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Vier Radiostationen senden in Europa rund um die Uhr Jazz. Neben Paris, London und Warschau gesellte sich vor sieben Jahren auch in Berlin eine dazu. Noch als kleiner Mittelwellesender begann hier die wechselhafte Geschichte von Jazzradio 101.9. Die vergleichsweise exotische Station kletterte von einem Erfolg zum nächsten und heimste Preise ein bis überraschend die Meldung von der Insolvenz zu lesen war. Um die gute Nachricht vorwegzunehmen: Ja, man kann sie immer noch hören. Doch um alle spannenden Einzelheiten der Geschichte zu hören, verabredeten wir uns zum Interview.
Am Potsdamer Platz in Berlin ausgestiegen, höre ich das Kreischen hunderter Frauen schon von weitem. Verursacher ist zweifelsohne Brad Pitt, der gerade angekommen ist, um im Sony Center die Premiere seines neuen Filmes zu feiern. So ist kaum ein Durchkommen auf dem Weg zum Nobelhotel Marriott, aus dem Jazzradio sendet. So richtig kann man sich Cooljazz & Co an diesem Ort nicht vorstellen, doch gerade in die Lobby eingetreten, fällt einem das Studio schon ins Auge. Hinter einer Glasscheibe, in einem 1,50 mal 3 Meter kleinen Raum, sitzt Moderator Cristian Adaros-Rojas vor seinem Mikrophon und sagt einen Duke Ellington Titel an. Einige Hotelgäste sitzen Cocktail schlürfend in den Sesseln der Lobby und genießen das Privileg, Jazzradio nicht nur hören sondern auch sehen zu können. Interviewpartner Matthias Kirsch, Chefredakteur des Senders, nippt am Drink und beginnt zu erzählen. Alles begann 1997 als die Holländerin Wilhelmina Steyling nach Berlin kam, um, wie sie es bereits zuhause getan hatte, auch hier einen Jazzsender zu gründen. Eher durch einen Zufall kam Matthias Kirsch 1998, das Jahr in dem die UKW-Frequenz erteilt wurde, als Moderator zum Team. „Zu der Zeit brachte jeder noch einfach seine eigenen Platten mit, da wurden dann selbst die längsten Soli von Coltrane ausgespielt“, erinnert er sich. Dies hätte zwar viel Spaß gemacht, doch sei bald klar geworden, dass jemand komme müsse, der sich im Verkauf auskennt. Das wurde zwei Jahre nach der Gründung des Senders der englische Mediengeschäftsmann Julian Allitt, der als erstes eine Marketingmannschaft zusammenstellte. Auch die Musikauswahl musste verändert werden und so begann Matthias Kirsch Playlists zu schreiben, die das Programm einheitlicher werden ließen. Eine für die Akquirierung von Werbekunden wichtige Bedingung, allerdings konnten die Moderatoren nun nicht mehr so spontan sein, es gab weniger Wortbeiträge und Interviews und auch Vorstellungen von unbekannten, lokalen Künstlern rückten in den Hintergrund. Dafür ließ der Breitenerfolg des Senders nicht lange auf sich warten. Immer mehr Hörer schalteten ein, in der durchschnittlichen Stunde bald schon 8.000. Die steigenden Werbeeinnahmen brachten Jazzradio schon 1999 in die schwarzen Zahlen. Dabei kam der Marketingmannschaft eine besondere Strategie zugute. Statt mit den anderen 16 Radiosendern der Region um die großen Kunden zu konkurrieren, setzten sie auf die kleineren lokalen Geschäfte und boten die Produktion der Spots gleich mit an. In der Folge wurden die Werbeblöcke im Programm schnell immer größer. ZeitsponsorenAls ich Matthias daran erinnere, dass vor gar nicht langer Zeit selbst die Zeitansage gesponsort wurde, erinnert er sich lachend: „‚Die Zeit wird Ihnen präsentiert von Baumarkt soundso in Berlin Spandau. Wir helfen Ihnen gern.’ Kurze Pause ‚Es ist 16 Uhr’“. „Ja, das war schon ziemlich kurios“, stimmt er mir zu. Doch nicht zuletzt die gewonnenen Auszeichnungen schienen das Konzept von Jazzradio zu bestätigen. Stolz erzählt Matthias von sechsfachem Gold bei den New York International Radio Programming Awards seit 1999. Damit wurde zum Beispiel das Format aber auch ihr Online-Auftritt ausgezeichnet. Und gerade der ist für den Sender ein wichtiges Standbein. „Wir sind zwar im Kabel von Hamburg, Sylt, München, Hannover und über Satellit zu empfangen, aber außerhalb von Berlin hören uns besonders viele Hörer über die Website“, erklärt Matthias. Via Streaming sei es weltweit möglich das aktuelle Programm zu verfolgen und so hätten sich schon Hörer aus Afrika bei ihm gemeldet. Besonders in den Zeiten, wenn eine Webcam die Moderatoren bei der Arbeit zeigt, klettern die Hörerzahlen nach oben. Der finanzielle Durchbruch ermöglichte bald verschiedene Projekte nebenher. So brachte Jazzradio drei CDs heraus und veranstaltete verschiedene Konzerte. Bereits im fünften Jahr richtet der Sender das Fringe-Festival aus, bei dem ausschließlich Berliner Jazz präsentiert wird. Damit wollen sie bewusst einen Gegenpol zum renommierten Jazzfest setzen, dass parallel läuft und nur internationale Stars im Programm hat. Ein Trost für so manchen Berliner Jazzmusiker, der meckert, dass zugunsten des Mainstream die Szene der Stadt im Radioprogramm nur noch wenig Beachtung findet. KrisenzeitenTrotz aller Erfolge machte die allgemeine wirtschaftliche Rezension auch vor Jazzradio nicht halt. Der Werbemarkt brach ein, was gerade bei diesem kleinen Sender schnell zu merken war. Von ehemals 30 Mitarbeitern mussten nach und nach alle bis auf fünf gehen und die übrigen verzichteten auf Teile des Gehalts. Trotzdem folgte im September 2003 der Tiefpunkt als Jazzradio insolvent ging. Zusammen mit einem Insolvenzverwalter versuchte man den Sender zu retten und „eigentlich müssen wir froh sein, dass wir überhaupt noch die Kurve gekriegt haben“, gesteht Matthias. Das christliche Radio Paradiso, mit dem es bereits eine Marketingkooperation gab, stellte ein Studio zur Verfügung, viele Gläubiger halfen, indem sie auf ihre Forderungen verzichteten und langsam besserte sich auch die Werbesituation. So konnte das Insolvenzverfahren vor fünf Monaten eingestellt werden und Jazzradio ist nun wieder sein eigener Herr. „Langsam geht es bergauf und ich bin überzeugt, dass wir es schaffen“, sagt Matthias. Noch könne man sich nur Moderatoren für die Zeit von 18 Uhr bis Mitternacht leisten und er selbst müsse die Morningshow übernehmen, doch schon bald wolle man wieder von sechs bis Mitternacht live senden. Jugendliche SwingtimeEs sind ehemaligen Praktikanten, die in den Abendstunden das Programm präsentieren und so gab es schon Hörerbeschwerden, wenn ein junger Moderator wie Cristian Adaros-Rojas Sonntags Swing aus den 40ern ansagt. „Solche Reaktionen verstehe ich nicht“, wundert sich Matthias, „ist doch toll, wenn sich so junge Menschen schon dafür begeistern“. Mit elektronischem Jazz am Wochenende wollen die Radiomacher auch junges Publikum gewinnen, aber nach wie vor enthält die Playlist, mit über 4000 Titeln, hauptsächlich Mainstream-Jazz. Der eigne sich eben am besten zur Funktion der Radiomusik als Hintergrunduntermalung. Einmal im Jahr jedoch breche man im Sender aus dieser gewohnten Struktur aus und genau darauf freut sich Matthias Kirsch jedes Mal. Immer im Juni fliegt er nach New York, um von dort aus dem Museum of TV and Radio zu senden und die amerikanischen Jazzgrößen zu interviewen. Am Schluss jeden Gesprächs sagen diese dann traditionell den Slogan des Senders ins Mikrophon: „Jazzradio 101.9 – That’s cool!“ Felix F. Falk
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