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Vergeblich versuchte man an vereinzelten Gesichtern abzulesen, was da nun eigentlich überwog: Bedauern oder Bewunderung darüber, dass er sich das antat. Eines aber zeichnete sich in fast allen Zügen ab: Entsetzen, als Jimmy Smith da unter größter Mühe auf die Bühne und dann an die Hammond Orgel geführt wurde, den rechten Arm in Gips, die geschwollene linke Hand gelblich-bläulich schimmernd. Das Schicksal meint es derzeit nicht gut mit dem Orgel-Virtuosen. Seinen Gesundheitszustand konnte jeder erahnen, der im Festsaal des Bayerischen Hofs erschienen war, um eine Legende zu bestaunen. Wenige aber wussten, dass Jimmy Smith in der Woche vor dem Auftritt auch noch seine Frau verloren hat. Er ließ sich jedoch nichts anmerken, schäkerte mit ein paar jungen Dingern in der ersten Reihe herum, machte einem Herrn einen Heiratsantrag, streckte dem Fotografen keck die Zunge heraus und gab seine Deutschkenntnisse zum Besten. Bei den gegebenen Umständen und dem, was im Konzert zu hören war, verbieten sich die üblichen Kriterien der Musikkritik, selbst wenn gelegentlich für Sekunden aufblitzte, was Jimmy Smith einmal ausgemacht hat. Im Vorfeld galt Smiths Auftritt als eines der Highlights des diesjährigen Klaviersommers. Der bot dieses Jahr ein ungewöhnlich attraktives Programm und gab sich in vielen Konzerten im nachhinein betrachtet unerwartet nostalgisch. Von Wynton Marsalis erwartet man Nostalgie, oder sagen wir lieber: Tradition. Wie er die aber, in einem Streifzug von Ellington bis Coleman, darbot, das hatte nichts Museales an sich. Das, was er mit seinem Lincoln Center Jazz Orchester im Festsaal des Bayerischen Hofs erspielte, hört man von wenigen Big Bands dieser Welt. Wie die einzelnen Bandteile da miteinander kommunizierten, wie frei das Orchester mit dem Vorgegebenem umging, das war schon schwer faszinierend. Der Höhepunkt des Abends: Ornette Colemans „Kaleidoscope“ in einem Arrangement des Saxophonisten Ted Nash. Nach imposantem Tutti schlug Nash am Altsaxophon wilde Bögen von bizarrer Schönheit, dann schnatterte sich Marsalis mit einem seiner Trompeter durch ein infernalisches Duett und schließlich schritt die Rhythmusgruppe mit enormem Bewegungspotential und ausgeprägtem Feinsinn durch alle Gangarten. Später war die Hälfte des Lincoln Center Jazz Orchesters als Zuhörer im Nightclub des Bayerischen Hofs zu sehen, als sich Steve Coleman mit seiner Mystic Rhythm Society durch ein sprödes Geflecht aus exotischen Metren und abstrakten Themen spielte. Marsalis groovte an der Bar sichtbar mit und zählte wohl heimlich, welche Rhythmen Coleman da wieder übereinander geschichtet hat. Dass Komplexes nicht ohne Spaß auskommen muss, zeigte Chris Potter mit seiner neuen, elektrischen Gruppe „Underground“ im Nightclub. Frappierend, wie sich Craig Taborn am Fender Rhodes und Gitarrist Wayne Krantz mit kleinen Motiven ineinander verhakten, wie sie in ihren Soli Sperriges in Kauf nahmen und ständig um Klischees herumspielten. Das subversive Element in seinem Underground konterkarierte Potter mit super süffigen Saxofon-Linien, die mit enormer Intensität aus dem Trichter seines Horns schossen. Geri Allen hat mit ihrer elektrischen Gruppe „Time Line“ schon in Saalfelden enttäuscht. Und sie tat es auch im Bayerischen Hof wieder. Mal erkundete sie Klänge, die sich am Miles der späten 60er und frühen 70er orientierten, dann wieder stand ihr der Sinn nach Zuckrigem, das sie aus dem Synthesizer zauberte, von dem wohl niemand so recht wusste, warum er da auf der Bühne stand. Ein richtiges Konzept hatte dagegen wie immer der Trompeter Dave Douglas. In seiner Gruppe „Freak In“ mutierten die von witzigen Samples, mutigem Scratching und einem wild fauchenden Wurlitzer Piano kommentierten Grooves in alle erdenklichen Richtungen. Die Bläser gaben dem turbulenten Geschehen mit brisanten Themen Konturen. Leichtere Kost hatte Larry Carlton im Nightclub zu bieten. Eine zeitlang tendierte der Ex-Crusaders-Gitarrist zu einer Musik, die bestenfalls als Toilettenbeschallung taugt. Jetzt aber sind seine Lebensgeister wieder erwacht. In seiner derzeitigen, stark vom Blues infizierten Band, zu der eine opulente vierköpfige Hornsection gehört, hat seine Gitarre das Singen wieder gelernt. Da griff sich mancher Fan vor Verzückung ans Herz und war heilfroh, dass die guten alten Zeiten den Sprung in Carltons Gegenwart gefunden haben. Ssirus W. Pakzad |
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