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Die Helden der Siebziger werden älter. „Ich habe damit kein Problem“, meinte Bassist Stanley Clarke (60) unlängst in einem Interview. „Im Gegenteil: Es ist großartig, denn ich muss mich nicht mehr ständig beweisen“. Und so scheint es auch anderen Kollegen zu gehen. Die Gitarristen John Scofield (59) und Pat Metheny (57) beispielsweise haben nahezu zeitgleich Balladen-Alben veröffentlicht, die sie persönlicher, versöhnlicher denn je präsentieren. Im Kern geht es um die Erkenntnis der eigenen Historizität. Der Musikjournalismus kennt dafür den zuweilen inflationär gebrauchten Begriff der „Legende“, der, so er denn zutrifft, das Phänomen des Übergangs vom Visionär oder Pionier eines Genres zur Autorität und Bezugsgröße des jeweiligen Fachs umschreibt. Der Blick eines Künstlers richtet sich dann nicht mehr zwangsläufig in die Zukunft, der postromantische Jazz-Mythos des spontanen, nur der eigenen Intuition folgenden Originalgenies, der viele junge Musiker in eine selbst auferlegte Rastlosigkeit treibt, wird ausgehebelt und durch einen reflektierten Umgang mit Erinnerung ersetzt, der Kreativität durchaus in der Retrospektive zulässt. An die Stelle einer progressiven Haltung tritt eine konservative, wobei die linksassoziativen, aus den Siebzigern geerbten Wertungen dieser Ideenwelten inzwischen an Bedeutung verloren haben. Der Blick zurück ist nicht zwangsläufig nostalgisch, er muss nicht von der Melancholie des Verlustes der Jugendlichkeit geprägt sein, sondern ermöglicht Reflexion, Kritik und auch ein wenig Hochgefühl aus der Erfahrung heraus, dass manches in der Rückschau schlicht bedeutungsvoller war als anderes. Und so trifft eine Erinnerungswelle der mittleren Generation den Jazz der Gegenwart, der im Unterschied zu den abgeschlossenen Kosmen lexikalisierter Ahnherren à la Brubeck, Coleman oder Rollins noch Entwicklungsmöglichkeiten in alle Richtungen offen hält. Zum Beispiel Pat Metheny. Kaum ein anderer Musiker seiner Generation wird so mit Jugendlichkeit in Verbindung gebracht wie der Lockenkopf aus Missouri. Er ist der Turnschuhjazzer par excellence, der Junge im Ringelpulli, der nicht anders kann, als zum Instrument zu greifen und damit die Leute zu beglücken. Spieltechnisch über alles erhaben, was die meisten Gitarristen zur Verzweiflung bringt, mischt er seit bald vier Jahrzehnten in der Szene mit, hat Sounds und Stile geprägt und letztlich einen Maßstab für in ekstatische Klangräume mündende Ausdruckskraft gesetzt. Sein aktuelles Album nun heißt programmatisch „What’s It All About“ und führt Metheny zu den Ursprüngen zurück, die ihn beeinflusst haben. „Ich wollte einige Songs aufnehmen, die ich auf dem Schirm hatte, lange bevor ich selbst auch nur eine Note komponiert hatte“, kommentiert er die Auswahl der Vorlagen, die von Jobim über Simon & Garfunkel bis zu den Beatles reichen. „In manchen Fällen handelt es sich sogar um Songs, die ich kannte, lange bevor ich ein Instrument in die Hand genommen habe. Ich wurde 1954 geboren, und während meiner Kindheit und meiner frühen Jugend befanden sich alle diese Songs irgendwann einmal in den Top 40. Es war damals eine Epoche, in der Harmonie und Melodie sehr wichtig waren und grundlegende Elemente in der Pop-Musik darstellten. Jeder dieser Songs besitzt etwas, was auf der musikalischen Ebene hip ist, ganz egal wie man es spielt. Und jeder von diesen Songs hat mich über all die Jahre begleitet“. Pat Methenys künstlerische Vorstellung unterscheidet sich diesmal jedoch von früheren Erinnerungsmodellen. War etwa „Beyond The Missouri Sky“ (1997) im Duo mit Charlie Haden eher eine Stimmungswanderung mit folkloristischen Bezügen, so stellte „Orchestrion“ (2010) die Erfüllung eines Kindheitstraumes dar, der den Gitarristen als großen Buben mit leuchtenden Augen im Angesicht seines gigantomanischen Spielzeugs präsentierte. „What’s It All About“ hingegen ist geprägt von einer Ehrfurcht der Interpretation, die den Saitenderwisch zum reflektierten Fan werden lässt. Keines des Lieder wird in Frage gestellt. Metheny versucht vielmehr, die jeweiligen Qualitäten besonders in den Mittelpunkt zu stellen, das Pastorale von „Sounds Of Silence“, das Epische von „Garota de Ipanema“ oder das Verliebte von „Betcha By Golly, Wow“. Im Fall von „And I Love Her“ geht er soweit, das Beatles-Original quasi ohne Kommentar zu übernehmen, um die Schönheit der Melodie wirken zu lassen. Dieses Unaufgeregte aber zeigt eine Qualität der Deutung, die über das eigene Künstlertum hinaus geht. „What’s It All About“ ist ein Manifest der Gelassenheit und da trifft sich Pat Metheny mit seinem Saitenkollegen John Scofield. Dessen Album heißt „A Moment’s Peace“, aufgenommen im Quartett mit Keyboarder Larry Goldings, Bassist Scott Colley und Brian Blade am Schlagzeug. Und auch Scofield nimmt Abstand vom Muskelspiel zugunsten der Wirkung der Kompositionen: „Entspannt zu sein, aber die Musik zugleich frisch und energetisch klingen zu lassen, das ist die Kunst. Ich habe versucht, die Musik ziemlich einfach klingen zu halten, so dass jeder nur zu spielen brauchte. Wenn man mit solchen Persönlichkeiten zusammenarbeitet, dann sollte man sie einfach machen lassen. Die Musik ergibt sich dann ganz von selbst“. John Scofield sucht das Karma des Augenblicks und das lässt sich nur finden, wenn das Inventar der Erfahrungen ohne wertende Einschränkungen genutzt werden kann. Die Stücke von „A Moment’s Peace“ stammen von Paul McCartney oder Carla Bley, Standards sind dabei, insgesamt ein Programm, eingängiger, kleiner, aber bewegender Melodien, die von dem Gitarristen und seinen Freunden mit einer Zärtlichkeit behandelt werden, die sich Jazzmusiker nur selten leisten, weil so etwas im Diskurs gerne mit Kitsch in Verbindung gebracht wird. Aber das ist gerade die Kunst der Empathie, die im Idealfall zusammen mit der Erfahrung wächst. Es ist eine Frage des Respekts, den der Übermut des Juvenilen gern beiseite wischt. Eines Respekts, der nichts mit Unterwürfigkeit, dafür aber viel mit der Loslösung vom Narzissmus des Genialischen zu tun hat, mit einer Form von humorvollem Gleichmut gegenüber den Unabänderlichkeiten des Lebens. Und damit mit dem, was das Älterwerden zum Genuss machen kann. Pat Metheny und John Scofield jedenfalls klingen mit ihren aktuellen Alben zeitloser denn je. Ralf Dombrowski
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