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Bereits in den Titeln seiner Stücke ist oft von Wanderungen und Reisen die Rede. Mit seiner Solomusik reflektiert er stille Seen, Küsten und Horizontlinien, Landschaften im Südwesten Englands. Gegenden, mit denen er Zeit seines Lebens vertraut ist. John Surman, geboren am 30. August 1944 in Tavistock, aufgewachsen in Plymouth, lebt heute auf einem Bauernhof in der Grafschaft Kent, dem Obstgarten Englands. Ende der 60er-Jahre als Baritonsaxophonist bekannt geworden, hat er sich im Laufe der Jahre immer mehr Instrumente angeeignet: Sopran- und Sopraninosaxophon, Klarinette, Bassklarinette, Flöten, Keyboards, Synthesizer…
Was bei anderen zur Verzettelung führen würde, erweist sich bei John Surman fokussiert auf eine individuelle Klangvorstellung. Rhapsodisch, leicht melancholisch, verhalten hymnisch, unkonventionell balladesk – Worte können sich diesen Sounds nur annähern. Nach dem erzählenden Aspekten befragt, antwortet John Surman erst nach kurzem Nachdenken: „Dazu kann ich nur sagen: Ja, ich höre das auch. Aber es entwickelt sich aus der Musik heraus. Ich denke nicht bewusst in Geschichten oder Bildern. Es sind die melodischen Ideen. Und die Klangfarben der Instrumente ermöglichen mir, eine Geschichte auf ganz unterschiedliche Weise zu erzählen.“ In jungen Jahren sang John Surman im Kirchenchor. Und so wie Prägungen durch Blues und Spirituals bei afroamerikanischen Musikerinnen und Musikern oft später selbst noch in abstrakten Klanggemälden durchscheinen, ist die englische Chortradition wohl etwas, das John Surman begleitet. Immer wieder ist in Selbstaussagen amerikanischer Jazzmusiker davon die Rede, auf dem Instrument sprechen oder singen zu wollen. Aus gänzlich anderen Quellen gespeist, hat John Surman ein ähnliches Bedürfnis entwickelt: „All die Songs, die ich früher Jugend gesungen habe, die Musik, die ich damals gehört habe – all das kommt hier und da in meinem Spiel zum Vorschein. Singen, das Gefühl, selbst Musik zu machen, den Körper und die Stimme vibrieren zu lassen. Ich suche nach Klängen, ähnlich dem Gefühl, selbst zu singen.“ In seiner Kindheit hörte John Surman „alles andere als Jazz“. Doch dann, mit Einsetzen des Stimmbruchs, entdeckte er – zunächst durch Dixielandplatten – eine Musik, die ihm „Schauer über den Rücken jagte“: Jazz. Mit vierzehn begann er, Klarinette in Dixielandband zu spielen. Im Schaufenster eines Musikalienhandlung sah er ein Instrument, das ihn beeindruckte, zunächst wegen seines Anblicks, ein Instrument, von dem er wusste, das ist es, was er spielen wollte: ein Baritonsaxophon. Noch in Plymouth lernte Surman den Pianisten und Bandleader Mike Westbrook kennen, mit dem er dann auch während seines Musikstudiums in London zusammen spielte. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erwies sich London als ein hochproduktiver Hexenkessel für (Jazz-)Musik unterschiedlichster Richtungen. John Surman spielte Blues und Blues-Verwandtes mit der Band von Alexis Korner, traditionellen Jazz mit Humphrey Lyttelton, Fusion Music mit John McLaughlins „Extrapolation“, Afro-Jazz mit Chris McGregors „Brotherhood of Breath“ und freie Improvisationsmusik mit Musikern wie dem Schlagzeuger Tony Oxley. 1968 beim Festival in Montreux, wo er mit der Westbrook Band auftrat, als bester Solist ausgezeichnet, wurde der Baritonsaxophonist John Surman bald auch international bekannt, in den folgenden Jahren vor allem im Verein mit dem Bassisten Barre Phillips und dem Schlagzeuger Stu Martin. Die Drei firmierten unter dem schlichten Namen „The Trio“ und spielten eine kraftvollen, hochexpressiven Free Jazz. Auf dem Höhepunkt der Arbeit mit dem bei Konzerten in ganz Europa gefeierten Trio, zog sich John Surman über ein Jahr völlig von der Jazzszene zurück – eine Zeit des Nachdenkens über das Woher und Wohin. Allein im seinem kleinen Studio, begann er, den Klang unterschiedlicher Instrumente zusammenzumischen und Einflüsse aus britischer Volksmusik und europäischer Moderne, aus Minimal und Barockmusik wie auch aus ethnischen Kulturen zu reflektieren. In seinen Tonspuren überlagerten sich unterschiedliche Traditionen, schichtete und bündelte sich, was bei anderen eklektisch auseinanderstrebt: Akustisches und Elektronisches, der Klang von Holzblasinstrumenten und der von Keyboards beziehungsweise Synthesizern, Vorproduziertes und Improvisiertes. Nach Monaten der Einsamkeit trat ein „neuer“ John Surman an die Öffentlichkeit, der mit dem Album „Westering Home“ eine Soloplatte vorlegte, der weitere, gleichfalls bedeutende, folgen sollten. Mit Alan Skidmore und Mike Osborne formierte er das Trio „SOS“, die erste ausschließlich aus Saxophonisten bestehende Gruppe des europäischen Jazz. Zugleich setzte er die Zusammenarbeit im Trio mit Barre Phillips und Stu Martin fort, erweitert zum Quartett mit dem Namen „Mumps“ durch den Posaunisten Albert Mangelsdorff. 1981 spielte Surman gemeinsam mit dem Schlagzeuger Jack DeJohnette die vielbeachtete Platte „The Amazing Adventures of Simon Simon“ ein. Rund zwei Jahrzehnte gingen die beiden erneut ins Studio, nun gemeinsam mit London Brass. Als Resultat entstand das Album „Free And Equal“. Ein Titel, der zunächst auf die Musik hinzudeuten scheint, besitzt für Surman noch eine andere Dimension. Tief beeindruckt von der fortwährenden Aktualität der Un-Deklaration der Menschenrechte, heftete er deren erste fünf Paragraphen an die Wand seines Arbeitszimmers. Und begann zu komponieren. Zu den besonders innigen musikalischen Partnerschaften von John Surman zählt die mit der norwegischen Sängerin Karin Krog. Die beiden waren in unterschiedlichen Gruppen zu erleben und sind am beeindruckendsten im Duo. „In gewisser Weise“, sagt John Surman, und er meint damit nicht die Stimmlage sondern die Emotionalität der Mitteilung, „ist ihre Stimme meiner sehr ähnlich.“ Die Art, wie die beiden einander überraschen, ist pure Poesie und ihr bevorzugtes Terrain das der Melancholie zweier verwandter Seelen: „Cloudline Blue“, „Such Winters Of Memory“. Wie unterschiedliche Traditionen im Medium der Improvisation zusammenfließen können, hat John Surman im Trio mit dem amerikanischen Bassisten Dave Holland und dem tunesischen Oud-Spieler Anouar Brahem unter Beweis gestellt. Kein Treffen auf kleinstem gemeinsamen Nenner, sondern von gegenseitigem Respekt getragene Kommunikation. Ähnlich ereignete sich bei einem Projekt mit Dino Saluzzi und Tomasz Stanko, das anfangs, wie Produzent Manfred Eicher berichtete, zu scheitern drohte und dann Musik, die im argentinischen Tango, in polnischer Melancholie und in englischen Klanglandschaften verwurzelt ist, im wundersamen Miteinander aufblühen ließ. Im 60. Lebensjahr legt John Surman, so wie seinerzeit, als er glaubte, mit dem Free Jazz in eine Sackgasse geraten zu sein und allein ins Studio ging, um seine faszinierende Solomusik zu entwickeln, erneut ein „sabbatical“, ein Jahr in Zurückgezogenheit, ein. Im Unterschied zu damals stehen ihm heute im Zenit eines über Jahrzehnte in unterschiedliche Richtungen verzweigten Schaffens zahlreiche Wege offen. Bert Noglik Mit freundlicher Genehmigung von Triangel Radio-Tipp
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