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Jetzt darf geblödelt werden. Es ist Freitagabend und die Anspannung löst sich allmählich. Ralph Towner, Paul McCandless, Glen Moore und Mark Walker gehen noch mal in den Aufnahmeraum der Bauer Studios in Ludwigsburg und spielen sich dort den Stress von ihren Gemütern. Towner setzt sich den Flügel und stimmt irgend einen Standard an, Moore schleppt den Kontrabass neben ihn und spielt mit. Aus dem Schlagzeugraum ist ein schleppender Groove von Mark Walker zu hören. Paul McCandless schnappt sich seine Oboe, kommt aber nicht so recht zum Spielen, weil Ralph Towner sich gerade in der Kunst versucht, das Klavier zu bedienen, während er darunter liegt. Ungewohnt: Gitarrist Ralph Towner am Flügel. Foto: Klohr Die Vier von Oregon, womöglich das älteste existierende Jazzensemble, haben es geschafft. Vier Tage lang sind sie im Studio gestanden, haben Tonspur über Tonspur aufgenommen. Jetzt sind sie geschafft. Geschafft – und zwar im schwäbischen Sinne des Wortes (also gearbeitet) – wird derweil noch nebenan. Toningenieur Johannes Wohlleben müht sich mit dem Feinschliff für das 28. Album des Jazzquartetts. Der Mann hinterm Mischpult ist einer der Gründe, warum das über die halbe Welt verstreute Quartett sich ausgerechnet nach Ludwigsburg, gut eine halbe Stunde von Stuttgart entfernt, bemüht, um seinen neuen Tonträger aufzunehmen. „Johannes ist wundervoll“, sagt Towner, „und der Steinway-Flügel im Studio klingt zum Sterben schön.“ Überhaupt stimme hier im Tonstudio Bauer alles: nettes Team, perfekte Aufnahmetechnik, Oregons Musik gilt seit dem berühmten Jazzjournalisten Joachim-Ernst Behrendt als „Höhepunkt kammermusikalischer Integration“. Zu den Top-Acts wurde die Gruppe dennoch nie gezählt. Das liegt wohl zu einem großen Teil daran, dass man das Quartett in keine Schublade stecken kann. „Künstlerisch gesehen ist das ein Segen“, sagt Ralph Towner, der Mitgründer der Gruppe und bis heute ihr wichtigster Komponist ist. „In puncto Vermarktung ist es wohl eher ein Fluch.“ Was die Zuhörer auf dem neuen Album erwartet, kann oder will Towner nicht so recht in Worte fassen. „Ganz verschieden, wie immer“, sagt er vieldeutig. „Manches von dem neuen Zeug swingt so richtig“, findet Paul McCandless. Wie viele Blasinstrumente – Bassklarinette, Sopransaxophon, Oboe, Englischhorn – er auf dem neuen Werk spielt, weiß er allerdings nicht. Wieder einmal hat Ralph Towner das Gros der Kompositionen ins Studio mitgebracht. Wieder einmal greift Towner nur selten zu dem Instrument, für das viele ihn verehren – der akustischen Gitarre. Für manchen Hardcore-Fan muss das sein, als würde der Fußballstar Lionel Messi bei Barca zwischendurch als Torhüter brillieren. Oregon ist für Towner ein Spielfeld, auf dem er seine Kompositionen testen kann. Seine Klangvehikel sind hier das Piano, der Synthesizer oder die Synth-Gitarre. Unüberhörbar sind bei der neuen Aufnahme die Latin-Einflüsse. Ein gut achtminütiges, noch unbenanntes Stück, klingt mehr nach Brasilien als nach Oregon. Eine tänzerische Ode an die Spielfreude ist das, mit einem jubilierenden Sopransaxophon und einem Schlagzeugsolo, das seine Energie aus dem dynamischen, wohldosierten Einsatz der Basstrommel gewinnt. Wirklich erstaunlich sind jene drei kurzen Stücke, die im Studio aus kollektiver Improvisation destilliert werden. „Stritch“ etwa entwickelt sich aus einer minimalistischen Phrase der Synthesizer-Gitarre. Walkers Schlagzeug greift den Puls auf und macht daraus einen Groove, der nie ganz losbricht, sondern wie ein wilder Hund an der Leine gehalten wird. Dazwischen röhren grollende Einsprengsel von Moores Kontrabass. „Jurassic“ hingegen verharrt in lyrischen, impressionistischen Sphären, hier wabert das Keyboard vieldeutig im Hintergrund, während McCandless seine Bassklarinette auf die Suche nach einem Leitthema schickt. Die Entstehung dieser Klangskizzen beschreibt Ralph Towner mit der Dynamik eines zwischenmenschlichen Gesprächs. „Man unterhält sich und greift auf einen gewissen Wortschatz zurück. Und daraus, was die anderen sagen, entsteht eine eigene Dynamik.“ Voll des Lobes sind die altgedienten Bandmitglieder Moore und McCandless für den „Neuen“. Mark Walker nimmt bereits sein sechstes Album mit Oregon auf. „Am Anfang hat er erst mal lernen müssen, unsere Sprache zu verstehen“, sagt Paul McCandless, „inzwischen bringt er uns anderen etwas bei.“ Sein lateinamerikanischer Stil, geformt etwa in der Zusammenarbeit mit dem Saxophonisten Paquito d’Rivera, bringe neue Schattierungen in die Musik von Oregon. Die meisten Stücke auf dem neuen Album seien „First Takes“, verrät McCandless. „Es war oft so, dass unsere Kernaussage gleich bei der ersten Aufnahme rüberkam.“ Das Gros der neuen Stücke habe die Band auf den zwölf Stationen ihrer eben abgeschlossenen Europatour ausprobiert. Warum die musikalische Ehe nach mehr als vier Jahrzehnten Oregon noch immer stabil ist, lässt sich im Studio erahnen. Jeder Musiker darf mitreden, bringt seine klanglichen Vorstellungen ein. Towner bleibt dabei der unbestrittene Leitwolf. Trotz aller Ernsthaftigkeit wird viel geflachst, auch über eigene Fehler. Alle vier Musiker haben nebenbei noch etliche Projekte am Laufen, kehren aber regelmäßig für Oregon-Aufnahmen ins Studio zurück. Zurzeit geschieht dies auffällig oft. Das neue Album ist nach „1000 Kilometres“, „Vanguard Visionaries“ und „In Stride“ bereits die vierte Aufnahme in fünf Jahren. Laut Paul McCandless liege das am italienischen Band-Label CamJazz. Aber auch an der kompositorischen Produktivität Ralph Towners. „Unsere enorme Kreativität hält die Band am Laufen“, sagt Glen Moore und stellt klar, warum er trotz vieler Seitensprünge an der Oregon-Verbindung festhält. „Die Band ist für mich die Heimat, weil die drei Jungs für mich musikalisch meine besten Freunde sind.“ Markus Klohr |
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