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Erika Stucky in ihrem Arbeitsdress – viel zu weites Blümchenkleid, viel zu undurchsichtige Strumpfhosen – spielt Doris Day. Das kann was werden. Das wird auch was. Sie nimmt den Juste milieu-Fatalismus („what ever will be will be“) beim Wort und „Que sera“ in die Performance-Mangel: die Strophen werden rasch hingenuschelt, die Botschaften konsequent destruiert. Erika Stucky ist definitiv kein deodoriertes Blondchen und sie stellt mit einem Dean Martin-Zitat klar, was sie von der Virgin-Bewegung der 50er Jahre hält: „Ich habe Doris Day gekannt, bevor sie eine Jungfrau war.“ Dazu deutet sie eine kleine obszöne Geste an, die weitere Klarstellungen überflüssig macht. Erika Stucky hat zwar, manchmal, eine Quetsche vor dem Bauch, sie singt auch in allen Stimm- und Gefühlslagen, aber ihr Programm „Mrs. Bubbles & Bones“ ist mehr als „nur“ schräger, avantgardistischer, grenzgängerischer Jazz; eher so etwas wie ein multimediales Gesamtkunstwerk und wenn Ms. Stucky nicht Journalisten, die zu solchen Etikettierungen neigen, mit dem Schlimmsten, ihrem Spott nämlich, gedroht hätte, könnte man hinzufügen: „sehr gescheit“. Natürlich gibt es an diesem Abend Eigenkompositionen, Virtuoses, ja Virtuositäts-Posing in ungewöhnlicher Besetzung (Jon Sass, Tuba und Bertl Mütter, Posaune). Aber am meisten sie selbst ist Erika Stucky, wenn sie verehrt und denunziert. Stucky-Coverversionen sind nicht einfach die nachgesungenen und –gespielten Lieder anderer, sondern rasch und heftig hinskizzierte Soziogramme, Sehnsuchts- und Verzweiflungsgeschichten auf autobiographischem Grund, Urschrei-Therapien mit fremdem Material, das längst den Bodensatz des eigenen Herzens bildet. Wenn Erika Stucky „Helter Skelter“ singt, dann liegt eine ganze Kultur auf der Couch (und wir mit ihr), dann schleicht noch einmal Charlie Manson mit dem Hackebeilchen durch unsere wüstesten Träume – oder war das ein anderer und Sharon Tate, auch blond, am Ende keine Virgin. Erika Stucky ist längst Sting und röhrt im besten Crooner-Stil seiner „Roxanne“ hinterher, dann wird sie zu einer Ehren-Sister „in the hood“, dort wo kein anderes Bleichgesicht ungestraft seine Füße hinsetzt, erzählt und singt zwischendurch. Und während sie singt, sehnt man sich nach ihren Conférencen, und während sie erzählt, nach noch einem Song, den man wiedererkennt und dann doch wieder nicht. Wunderbarer Abend. Eigentlich lässt sie sich nur zu einer kleinen Schwäche
hinreißen: einer Zugabe nämlich, die zeigt, wo ihre Grenzen liegen. Helmut Hein |
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