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„Mit dem eigenen Bandbus auf Tour quer durch Europa zu fahren ist Rock’n’Roll!“ grinst Lucas Niggli nach einem Konzert seiner Band „Steamboat Switzerland“ in Münster. Beim Bier danach und Tage später am Telefon offenbart der 1968 geborene Schlagzeuger, Bandleader und Komponist vieles, was hinter seiner Musik steht – und die zählt in seinen verschiedenen Bands zurzeit zum Aufregendsten – nicht nur bei Festivals, wo der Schweizer oft sogar mit mehreren Bands gleichzeitig gebucht wird. Die herzliche Spontaneität, mit der Lucas Niggli von sich und seiner Arbeit spricht, passt zur Ausstrahlung der Musik, die – in rasch wechselnde stilistische Gewänder gekleidet – hellwach ist und vor Ideen sprüht. Was er anpackt, macht er gründlich: Vor dem Gig reist die Band einen Tag vorher an, um vor Ort ausreichend zu üben. Und bis eine neue CD vorliegt, können ruhig einmal drei Jahre vergehen, die einer „echten funktionierende Band-Chemie!“ zugute kommen: „Ich bin gegen diese beliebige Jazz-Polygamie, wo jeder mal mit jedem für ein Projekt zusammen kommt! Denn nur das, was man lange genug zusammen macht, wird irgendwann richtig gut! Viele Musiker arbeiten heute überhaupt nicht sorgfältig.“ Lucas Niggli gehört zum Kollektiv „Steamboat Switzerland“, zu dem außerdem der Keyboarder Dominik Blum sowie Marino Pliakas am E-Bass gehören. Vor allem bei den Live-Auftritten auf großen Rock-Bühnen werden extreme Energien frei, wenn experimenteller Instumental-Rock auf Idiome von Hardcore bis Freejazz prallt und Niggli sich oft in bester Speedmetal-Exzentrik die Seele aus dem Leib trommelt. Aber: Es ist fast alles durchkomponiert! Ebenso verhält es sich in Lucas Nigglis Bands „Zoom“ und „Big Zoom“ – davon zeugen auf der Bühne die Notenständer mit Partituren, die er auch dann verfolgt, wenn er gerade mit ganzer physischer Kraft und rasend schnell polymetrische Strukturen trommelt, spontane Impulse abfeuert oder sein Spiel feinfühlig der melodischen Linie eines Soloinstrumentes anpasst, gleichzeitig ständig per Augenkontakt und Gesten mit dem Rest der Band kommuniziert und manchmal wie ein Dirigent Einsätze gibt. Lucas Niggli ist die Schaltzentrale für eine extrem dichte musikalische Interaktion, die direkt seiner ureigenen Ideenwelt entspringt: „Es ist meine Band und mein Konzept, es sind meine Stücke. Das habe ich mir alles selber ausgedacht. Ich bin natürlich drauf angewiesen, dass das von guten Leuten gespielt wird. Dann stimmt’s halt (lacht…)! „Zu den guten Leuten, die in Nigglis künstlerisches Konzept passen, gehören seit 2002 der überragende Schweizer Klarinettist Claudio Puntin, seit 1999 das amtliche deutsche Nachwuchs-Talent auf der Posaune, Nils Wogram, außerdem Gitarrist Philipp Schaufelberger und Peter Herbert am Bass – allesamt Interpreten mit bestechender Ausdrucksstärke und ebensolcher stilistischer Wendigkeit, die bei allen aus dem Zuhausesein in verschiedenen ästhetischen Kontexten erwachsen ist. Und sie sind – was für Lucas Niggli noch mehr zählt – „echte Charakterköpfe hinter den Instrumenten. Ich verstand auf Anhieb, was Nils und Claudio spielten, und auch umgekehrt war es so. Ein ständiges, intuitives Geben und Nehmen.“ „Mit einem Trommelwirbel“ kam er in Kamerun zur Welt, verrät humorig der erste Satz der Biografie auf seiner Website – ein Symbol für die zupackende, jugendlich anmutende Energie des 35-Jährigen? Nigglis Kindheits-Erinnerungen an Afrika sind intensiv, aber diffus. Mit vier bekam er seine erste Trommel geschenkt. Das Elternhaus war musikalisch aufgeschlossen und liberal. Er konnte seinen kreativen Weg gehen, brauchte sich nicht aufzulehnen: „Ich war ein Kind des anything goes.“ Aber: „Ich musste mich zwischen so vielen Möglichkeiten entscheiden.“ Schon früh besann er sich aufs Autodidaktische, wollte keine Zeit auf dem Konservatorium vergeuden. Wenn er mal Lehrmeister hatte, verweist er vor allen anderen auf den Landsmann Pierre Favre. Aber ihm imponieren auch einige herausragende Rock- und sogar Metal- Schlagzeuger, etwa Dave Lombardo von Slayer oder der einstige Zappa-Schlagzeuger Terry Bozio, dessen impulsiver Körpereinsatz beim Spiel möglicherweise auf Niggli abgefärbt hat. Seit er 17 war, gibt Niggli Unterricht, und das mit Leidenschaft. In anarchischer Aufbruchsstimmung verklärt sind die Anfänge seiner Bands, und da muss er heute ziemlich drüber lachen: „Wir haben damals wirklich alles ausprobiert. Das waren manchmal ganz schön grausame Sachen.“ Aber wer damit Anfang 20 schon nach eigenem Bekunden ein Spektrum zwischen Morton Feldman und Frank Zappa wiederspiegelt, kann so falsch nicht liegen. Er engagierte sich kulturpolitisch, gestaltete lange Jahre die Arbeit eines Schweizer Dachverbandes für Jazzmusiker, der zum Beispiel über die angemessene Präsenz von guter Musik in den Funk-Medien wacht. Stark prägte ihn die aktive Mitgestaltung der Label-Arbeit von Unit-Records, einem wichtigen Zentralorgan für die überaus vitale und facettenreiche Schweizer Musikszene. Stefan Pieper Service
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