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Als Kenneth Norville aus Beardstown, Illinois, 14-jährig anfing Marimba und wenig später Xylophon zu spielen, wählte er Instrumente, die für humoristische Einlagen oder groteske und folkloristisch-exotische Klangeffekte beliebt waren, aber noch alles andere als solistisch eingesetzte Jazzinstrumente. Red Norvo, Pionier der Mallets Seine Anfänge sind im Square Dance seines geigenden Vaters und dann noch in der Tanzmusik der Roaring Twenties zu suchen, die er als Steptänzer und Leiter eines Marimba-Ensembles pflegte. Er spielte sie auch noch, als er vom „King Of Jazz“ persönlich ins Orchester geholt wurde. Als dieser galt damals aber nicht etwa Armstrong oder Ellington, sondern ein Mann, der das Etikett „symphonischer Jazz“ auf sein Banner geschrieben hatte: Paul Whiteman. 1933, als er seine ersten Platten unter eigenem Namen vorlegte, wurde Whitemans Sängerin Mildred Bailey die erste Frau des Mannes, der dem Xylophon das Swingen beibrachte. Ihre Ehe währte zwölf für die Musikgeschichte fruchtbare Jahre. Bei Whiteman hat Norvo praktisch im Alleingang das eher als Kuriosum belächelte Xylophon in ein ernsthaftes, zu flüssiger Phrasierung und lyrischer Melodik fähiges Jazzinstrument verwandelt. Das war damals so ungewöhnlich, dass ein Musiker wie Rex Stewart meilenweit durch den Schneesturm fuhr, um sich mit eigenen Ohren zu überzeugen, ob an dem Xylophon-Gerücht etwas dran war. Zur Instrumentenwahl erklärte Norvo einmal: „Der Grund, warum ich mich fast ausschließlich auf Marimba und Xylophon beschränkte, war die Meinung: jeder kann das Vibraphon anschlagen, aber niemand kann auf Holz so spielen wie du. Ich fand auch den Metallklang unangenehm. Metall reagiert auch viel stärker, deswegen spielte ich Vibraphon lieber mit ausgeschaltetem Motor.“ Schon in den 20er-Jahren hatte Norvo die noch primitiven Urversionen des Vibraphons ausprobiert. Als er 1934 erstmals mit dem Vibraphon aufnahm, spielte er es schon so flüssig wie das Xylophon. Zwar hatte Lionel Hampton schon ab 1930 akkordisch Vibraphon gespielt, aber erst ab 1936, als er mit Goodman musizierte, lässt sich für Hampton ein vollausgereifter Solostil nachweisen. Ab 1943 konzentrierte sich Norvo dann doch auf das Vibraphon und 1944, als Mitglied des Benny Goodman Sextets, entschied er sich endgültig für dieses Instrument, das man ja mit seinem Amtsvorgänger Lionel Hampton assoziierte. Während aber Hampton recht laut und mit mehr Vibrato spielte, verzichtete Norvo darauf in der Regel und schlug die Mallets recht zart an. Die Aufnahmen der 40er-Jahre zeigen Norvo als Musiker im Zenit seines Schaffens, der wie nur wie wenige Jazzer der älteren Generation dazu prädestiniert war, zwischen dem tradtionellen und dem gerade aufblühenden modernen Jazzlager zu vermitteln. Vor allem 1945 entstanden unter eigenem Namen eine Fülle hervorragender, kaum bekannter Kleinode. Sie zeigen, dass seine Combo sogar ein Vorläufer des George Shearing Quintet war, das vier Jahre später mit der gleichen Instrumentierung Erfolg hatte. Ähnlich wie etwa für Coleman Hawkins bedeutete dem Swing-Pionier Norvo der Bebop kein schräges Chaos, sondern eine willkommene Erweiterung der musikalischen Möglichkeiten, die man selbst mit vorbereitet hatte und aus denen man nun auch als älterer Musiker schöpfen konnte. Als man Norvo am 6. Juni 1945 bei einer Aufnahmesession freie Hand bei der Wahl der Musiker ließ, organisierte er ein eigentümliches Septett aus anerkannten Swing-Musikern und Bebop-Revoluzzern, das als Red Norvo & his selected Sextet firmierte: Dizzy Gillespie (tp), Charlie Parker (as), Flip Phillips (ts), Teddy Wilson (p), Slam Stewart (b) und J.C. Heard beziehungsweise Specs Powell (dr). Bald darauf glänzte Norvo als Solist von Woody Hermans 1st herd und der „Woodchoppers“. Dort arbeitete er viel mit dem Trompeter und Arrangeur Shorty Rogers, der sein Schwager und Aushängeschild des West Coast Jazz werden sollte – ein Stil, in den Norvo sich mit seinem sanften Klang, durchsichtigen Linien, flüssiger Phrasierung, federndem Spiel nahtlos einfügte. Zahlreiche Aufnahmen der 50er-Jahre an der Seite von Größen wie Jimmy Giuffre oder Art Pepper beweisen, dass Norvo sich in der Umgebung seiner wesentlich jüngeren Kollegen wohlfühlte. Doch damit war Norvo nicht etwa auf einen modischen Zug gesprungen, er hatte die Lokomotive selbst dorthin gefahren. Mit subtil ätherischen Klängen war das Red-Norvo-Trio 1950 via Bebop schon im Cool Jazz-Lager gelandet, als sein hotter Kollege Hampton zur gleichen Zeit das Gegenteil machte, sich noch stärker an Boogie und R’n’B orientierte. Während der robustere Hampton hörbar vom Schlagzeug kam, hatte Red Norvo aus seiner Xylophonzeit für alle Zeiten einen gewissen holzigen, vibratolosen Touch bewahrt, was ihn zu solcher timbrisch ausgeklügelter, kammermusikalischer Raffinesse geradezu prädestinierte. Dieses Trio überzeugte durch ausgefeilte Arrangements und die traumwandlerisch sichere Interaktion mit dem Gitarristen Tal Farlow, dem „Octopus“ der Gitarristen und dem zukünftigen Bass-Titanen Charles Mingus. Die Arrangements existierten aber nur im Kopf der Musiker, niemals auf dem Papier. Als Norvo einmal den großen Arrangeur Eddie Sauter bat, etwas für sie zu komponieren, weigerte er sich mit den Worten: „Was da auf der Bühne musikalisch und emotional passiert hat mich überzeugt, dass kein Mensch das schreiben könnte, was ihr Jungs da tut.“ Als dann 1953 Tal Farlow durch Jimmy Raney und Charles Mingus durch Red Mitchell ersetzt wurden, beides exzellente Musiker, machte das Trio zwar immer noch herausragende Musik, war die Magie nicht ganz wiederholbar. Auch in anderen, oft ungewöhnlich instrumentierten Besetzungen zelebrierte Red Norvo eine bisweilen von europäischer Klassik inspirierte kammermusikalische Preziosität, die an den Cool Jazz von Combos wie das Chico Hamilton Quintet oder das Jimmy Giuffre Trio gemahnen. Ein typisches Beispiel lieferte das Red-Norvo-Sextett, zu dem der Flötist Buddy Collette, der Klarinettist Bill Smith, der Gitarrist Barney Kessel, der Bassist Red Mitchell und der Schlagzeuger gehörten, 1957 mit dem Album „Music To Listen To Red Norvo By“. Die letzten Jahrzehnte erlebte Red Norvo, der in seinem 91-jährigen Leben keinen musikalischen Stillstand kannte, an der Seite von Frank Sinatra oder früherer Weggefährten wie Benny Goodman und Tal Farlow. Trotz gesundheitlicher Rückschläge, insbesondere einer Ohrenoperation in den 60er- und einem Schlaganfall in den 80er-Jahren, pausierte seine Musik nie länger als nötig. Als der Poet des Vibraphons am 6. April 1999 91-jährig in Santa Monica, Kalifornien, verstarb, hinterließ er eine unübersehbare Schar von Schülern, Enkelschülern und Urenkelschülern. Denn jeder Jazzer, der heute Mallets spielt, kommt, selbst wenn er sich dessen gar nicht bewusst ist, direkt oder indirekt von Red Norvo. Marcus A. Woelfle |
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