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 2001/03

 seite 26
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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 02/2001


Inhalt 2001/03

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Friedrich Guldas Vermächtnis auf einer DVD
CD-Anthologie mit Free Jazz aus der DDR

education
Keine zwei Welten.
Auch Kinder sind für Jazz empfänglich

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Wichtige Ziele erreicht.
Wie funktioniert eigentlich Jazzförderung in Bayern?
Service: Die Feierlichkeiten

medien/service
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Rezensionen 2001/03
Service-Pack 2001/03 als pdf-Datei ( Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV Jazz in Bayern und anderswo (223 kb))

 

Keine zwei Welten

Auch Kinder sind für Jazz empfänglich

Der Jazz ist ein wesentlicher Teil der Musik des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Er entwickelt sich ständig weiter. Viele kunstvolle Improvisationen seiner großen Solisten und viele komplexe Klangbilder und Strukturen seiner bedeutenden Ensembles sind bereits in die Musikgeschichte eingegangen, werden von kompetenten Fachleuten analysiert und interpretiert. Wie Werke der klassischen Musik werden Arrangements und Kompositionen, Spielweisen und Improvisationsformen der Hauptstile der Jazzgeschichte von unzähligen Musikern in aller Welt zum Klingen gebracht; Hauptkriterium ist hier wie dort Fantasie und Qualität. Das Verhältnis zur Neuen Musik, der Nachfolge der klassischen Musik im 20. Jahrhundert, ist das eines Gegenentwurfs; der Jazz ist zwar nicht als solcher entstanden, aber er hat sich dazu entwickelt.

Nicht jede Trompetensection kann auf Anhieb überzeugen. Foto: Die Glocke Bremen

Wie kommen Kinder als Zuhörer damit zurecht? Sehr gut, wenn die Art der Musik selbst und die Umstände ein Sich-vertraut-Machen ermöglichen. Zahlreiche meiner Konzerte, Workshops, Kurse und Vorträge seit Ende der 50er-Jahre haben mir dies hinlänglich bewiesen. Wenn Kinder sagen, sie könnten mit Jazz nichts anfangen, so geschieht dies – wie ich immer wieder festgestellt habe – fast nie aus eigener Wahrnehmung und aus eigenem Urteil heraus, sondern weil ihnen andere, die meist ebenso wenig wissen, Negatives erzählt haben.
Kinder finden am ehesten Zugang zu Musik, wenn sie sie live erleben. Darum ist es wichtig, dass ihnen der Musiklehrer in der Schule immer wieder selbst etwas vorspielt und dass er, wie auch die Eltern, mit ihnen in Konzerte geht. Auch Konzerte von Gruppen, die zu einer Veranstaltung in die Schule eingeladen werden, können sehr wirkungsvoll sein. Ich hatte in den 70er- und 80er-Jahren viele solcher Auftritte in Schulen in der ganzen Bundesrepublik. Zu Beginn stellte ich die Instrumente einzeln und im Zusammenspiel vor und erläuterte dann den Aufbau eines einfachen Stückes im Trio (Klavier, Bass, Schlagzeug) und die rhythmisch/harmonischen Elemente, auf denen es basierte. Dann wurde dieses ziemlich kurze Stück gespielt.

Jazz zum Anfassen

Anschließend kam ein zweites, etwas längeres, mit etwas weniger Erklärungen. Und so ging dieser erste Teil unmerklich in ein normales Konzert mit kurzen Hinweisen über, wobei das Ganze je nach dem Alter und den Reaktionen der Schüler spontan modifiziert wurde. Auch die Reihenfolge der Stücke, vorher nach sorgfältiger Überlegung festgelegt, konnte spontan verändert werden. In der Pause, die oft lange dauerte, weil das Interesse von Schülern wie Lehrern sehr groß war, konnten diese auf die Bühne kommen und mit allen Musikern reden, die bei ihren Instrumenten blieben, ebenso nach dem Ende des Konzertes.

Dieses Beispiel soll zeigen, wie Musik in der Schule lebendig gemacht werden kann. Kinder brauchen den direkten Kontakt zu Menschen, die Musik machen. CDs, Videos und das Internet können dies ergänzen, aber nicht ersetzen.

Elemente und Aufbau von Jazzstücken lassen sich Kindern ohne weiteres erklären, wenn man den Jazz sehr gut kennt und solche Stücke auswählt, die für die Kinder verständlich sind. In allen fünf Hauptformen des Jazz (Dixieland, Swing, Bebop, Free Jazz und Fusion Jazz) gibt es solche Stücke. Die genaue Kenntnis der Jazzgeschichte und der Jazzpraxis ist freilich eine Voraussetzung, um auf die Kinder einzugehen und alle ihre Fragen beantworten zu können und um auf ihre Reaktionen wiederum richtig reagieren zu können. Es geht ja darum, ihnen Qualität zu vermitteln, ohne sie zu überfordern.

Jazz professionell

Was nicht geht, ist die Substanz von Jazzstücken zu pädagogischen Zwecken zu „verdünnen“, das wäre eine Mogelpackung. Gewiss kann ich im Jazz und gerade dort (wegen seiner additiven Strukturen) beim Erklären mit einzelnen Rhythmen, Akkorden, Melodien und Klängen arbeiten und wie bei der Darstellung einer einzelnen Zelle in der Biologie den Keim zum Ganzen aufzeigen. Aber auch diese einzelnen Elemente müssen den Kindern in gewissermaßen professioneller Qualität dargeboten werden, ob mit Klatschen, Sprechen, Singen oder am Klavier. Dann – und nur dann sind sie zu überzeugen. Können Kinder auch selbst Jazz spielen? Dafür habe ich genügend Beispiele erlebt, um diese Frage eindeutig bejahen zu können. Schon in den 70er-Jahren leitete Karl Heinz Buhne, einer der Pioniere der Schul-Big-Bands in Deutschland am Albert-Magnus-Gymnasium in Beckum (bei Dortmund) zwei BigBands: eine deren jüngste Mitglieder 14 Jahre und eine zweite, deren älteste Mitglieder 14 Jahre alt waren. Seitdem sind viele hunderte von Schul-Big-Bands an unseren Gymnasien und Realschulen entstanden – Tendenz steigend. Der zehntausendste Teilnehmer (seit 1972) meiner Burghausener Jazzkurse im August 2000 war zufällig der 13-jährige Pianist Manuel Stübinger aus Kulmbach, der dann beim Abschlusskonzert als Begleiter wie auch als Solist auffiel. Solche Fälle hat es in den 28 Jahren der Burghausener Kurse immer wieder gegeben, und zwar auf allen möglichen Instrumenten. Generell lässt sich sagen, dass im Schnitt die Spieler und Spielerinnen im Jazz immer jünger werden und zugleich in ihrer jeweiligen Altersgruppe immer besser.

Jazz solistisch

Kinder lernen schnell, wenn sie an einer Sache Spaß haben, und sie lernen gerne in einer Gruppe. Das für den Jazz typische Wechselspiel zwischen Arrangement und Improvisation wie auch das gleichzeitige Improvisieren mit verschiedenen Freiheitsgraden ist für sie sehr anregend. Freilich müssen einige ihre Unsicherheit vor dem Improvisieren überwinden lernen. Hier macht sich der Umstand negativ bemerkbar, dass Improvisation immer noch nicht überall als selbstverständlich angesehen wird und im allgemeinen Musikunterricht praktisch kaum vorkommt. Aber in den meisten heute in der Entwicklung befindlichen Musikformen gibt es sie, und man kann ohne Übertreibung sagen: der Improvisation gehört in der Musik ein großer Teil der Zukunft. Schon in ein paar Jahren sollten Musikstudenten bei einer Aufnahmeprüfung auch Fähigkeiten im Improvisieren nachweisen – und ebenso auch die, die sie beurteilen. Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt: der Ausbildung der zukünftigen Musiklehrer. Der Bundesfachausschuss Musikpädagogik des Deutschen Musikrats (DMR) hat in den letzten zwei Jahren mit weiteren Fachleuten ein Memorandum ausgearbeitet, das im Februar 2000 vom Präsidium des DMR verabschiedet wurde. Darin wird festgestellt, dass die Ausbildung musikpädagogischer Berufe wesentlich berufs- und praxisbezogener als bisher erfolgen muss.

Hierzu einige Gedanken: Musik muss an unseren Schulen einen höheren Stellenwert bekommen. Die Situation in Frankreich, wo es außer an einigen Spezialinstituten an den allgemein bildenden Schulen keinen Musikunterricht gibt, etwa nach dem Motto: wer sich für Musik interessiert, kann ja zu einem Privatlehrer oder an eine Musikschule gehen, ist für uns inakzeptabel. Die Inhalte unserer Musiklehrpläne sind veraltet. Der Musik des 20. Jahrhunderts und der unseres jetzigen, des 21. Jahrhunderts, muss mehr Platz eingeräumt werden. Wie können wir Kinder und Jugendliche überzeugen, wenn wir uns nicht zu der Zeit bekennen, in der sie und wir leben?

Wenn sich die Ausbildung der Musikpädagogik-Studenten ändern soll, dann muss sich auch die Einstellung und die Arbeit ihrer Ausbilder, also der Professoren ändern. Der Theorieunterricht und die Geschichte muss auf eine breite stilistische Basis gestellt werden, entsprechend der Vielzahl von Musikformen, denen unsere Kinder heute begegnen. Dazu brauchen wir eine Allgemeine Musiktheorie, die diesen Namen wirklich verdient. Sie beschreibt das kleinste gemeinsame Vielfache aller Musikformen. Die klassische Musiktheorie, die Jazztheorie, die Theorien der Rockmusik, der Latinmusik oder der klassischen indischen Musik sind allesamt Spezialtheorien. Es fehlt die begriffliche Erfassung des gemeinsamen Unterbaus. Der Praxisunterricht (Instrumentalunterricht, Gesangsunterricht, Ensembleleitung, Arrangement/Komposition) bedarf ebenfalls einer viel größeren stilistischen Breite, ohne dass die zukünftigen Musiklehrer gleich überall zu hochprofessionellen konzertierenden Künstlern werden müssen. Das Ziel heißt: soviel Breite wie möglich, soviel Tiefe wie nötig. Didaktik und Methodik bedürfen einer viel stärkeren Umsetzung in Form von längeren Praktika an Schulen von den ersten Semestern an.

Joe Viera

 

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