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Jazzzeitung

2005/07  ::: seite 22

dossier – remix

 

Inhalt 2005/07

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
So blau, so blau
jäzzle g’macht:
Nichtraucher. Single. Jazzer.
jazzfrauen-abc: International Sweethearts Of Rhythm


TITEL / DOSSIER


Titel: Seele statt Salz
Lizz Wright mit neuer CD
Dossier:Elemente arrangieren, verändern
Ein bisschen was Grundsätzliches zum Thema Remixes
Dossier:Das Kind ist gesund
Der norwegische (Jazz)Trompeter Nils Petter Molvaer im Gespräch


BERICHTE
/ PREVIEW

Record Release Partys in Berlin // Pat Metheny in der Münchner Muffathalle // Carlos Bica im Regensburger Jazzclub // Uncool 2005, der Festivalgeheimtipp im Val Puschlav // Nachwuchswettbewerb New Generation Straubing // Preview: Globe Unity Orchestra und King Übü Örchestrü


 JAZZ HEUTE

Stammwürze für die Jazzszene
Die Köstritzer Schwarzbierbrauerei
Ein neues Haus für den Jazz
Das Amsterdamer Bimhuis


 PORTRAIT / INTERVIEW


UdK-Professor Siggi Busch // SahneFunk // Sänger Philipp Weiss // Saxophonist David Sanborn


 PLAY BACK / MEDIEN


Wichtige Rolle der Küche
Musik von Thelonious Monk: 3-CD-Box bei Intakt
CD. CD-Rezensionen 2005/07
DVD. Ella Fitzgerald, Johnny Cash und Jeff Healey
Bücher. Jürgen Schwab: Der Frankfurt Sound
Bücher. Bücher über Django Reinhardt, Atlantic Records und Standards
Noten. Vocal Jazz & Pop für Chöre
Noten. Noten für Fortgeschrittene, Unterrichts-DVDs
Medien. link-tipps


 EDUCATION

Abgehört 34. John Coltranes Solo über „Up Against The Wall“

Jazzausbildung in Leipzig

Fortbildung // Ausbildungsstätten in Deutschland (pdf)


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2005/07 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (268 kb))

Das Kind ist gesund

Der norwegische (Jazz)Trompeter Nils Petter Molvaer im Gespräch

Nicht wahr? Skandinavische Kultur, darunter die Musik, ist einigermaßen unverdächtig, was globale Interessen des Kulturimperialismus betrifft. Der Sündenfall „Abba“ ist längst verziehen, wenn auch noch nicht durchstanden. Um so berührter hört man finnischen Tango und ist seit ein paar Jahren durch die Überraschungen aus der norwegischen Jazz-Szene elektrisiert. Zu ihr gehört sogar die programmatische Reihe „new conception of jazz“ von Bugge Wesseltoft. Einen Avantgardisten des norwegischen Jazz, der seine Anregungen in aller Welt sucht, traf die Jazzzeitung bei einem Deutschlandkonzert: den Trompeter Nils Petter Molvaer – globales Denken und Musizieren von der angenehmen Seite.

Trompeter und Komponist Nils Petter Molvaer (unsere Bider) kam kürzlich zu der Ehre, seine Musik auf einer Remix-CD wieder zu finden. Ihre Remixer-Kreativität stellten Künstler wie Funkstörung’s Mass Destruction Remix, Herbert’s Moving Mix, Sofa Version, Pavel And Marsh Remix, Bugge’s Indiana Jens Mix, Bill Laswell Remix, TeeBee Mix und andere unter Beweis. Haben Jazz und Remixes etwas gemeinsam? Un wenn ja, was? Diesen Fragen geht das Dossier der Jazzzeitung Juli/August 2005 nach Fotos: Stian Andersen/Universal

Jazzzeitung: Nils Petter Molvaer, gibt es für Dich Grenzen zwischen Klassik, Pop oder Jazz?
Nils Petter Molvaer: Ein angenehmes Problem: Für mich gibt es diese Grenzen eigentlich nicht, wenn etwas gut ist. Ob es Neal Young, Bach oder Tayler ist, es kommt auf das Gute an, auf die Extreme.

Jazzzeitung: Nur Eingeweihte in Deutschland wissen etwas über Deine musikalische Sozialisation, über Deine Herkunft. Magst Du ein wenig erzählen?
Molvaer: Ich wurde in einer Musikerfamilie geboren, mein Vater ist Schulmusiker, mein Großvater war Organist in der Kirche. Ich habe sehr früh begonnen, Trompete zu spielen, später dann Gitarre und Basstrommel, alles was man als Jugendlicher eben so spielt. Mit 18 Jahren begann ich an der Musikhochschule Trondheim mit dem Studium. Ich lernte damals gleich einen großartigen Trompetenlehrer kennen und studierte zunächst klassische Trompete. Nach zwei Jahren habe ich aufgegeben, um nach Oslo zu gehen, wo ich an einem Theater arbeitete und in ein Milieu kam, in dem ich wie eine Eule verkleidet, mein Instrument spielte. Im Herbst 1982 gründeten wir die Band „Masqualero“ und spielten Post-Miles-Davis-Musik mit dem Feeling für 1969. Nach und nach entwickelte sich das zur After-Miles-Davis-Musik (lacht), also zu einer eigenen Richtung.

Jazzzeitung: War Miles Davis ein Fixstern?
Molvaer: Nicht unbedingt, aber die Art seiner Musikauffassung hat mich sehr positiv berührt und interessiert.

Jazzzeitung: Deine Stücke sind viel stringenter komponiert, mit viel mehr Kalkül „gebaut“. Welchen Raum misst Du der Improvisation zu? Wie genau komponierst Du Deine Musik?
Molvaer: Es gibt kompositorische Ansätze und zunächst keine festen Strukturen. Es kann mit einem Rhythmus oder mit einer Melodie beginnen, doch stets gibt es eine offene Ebene, auf der man seine Fühler ausstreckt und anderer Musik, anderen Komponisten begegnet.

Jazzzeitung: Welchen Anteil hat das Computerprogramm, welchen die Improvisation, also auch das Fühlen?
Molvaer: Das unterscheidet sich von Komposition zu Komposition.

Jazzzeitung: Bis in Konzept-Alben wie „Khmer“ hinein?
Molvaer: „Khmer“ ist tatsächlich das Konzeptionellste, was ich gemacht habe. Das war ein Auftragswerk für ein Jazz-Festival in Norwegen in einer kleinen Stadt. Ich habe sehr intensiv daran gearbeitet, auch mit Technikern, die ab und zu mir kamen, um mir zu helfen.

Jazzzeitung: Dennoch habe ich den Eindruck, dass alle Deine Stücke dramaturgisch sehr streng durchkomponiert sind. Hören wir immer nur das vielfach geschliffene Ende von Prozessen? Festigen sich diese Prozesse, sind die Stücke anfänglich offener, improvisierter?
Molvaer: Wenn ich im Studio arbeite, habe ich natürlich einen Plan, in welche Richtung ich mich bewege. Wenn ich auf der Bühne stehe, drehe ich die Verhältnisse um – ohne festen Plan.

Jazzzeitung: Deine Themen und Motive begegnen einem immer wieder. Sie werden variiert, modifiziert. Sind sie so etwas wie Rückversicherungen?
Molvaer: Das geschieht nicht sehr bewusst, sondern aus dem Gefühl heraus, einen Organismus zu finden. Ich versuche, auf Kontraste zu stoßen, die nach und nach zusammengeschmolzen werden. Das wirst Du als Struktur empfinden, denke ich.

Jazzzeitung: Zurück zur Ebene: Erleben wir einen Weg zur Improvisation, zur Erkundung, oder zur Suche nach Pfaden, zu einem kontrollierten Gang? Es gibt zum Beispiel bei „Khmer“ Sexstolen, die rhythmisch so dominant sind, dass sie keine Erkundungen mehr zulassen.
Molvaer: Der Beginn ist die Improvisation. Ich beginne zu spielen, bis ich etwas entdecke, was ich mag. Manchmal, wie in dem von Dir erwähnten Beispiel, ist der Rhythmus der Grund, aus dem heraus ich arbeite.

Jazzzeitung: Wird Jazz heute stark von der World-Musik geprägt? Zumindest Deine Kompositionen wirken sehr liedhaft, gleichzeitig sehr polyrhythmisch und sehr in diese Richtung forschend.
Molvaer: Jazz kommt, wie man weiß, aus dem Afro-amerikanischen, also ist Jazz davon rhythmisch auch sehr geprägt. Für mich ist diese ursprüngliche Musik 40.000 Jahre älter als die nordamerikanische Musik. Man stößt auf Einflüsse aus dem arabischen Raum und aus dem indischen. Ich würde meine Musik gar nicht als Jazz bezeichnen. Für mich ist bei der Improvisation das freie Aufnehmen zum Beispiel nordafrikanischer Musikalität wichtig, Instrumente wie der „Nay“-Flöte. Gleichbedeutend ist für mich die nordische Musik, die Volksmusik.

Jazzzeitung: Jazz ist demnach ein schlechtes Label?
Molvaer: Man kann nicht sagen (und Molvaer spricht hier deutsch), das ist schwarz, weiß, gelb oder rosa: Hauptsache das Kind ist gesund.

Jazzzeitung: Hat „das Kind“ viele Gene skandinavischer Vorfahren?
Molvaer: Wenn ich es mir ansehe, dann hat es starke Wurzeln im Irak, Iran, Tunesien, also im nordafrikanischen Raum. Aber ich habe viel mit norwegischen Folksängern zusammengearbeitet, besonders mit einem, der Kirchenmusik aus der Zeit wiederbelebte, bevor es die Orgel gab. Diese Musik hatte tonal sehr viel mit der arabischen zu tun.

Jazzzeitung: Gibt es für Dich musikalische Antipoden? Vielleicht den polnischen Trompeter Tomasz Stanko oder den Amerikaner John Zorn?
Molvaer: Nein. Tomasz ist ein enger Freund. Musik ist, was die Persönlichkeit ist, ich sehe sie aus der Person heraus. Deshalb haben die Musiker meiner Band auch sehr viel Freiraum.

Jazzzeitung: Kannst Du erklären, warum die Skandinavier, besonders die Norweger, seit geraumer Zeit mit ihrer Musik so stark beachtet werden?
Molvaer: Von Norwegen ausgehend, sind wir eine kleine Gruppe, deren Mitglieder sehr offen miteinander umgehen. Unsere Zusammenarbeit ist deshalb sehr transparent und ohne Konkurrenzgehabe. Auch suchen wir uns für verschiedene Projekte innerhalb der Szene Verbündete, da ist nichts Starres. Ich habe zum Beispiel auch an Bugge Wesseltrofts Album „sharing“ mitgewirkt. Wir beziehen uns nicht auf ein Genre, sondern arbeiten über den Tellerrand hinaus.

Jazzzeitung: Auch über den eigenen Tellerrand? Es gibt eine Molvaer-CD mit dem Titel „Remixed“ – die mit veränderten, eigenen Stücken neu aufgenommen wurden. Hängst Du an diesem Material? Mir erscheint „Remixed“ als eine starke Hinwendung zu tanzbarer Musik mit sehr viel härteren Rhythmen.
Molvaer: Ja, eine Rückkehr zum Kern, um erneut loszugehen. Das ist wie eine Neuübersetzung. Alte Elemente sind mit neuen wie Hip-Hop überarbeitet und überprüft worden. Das ist kein Stillstand. Auch „Streamer“, eine Live-Platte, bringt Neubearbeitungen. Nach einer Tournee aufgenommen, sind das praktisch neue Stücke. Sie sind zum Teil auch notiert, zum Beispiel Bass-Linien. Es gibt reine Kompositionen, und ich gebe Anleitungen, denn es soll Sauerstoff in meiner Musik sein. Deshalb interessiere ich mich gerade auch sehr für die menschliche Stimme.

Das Gespräch führten Burkhard Baltzer und Ingo Lie, der auch aus dem Norwegischen übersetzte

CD-Tipps

Molvaers „Khmer“ erschien 1997 bei ECM-Records, München; „Streamer“ 2004 auf Sula

Aktuelle Neuerscheinung

Nils Petter Molvaer: Remakes
Universal

 

 

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