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Wie viele werden an seinem 40. Todestag an ihn gedacht haben? Bereits bei seinem Tod wussten nur wenige Musiker, darunter Mingus, Shepp und Swallow, dass eine Vaterfigur der Avantgarde von ihnen gegangen war. „The Prophetic Herbie Nichols“ war 1955 nicht nur ein typischer Blue-Note-Plattentitel, es war alles andere als übertrieben. Propheten verkünden zukünftige Entwicklungen, Nichols nahm sie schon vorweg. Doch der Prophet gilt bekanntlich nichts im eigenen Land oder zu Lebzeiten – außer bei einigen Kollegen. Wenn Nichols eines seiner seltenen Konzerte gab, saßen Pianisten wie Thelonious Monk, Cecil Taylor oder Randy Weston im Publikum, Größen, deren Zeit selbst noch nicht gekommen war. Für Nichols kam sie nie. Obwohl er schon 1938 in Clark Monroes Uptown House zu den Experimentatoren gehört hatte, die den Bebop vorbereiteten, verdiente er meist sein Brot als meist als Dixieländer, gelegentlich an der Seite von Swing-Größen wie Rex Stewart oder im R&B-Umfeld. Doch als seine Neutönerschaft durch seine Blue-Note-Aufnahmen mit Art Blakey und Max Roach ruchbar wurde, ging man ihm aus dem Weg, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Aus heutiger Sicht ist die Ablehnung der Zeitgenossen nicht leicht nachzuvollziehen. Bestimmte harmonische Kühnheiten, die damals irritiert haben müssen, sind uns spätestens seit Coltrane in Fleisch und Blut übergegangen. Vor allem aber hat das Werk seines Freundes Thelonious Monk einen so allgegenwärtigen Kultstatus, dass man den geistesverwandten Nichols bedenkenlos zum Imitator degradiert. Nichols ist aber ebenso wenig ein Monk-Schüler wie Kraus ein Mozart-Epigone. „Seit ich das erste mal Monk hörte, war ich von niemanden mehr so begeistert gewesen“, meinte Blue-Note-Chef Alfred Lion. Für eine Kopie des Pianisten, den er 1947 gefördert hatte, hätte der Produzent von Powell, Davis und Blakey sicher nicht so geschwärmt. Eines
seiner hintergründig verwirrendsten Gestaltungsprinzipien ist
Nichols eigentümlicher Umgang mit der Form. Seine Kompositionen
gehen oft von geläufigen Formschemata wie der 32taktigen AABA-Form
aus; sie wird aber dadurch verfremdet, dass sie bei Nichols gar nicht
aus regelmäßigen achttaktigen Perioden besteht. Auf damalige,
zum Teil auch heutige Hörer, wirkt selbst eine swingend phrasierte
Improvisation über solch ein Formschema, so als würden Teile
weggelassen oder hinzu gefügt. Marcus A.Woelfle |
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