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Ein blaues Wunder erlebte, wer in diesem März die Jazzwoche im oberbayerischen Burghausen besuchte. Azur der Frühlingshimmel, wie bei Petrus persönlich bestellt. In zartem Bleu die Fassade des prunkvollen Stadtsaals. Und überall kreuz und quer schießende Blue Notes – in der Wackerhalle, im Mautnerschloss, im GUM, in den vielen Lokalitäten, die links und rechts die „Street Of Fame“ säumen. Burghausen – eine Stadt im Ausnahmezustand. Marius Neset auf dem Burghauser „Walk of Fame“. Foto: Ssirus W. Pakzad Irgendwie scheinen sie hier alle jazzverrückt zu sein in dieser gerade 18.000 Einwohner zählenden Gemeinde im Landkreis Altötting. Viele Bürger engagieren sich hier ehrenamtlich für ihr Festival. In bald jedem Schaufenster ist ein Bekenntnis zur improvisierenden Musik zu finden und wer als Auswärtiger durch die Straßen der wunderschönen Altstadt an der Salzach wandelt, spürt irgendwie, dass die Bürger stolz darauf sind, dass sie hier in der malerischen Provinz schon fast alle gespielt haben, die Großen des Jazz. Die in den Boden der „Street Of Fame“ eingelassenen Reliefplatten künden von der stolzen Geschichte der Jazzwoche Burghausen, die in diesem Lenz ihre 43. Ausgabe feierte und damit zu den ältesten Festivals der Welt gehört. Musikalisch ist diese Traditions-Veranstaltung eine Sache für sich: genau genommen finden hier mehrere Festivals in einem statt. In der Wackerhalle geht das eigentliche Hauptprogramm über die Bühne – hier hört man ausschließlich Erwartbares, Mainstream, Musik für eine willige breite Masse, die der Veranstalter aus kaufmännischer Sicht auch braucht. Die Kreativität zählt hier weniger als große Namen. Flops wie die Jazzkantine oder der anachronistische Auftritt des früher so relevanten Trompeters Nicholas Payton ließen sich anhand der letzten CD-Veröffentlichungen vorausahnen. Die Künstler wurden trotzdem gebucht. Sonst bot die große Bühne mal gepflegte, mal knackige Unterhaltungsmusik, ob sie nun vom Funkbassisten Marcus Miller, von der Sanges-Diva Dianne Reeves, von den etwas jamlastigen Jazz Masters All Stars oder vom Latin-beeinflussten Jazz eines Vana Gierig stammte. Ein Konzert in der Wackerhalle fiel aus dem Rahmen, der verstörend intime, irgendwie abwesende Auftritt des Altsaxofonisten Lee Konitz (mit dem Trio Minsarah), der verloren in seinem Kosmos kreiste und bei aller Brüchigkeit des Vortrags manchmal leuchtende kleine, unendlich berührende Wendungen in die Weiten des Saals spielte. Wer in Burghausen auf wirkliche Entdeckungsreisen gehen will, der muss sich für die vielen Nebenschauplätze interessieren, kann etwa in den Jazzkeller des Mautnerschlosses hinabtauchen, wo das dänisch-englisch-schwedische Trio Phronesis jeden Abend unverschämt virtuos die Gangarten wechselte und einmal mit dem Saxophonisten Marius Neset einen kommenden Star des Jazz begrüßte. Der Stadtsaal Burghausens bleibt für avancierte Reihen reserviert. Hier wurde mit Malte Schillers „Red Ballon“ der Gewinner des äußerst spannenden 4. Europäischen Nachwuchs-Jazzpreises verdient gekürt, hier stellten sich zum wiederholten Mal vier vielversprechende Formationen der „Jazz Thing – Next Generation“-Reihe vor. Und hier findet traditionell am Festival-Samstag ein Avantgarde-Special statt – diesmal waren zwei Großformationen nach Burghausen gereist. Das Tied & Tickle Trio & Billy Hart wartete mit ungewöhnlichem Instrumentarium auf und ließ mal sanfte, mal bedrohliche Stimmungen aufziehen. Und das (durch Mitglieder der hr-Bigband aufgestockte) Large Ensemble des Schlagzeugers und Komponisten John Hollenbeck demonstrierte, was für ein Klangmagier der Chef ist. Bei ihm verbinden sich Minimal Music, Jazz, exotische Klangkulturen zu einer ganz eigenen Klangsprache mit gemorsten Akzenten, weit schweifenden Melodiebögen, betörenden Klangflächen und der Lyrik großer Dichter und Denker. Ssirus W. Pakzad |
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