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Eine Zeit lang schien es, als kämen bemerkenswerte neue Gesangstalente von überall her – nur eben nicht mehr aus dem Mutterland des Jazz. Jetzt aber ziehen zwei außergewöhnliche US-Vokalisten international und ganz zurecht die große Aufmerksamkeit auf sich: Gretchen Parlato und Gregory Porter. Die beiden könnten kaum unterschiedlicher sein, schon von der Statur her. Sie: ein winziges, zartes Persönchen, das locker in einen handelsüblichen Rucksack passt. Er: ein Bär von einem Mann, den man sich auch gut als Football-Profi vorstellen kann. Dann die Stimmen: während Gretchen Parlato immer etwas verhuscht vor sich hin haucht und den Kopf ständig in den Wolken zu haben scheint, präsentiert sich Gregory Porter als mächtig geerdeter Sänger mit enormem Volumen – ein Crooner mit bluesig-rauen und doch ungemein eleganten Phrasierungen. Was die Stimmkünstler gemein haben? Sie stehen beide für das ganz große Gefühl. Foto: Ssirus W. Pakzad Ein Bauernhof im oberösterreichischen Diersbach, nahe Passau. Hier wird gleich Paul Zauners Blue Brass mit den „Great Voices of Harlem“ proben. Aber noch ist es nicht so weit. Während Instrumente aufgestellt und Monitore in Position gerückt werden, schlendert dieser Hüne durch den einstigen Schweinestall, der zu Pfingsten das INNtöne Festival beherbergt, und singt die Hühner an, die um seine Beine herum stolzieren. Ist einer Legehenne wahrscheinlich auch noch nicht passiert, dass sie mit einem Nat King Cole-Song angeschmachtet wird. Wie wird sich das wohl auf die Eierproduktion auswirken? Gregory Porter singt eigentlich immer – auf der Bühne und auch abseits. Jede Probenunterbrechung nutzt er und summt oder schmettert vor sich hin – mit reichem Gestenrepertoire. „Es stimmt“, sagt er mit breitem Grinsen. „Musik zirkuliert ständig in meinem Kopf, und sie muss einfach raus. Schon als vierjähriger Knirps trällerte ich diesen eigentlich ziemlich albernen Song „Sweet Peas On Rye“ in Variationen oft eine Stunde lang vor mich hin.“ Knuspriges TimbreFotos: Ssirus W. Pakzad Mit Ende 30 erst, vor zwei Jahren also, veröffentlichte der in Brooklyn lebende Kalifornier sein Debüt „Water“ (Motéma) und spätestens jetzt, mit der Veröffentlichung des Nachfolge-Albums „Be Good“ (Motéma) ist ein Hype um den Grammy-nominierten Sympathen mit der nur das Gesicht frei legenden Dauer-Kopfbedeckung (er kaschiert schwere Halsnarben) ausgebrochen. Musikerkollegen und Rezensenten überschlagen sich und sprechen von der Zukunft des Jazzgesangs – im Down Beat bekam Porters CD eine 4 ½ Sterne Besprechung. Was macht alle an diesem Sänger so verrückt? Es ist wohl diese Charakterstimme, in der alle Tugenden von Jazz, Soul, Blues, R & B und Gospel verschmelzen, dieses knusprige Timbre. Und dann klingen seine meist selbst geschriebenen Stücke jetzt schon wie Klassiker, auf die man nie verzichten wollte. Was er in seinen mitreißend vorgetragenen Kompositionen erzählt, ist so persönlich gefärbt, dass es dem Sänger auf der Bühne schon mal die Tränen in die Augen treibt. „Erst vor ein paar Tagen in Chicago, bei einem Song für meine Mutter, konnte ich plötzlich nicht weiter singen und mein Pianist musste für ein paar Minuten übernehmen.“ Gregory Porter schluckt. „Es gibt Songs, die machen mir zu schaffen, etwa das Titelstück meines Albums ‚Water‘ – es ist ein Gebet für die Afrikaner, die sich von den Sklavenbooten lieber in die Freiheit des Todes stürzten, als in eine Zwangsheimat verbracht zu werden“, sagt er mit stockender Stimme. „Andere Stücke haben viel mehr mit meiner persönlichen Geschichte zu tun. Aber jede persönliche Geschichte ist immer auch eine universelle Story – schließlich haben andere Menschen das Gleiche oder Ähnliches durchgemacht wie ich.“ Auch Gretchen Parlato spricht von universellen Wahrheiten, die in Texten stecken können. Auch sie schreibt, wie Porter, viele ihrer Lyrics selbst (nachzuhören etwa auf dem aktuellen Album „The Lost And Found“/ObliqSound). Ihre Zeilen stecken voller Metaphern, poetischer Wendungen. „Ich bin eigentlich damit aufgewachsen, Standards zu singen“, erzählt die mit russisch-schwedisch-irisch-italienischem Background ausgestattete Kalifornierin. „Viele dieser Songs sind so vollkommen. Und obwohl einige aus heutiger Sicht etwas altmodisch und überholt scheinen, bleiben sie doch zeitlos. Denk nur an die Texte von Cole Porter und Ira Gershwin. Ich dachte mir früher immer: wenn ich es nicht schaffe, etwas zu schreiben, das neben den Klassikern der Jazzgeschichte bestehen kann, macht alles keinen Sinn. Aber irgendwann begriff ich, dass jeder Mensch etwas Persönliches zu erzählen hat. Auch ich. Warum sollte ich das zurückhalten?“ Mut zum Schreiben gefasst hat sie durch kleine Weisheiten, die ihr etwa Wayne Shorter, einer ihrer Lehrer am Thelonious Monk Institute vermittelte. Er sagte: „Warum sucht du nach Gold, wenn du Silber vor dir hast.“ Shorter gehört wie andere Prominente, etwa Herbie Hancock, Terence Blanchard, Kenny Barron oder Esperanza Spalding, zum immer größer werdenden Fan-Gefolge der stilistisch so flexiblen Sängerin, die 2004 die Thelonious Monk International Jazz Vocals Competition gewann (in der Jury saßen damals Dee Dee Bridgewater, Al Jarreau, Kurt Elling, Quincy Jones, Flora Purim und Jimmy Scott). Die Jazzgrößen sind einer zierlichen Elfe verfallen, die mit ihren Gedanken stets in einem Paralleluniversum zu kreisen scheint, die mit sanfter, entrückter, manchmal auch leicht gepresster Stimme ganz eigentümlich singt und einen mit ihrem Wesen und ihrem Vortrag irgendwie in ihren Bann zieht. „Stimmt schon – in der Hinsicht bin ich eine echte Künstlerin. Ich habe den Kopf immer ein wenig in den Wolken“, sagt die 36-Jährige, gefolgt von einem jugendlich frischen Lachen. „Ich glaube nicht, dass ich bewusst anders singen und die Welt oder die Wahrnehmung der Menschen ändern wollte.“ Sie kichert. „Mein Ziel ist nur, mich stets der Ehrlichkeit zu verpflichten. Alles, was ich singe und tue, folgt dem, was ich als natürlich empfinde und kommt aus einem reinen Herzen heraus.“ Ssirus W. Pakzad
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