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Außer dem Nachthimmel ist wirklich nichts lau an diesem Südtiroler Festival, auch wenn es – oberflächlich gesehen – manchmal den Anschein hat, es gehe hier um Kulinarik und Unterhaltung: Selbst beim Event für den Hauptsponsor bleibt den geladenen Ehrengästen im Abendkleid und dunklen Anzug zeitgenössischer Jazz nicht erspart. Und das Beste: Die Gäste scheinen sich nicht zu langweilen. Fünf Jahre Hörschulung durch Festivalleiter Klaus Widmann haben ihre Spuren hinterlassen. Andreas Kolb, Chefredakteur der Jazzzeitung, besuchte am letzten Festivalwochenende fünf Konzerte, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, die aber Eines verband: ihre künstlerische Kompromisslosigkeit.
Beginnen wir mit einem Ohrenöffner: Ein Pianist, André Roligheten, und ein Tenorsaxophonist, Eyolf Dale, beide aus dem Jazzland Norwegen stammend, verwandeln die intime Atmosphäre des Innenhofs vom Weingut Klosterhof in Kaltern in eine bizarre Hörlandschaft. Die Akustik ist perfekt und anstelle zeitgeistiger Videoinstallationen – wie des Öfteren auf dem Festival gesehen – ziehen Wolken vor blauem Himmel hinter der Bühne durchs alpine Blickfeld. Saxophonist Dale eröffnet mit geräuschhaften, scheinbar aus dem Nichts kommenden Multiphonics das Konzert, Pianist Roligheten klinkt sich ein – ein lebhafter Austausch unerhörter musikalischer Formen und Figuren beginnt. Dale scheint Jazz bei Igor Strawinsky, Maurice Ravel und George Antheil studiert zu haben, und als Duo bieten sie einen erfrischend neuen Sound: bizarre und groteske Motive, rasende Virtuosität und Momente, in denen dann die Zeit auf einmal stillzustehen scheint. Ein aufgeschlossenes Publikum aus Kennern und Neugierigen erlebt eine Sternstunde. Dass das Publikum nach so viel geistiger Kost zusammen mit den Musikern zur Weinverkostung geht, tut der Kunst keinen Abbruch: es ist in Wahrheit angenehmer als das profane Bier, oder die langweiligen Drinks, die man üblicherweise zu Jazzkonzerten konsumiert. Und wann kommt man Künstlern so nah wie hier? Jazz & Wine heißt dieses synästhetische Festivalkonzept,
das in Südtirol immer weiter ausgebaut wird. Die Öffnung des
Konzertbetriebs zu anderen Künsten wurde auch an einem anderen Ort
gepflegt: zwischen der futuristischen Fassade des Museion und dem Ufer
des Eisack gab es an drei Abenden hintereinander Open-Air-Jazz. aWährend
der Konzerte oder in der Umbaupause war man mit wenigen Schritten in
einer anderen Welt. So zeigte das ambitionierte Museum für neue
Kunst der Südtiroler Hauptstadt Bozen die Ausstellung „Frontera“,
mit packenden Werken von Teresa Margolles über Ciudad Juárez,
einer Millionenstadt an der Grenze zum US-Bundesstaat Texas. Ebenso nahegehend,
Margolles Arbeit „¿Cuánto dolor puede soportar una
Ciudad?“, also „Wie viel kann eine Stadt aushalten?“ – eine
im Videoformat dokumentierte Aktion in Juárez (Mexiko), Kassel
(Deutschland) und Bozen (Italien). Drei aufregende Abende also mit Jazz und moderner Kunst sprachen neue Besuchergruppen an. Weniger geglückt war die Kombination aus Videozuspielung und modernem Jazz bei der experimentell arbeitenden Cellisten Dana Leong. Die filmischen Selbstdarstellungen seiner Mitmusiker waren größtenteils langatmig und wenig aussagekräftig. Aussagekräftig war dagegen seine Musik: Leong spannte einen weiten Bogen vom Experiment bis hin zu traditionellen Formen, die aber dank der ungewöhnlichen Instrumentierung und frischen Arrangements durchaus lebendig waren. Man hörte jungen Jazz mit jungen Künstlern, wie Aviv Cohen am Schlagzeug, John Shannon, Gitarre, Pyeng Threadgill, Gesang, Vak Inc, Electronics und Yumi Kurosawa, japanische Koto, eine Art überdimensionierte Zither. Hatte man mit Dale einen jungen eigensinnigen europäischen Pianisten im Ohr, dann eröffnete einem der 28-jährige Aron Parks die moderne Klangwelt New Yorks. Parks ist derzeit das pianistische role model für junge Pianisten weltweit. Seit einigen Jahren tourt er mit dem Trompeter Terence Blanchard, der ihn auch für sein Bozener Konzert mit dabei hatte. Wie Dale ist auch er ein Parks Pianist, der weit entfernt von jeder Konvention, Eigenes zum Jazz beisteuert. Auch wenn das Konzert von Blanchard durch die Open-Air-Situation manches Mal wie vom Winde verweht erschien – was Virtuosität, Perfektion Ausgereiftheit des musikalischen Konzepts angeht, gehörte es sicher zu den Höhepunkten des diesjährigen Südtiroler Jazzfestes. Gewagt war die Premiere eines Ad-hoc-Ensembles bestehend aus Mark Turners Trio „Fly“ und den prominenten Solisten Michael Portal und Bojan Z. Hier lief manches nicht rund – was bei genau einem Nachmittag Probenzeit auch auf der Hand liegt. Dennoch gilt es den Mut der Veranstalter, sowie der Musiker zu loben – denn nur Jazz aus der Schachtel, wo immer nur das drin ist, was drauf steht, ist zu wenig. Auch war es den Musikern anzumerken, dass sie Spaß miteinander hatten – und manches ausprobierten, was nicht zu ihrer alltäglichen Routine gehörte. Vielleicht hat man ja in der Sommernacht am Museion die Geburt eines neuen Ensembles miterlebt? Warten wir die Saison 2012 ab. Mit viel Spannung erwartet wurde das programmatische Konzert des Francesco Bearzatti Tinissima Quartet. Das preisgekrönte Werk „Malcolm“, ist ein Versuch, sich multimedial dem 1965 in NY erschossenen Bürgerrechtler Malcolm X anzunähern und stand programmatisch für die Italianissima des diesjährigen Festivals. Während Bearzatti und seine Mitmusiker mit ihrem rauen und rockangehauchten Sound durchaus überzeugten, hinterließen die in den Hintergrund projizierten Grafiken keinen nachhaltigen Eindruck. Das Südtirol Festival bucht nicht nur durchreisende Acts, immer
wieder werden Kompositionen in Auftrag gegeben und neue Bands fürs
Festival zusammengestellt: so geschehen bei dem kammermusikalischen Duo
des Geigers Pascal Schumacher und des Vibraphonisten Nicolas Dautricourt,
das in einem Saal auf dem Weingut Alois Lageder eine Auftragskomposition
spielte: flirrend-atmophärische Sounds und Klangaktionen, allerdings
ohne jede Süßlichkeit eines falsch verstanden Impressionismus. |
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