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Es ist soweit: die historische Aufführungspraxis ist im Jazz angekommen. Der Würzburger Gitarrist Dennis Schütze jedenfalls spielte beim Regensburger Jazzweekend getreu dem Motto seiner Band „Good enough to keep“ jene Soli Charlie Christians Note für Note nach, die der jung verstorbene Pionier der elektrifizierten Gitarre auf Einspielungen des Benny Goodman Sextetts hinterlassen hat. Eine quellenkritische Würdigung dieses Unterfangens steht noch aus und auch sonst blieb kaum Zeit, über das Eintreten transkribierter Improvisationen in den Werkcharakter und die Folgen für das bürgerliche Konzertwesen im Jazz nachzugrübeln, zu viel Spaß machte diese Rekonstruktion einer Glanzzeit des Swing an der Schwelle zum Bebop.
So informativ Dennis Schütze durch sein Programm führte, so wortkarg gab sich Walter Lang mit seinem neuen Format „Tr!o 11“, in das als umherwandelnder Quereinsteiger sich hineinzufinden nicht leicht fiel. Lückenlos reihten sich die Nummern aneinander, von Gerwin Eisenhauer mit der faszinierenden Unerbittlichkeit eines Drumcomputers zusammengehalten. Langs Klavierspiel legte sich melodieselig darüber, begann leuchtend zu oszillieren, sammelte sich im Kreisen um eine harmonische Wendung zu neuen Energienentladungen. Ebenfalls fest in die Münchner Jazzszene integriert, ist der Saxophonist Alessandro De Santis, ein „kleiner Italiener“, wie er sich selbst augenzwinkernd charakterisiert, der mit den italienischen Canzoni seiner aktuellen CD „Roma Termini“ ein Stück Heimweh besingt. Da können die übrigen Musiker und natürlich auch wir alle unsere Sehnsucht nach dem Süden ausleben: schwelgen in den wunderbaren Melodien eines Paolo Fresu („Fellini“), Aldo Romano („Tempo“) oder Lucio Dalla („Caruso“), im Geiste mitsingen bei Paolo Contes unsterblichem Schlager „Azzurro“, hier in einer überraschend stimmigen Funkversion. Und einer sitzt auf seiner Klavierbank zwischen den Stühlen des Fern- oder Heimwehs und steuert bei seinem Weekend-Debüt (!) die subtilsten Soli und eine wunderbare Hommage an seinen Mailänder Großvater bei: Joe Kienemann. Und doch scheint Graz und nicht die Heimatstadt Walter Langs, Alessandro De Santis‘ oder Joe Kienemanns derzeit die Jazzmetropole im südlichen deutschsprachigen Raum zu sein. Was die beiden Nachwuchsformationen da auf die Beine stellten, war schon ein Jazzweekend wert. Und deckte dabei zwei völlig verschiedene musikalische Spektren ab. „Jujuphonics“ pflegen einen modernen, eigenständigen Jazz mit Kompositionen, die zwischen dichter Funktionsharmonik und sparsamen, der Improvisation viel Freiraum gewährenden modalen Ebenen changieren. Die Formation „Beefòlk“ zelebriert dagegen eine folkloristische Offenheit, die als Spagat zwischen Balkanriffs, Tango nuevo, indisch inspirierten Flötenklängen und isländischen Vokalisen naturgemäß nicht ohne eine ordentliche Portion Eklektizismus abgeht. Sie sei dem jugendlichen Überschwang ebenso verziehen wie manch pathetisch aufgeladene, von Hall- und Echowolken umflorte Steigerung? Wer so um sein Leben spielt wie Klemens Bittmann an der Geige, Christian Bakanic am Akkordeon oder Georg Grazer am Sopransax und sich so rückhaltlos der vokalen Extase hingibt wie Helgi Hfran Jonsson, hat alle Ovationen verdient (aktuelle CD „Place dramatique erschienen bei Material Records). Eine weitere Band setzte bei diesem kleinen östereichischen Festival im Weekend vor allem handwerklich Akzente. Was Roman Janoska, der 14-jährige (!) Geiger des „New Generation“-Preisträgers „No Limit“, nicht nur in Sachen technischer Versiertheit und sattem Schmelz in bester k. u. k.-Tradition, sondern vor allem auch in der Prägnanz der Bebop-Phrasen zu bieten hatte, war schon atemberaubend. Der ein oder andere Überraschungsmoment im Arrangement hätte ihm und seinem ebenfalls exzellenten Bruder Franz am Piano allerdings gut getan. Weitere Streifzüge endeten, trotz guter Vorsätze, dann doch wieder einmal bei alten Bekannten. Zum Beispiel bei Gerhard Kraus, diesem außerordentlichen Gitarristen, der sich mit hochklassigen Soli und hörenswerten Eigenkompositionen bestens in die Formation rund um den Nürnberger Saxophonisten Norbert Eisner einfügte. Oder einmal mehr bei Walter Bittner, der mit „Double You-be“ vormachte, was es heißen kann, auf der Basis Latin-beeinflusster Jazz- und Rockgrooves anspruchsvolle Musik zu machen, die Herz und Hirn gleichermaßen anspricht, die Spaß macht, ohne sich plump anzubiedern, die herausfordert, ohne sich im Abstrakten zu verheddern. Bis auf gelegentliche Klaviergrundierung durch Helmut Troendle spielen sich die herausragenden Eigenkompositionen auf einem dicht pulsierenden Gewebe aus perkussiven Elementen und der herausragenden Bassarbeit Klaus Fügers ab. Die melodischen Linien, sei es vokal durch Ute Legner und Schlagzeuger Bittner selbst oder instrumental durch Bobby Palleis an den Saxophonen, behalten Raum zur Entfaltung, zur Improvisation, bleiben offen für Assoziationen in verschiedenste musikalische Richtungen. So muss Jazz sein. Juan Martin Koch |
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