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Die Liebeslieder des Jazz sind keine Opernarien, sie besingen nicht die hohe Liebe nobler Protagonisten. Sie sprechen dagegen von den Liebesträumen der (afro-)amerikanischen Mittel- und Unterschicht Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts. Von Liebe, die den grauen Alltag in Büro, Fabrik oder auf dem Feld vergessen machte. Aber auch von Liebe, die das Tageslicht scheut, und im Dämmerlicht von Varieté und Nachtclub gedeiht.
Wie stark die Macht dieser „Alltags“-Liebe ist, manifestiert sich in der etwa 500 Titel umfassenden Standard-Sammlung „The Real Book“. Das Repertoire dieses Songbooks spielt irgendwann im Leben eines jeden Jazzmusikers eine wichtige Rolle. Welche Rolle es für die klassische Sopranistin Barbara Hendricks spielte und noch heute spielt, erfuhr man bei ihrem jüngsten Jazz-Project, dass sie auf dem Montreux Jazz Festival vorstellte. Die Vorgeschichte erzählte die Sängerin selbst: Früh sei sie mit Gospel in Kontakt gekommen und später vor allem mit der Musik Gershwins. Doch die Anforderungen der klassischen Laufbahn – Barbara Hendricks feierte seit Mitte der 70er-Jahren Erfolge als Susanna in der Hochzeit des Figaro, als Pamina in der Zauberflöte, als Antonia in Hoffmanns Erzählungen, als Mimi in La Bohéme oder Liu in Turandot und hat heute mehr als 20 Rollen in ihrem aktiven Repertoire – diese Anforderungen hätten Gershwins Musik in den Hintergrund treten lassen, bis... ja bis eines Tages, genauer 1994, der rührige Chef des Montreux Jazz Festivals, Claude Nobs, die inzwischen auch in der Stadt an den Hängen über dem Genfer See lebende Sopranistin gebeten hätte, mit einem Gershwin-Programm aufzutreten. Es wurde ein Erfolg und ging weltweit auf Tournee.
Für den Sommer 2004 hat die Hendricks wieder ein neues Programm mit Titeln von Cole Porter, Richard Rodgers, Duke Ellington und natürlich George Gershwin konzipiert, mit dem sie die Kenner unter ihrem Publikum im großen Saal des Casinos zu begeistern verstand und „Neulinge“ sowie Neugierige zu faszinieren wusste. „Bewitched“ (Rodgers), „Let’s Do It“ (Porter), „This Can’t Be Love“ (Rodgers), „Night and Day“ (Porter) gestaltete sie wunderbar mit Belcanto und souliger Bruststimme. Die Improvisationen überließ die Diva mit dem human touch ihrer skandinavischen Begleit-Band, ohne deren Swing, Groove und Sound die Songs der Opernsängerin doch nie wirklich wie Jazz klingen würden. Die Melange aber macht`s und Barbara Hendricks zeigt die Melodien des amerikanischen Songbooks im Licht von Opernbühne und Liederabend: Sie glänzen, funkeln darin wie antike Kostbarkeiten. Und sie gehen nach wie vor unter die Haut: Barbara Hendricks ergreifende Version von „Solitude“ (Ellington) muss keinen Vergleich mit denen berühmter Jazzkolleginnen scheuen. Dass Jazzsongs nicht nur von Liebe, sondern direkt oder indirekt auch von Diskriminierung, Unterdrückung und sozialer Ungerechtigkeit erzählen, das wird einem heute gewöhnlich in keinem Jazzkonzert mehr deutlich. Jazz ist längst zur l‘art pour l’art geworden – oder zur Unterhaltung. Dass gerade einer klassisch geschulten Sopranistin der Weg zurück zu den Wurzeln gelingt, überrascht nur vordergründig. Wer die Vita der Hendricks kennt, weiß, dass für sie Kunst und Leben, Musik und Politik schon immer eins waren. Deshalb ist es für die politisch enggierte Künstlerin nur folgerichtig, ab und an die Opernbühne zu verlassen und „Summertime“, „We shall overcome“ oder das Gospel „Freedom“ so zu singen, dass einem klar wird, um was es in dieser Musik geht – und im Leben. Brava, Barbara. Laura Jucker
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