatte die Erwähnung des J-Wortes Ressentiments geweckt, deren Auftreten ich vielleicht doch lieber hinter einem musikalischen Schutzwall aus WG-kompatiblen Dub- und Elektropop-Platten verhindert hätte? Denken sie sich vielleicht jetzt „igitt, ein Jazzer, der bringt uns nur Gedudel ins Haus!“ und lehnen mich dann ab? Und wenn sie mich nehmen, wie werden sie auf meine anderen Ticks wie die Kleidertrennung oder die Besteckordnung reagieren? Der nächste Morgen nach dieser teilweise schlaflosen Nacht brachte mir dann die Erkenntnis, dass, unabhängig ob ich jetzt genommen werde oder nicht, es gar nicht darum ging, ob man diesen Teil von mir mögen könnte. Es ging darum, dazu zu stehen, Single zu sein, Nichtraucher zu sein, und darum, bis zu einem gewissen Maße Jazzer zu sein. Und der Gedankenstrang, nach schlaflosen Nächten ja oftmals ganz besonders verschlungen, brachte mich noch weiter: Im Grunde, dachte ich mir, bedeutet ja „Jazz“ selbst, für etwas einzustehen, sein Dasein in Musik zu verpacken, und dabei eben genau diese Beschränkungen fallen zu lassen. Einfach mal einen Rocksong im Klaviertrio zu spielen (wie z.B. „The Bad Plus“), einen altehrwürdigen Streichersatz mit Beats zu verpacken (Ketil Bjørnstad) oder einfach „nur“ vor sich hin zu spielen (provokant gesagt hat Keith Jarrett im Köln Concert nichts anderes gemacht…), und das als die eigene Musik zu definieren. Ich bin dann genommen worden. Das mit dem Besteck, glaube ich, hat noch keiner bemerkt. Das mit dem Jazz, hat man mir heute gesagt, sei auch kein Problem gewesen, aber „ich mag Jazz halt nicht so“, sagt zum Beispiel Hanga, eine meiner neuen Mitbewohnerinnen. Maria Joao sagt ihr nach einer kurzen Hörprobe dann aber doch zu. Ist ja eigentlich auch nicht so richtig Jazz. Oder auch schon. Sebastian Klug |
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