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Seit Mitte der 90er Jahre schlägt sich der deutsche Trommler Jochen Rückert in New York durch, der Stadt, die niemals schläft. Nach mühsamem Anfang gehört der Mittdreißiger heute zu den gefragtesten Drummern der Stadt. Irgendwie war das für ihn alles verdammt unbefriedigend damals, als er noch in Deutschland studierte. „In Köln wurde es mir relativ schnell langweilig“, erinnert sich der Schlagzeuger Jochen Rückert bei einem Besuch in der alten Heimat. Ihn zog es 1995 bereits vom Rhein an den Hudson. „New York ist ja auch immer noch das unangefochtene Mekka des Jazz. Anfangs bin ich für drei Monate rüber gegangen, dann für zwei Monate nach Deutschland zurück und dann habe ich wieder rüber gemacht“, lacht er und nimmt einen Schluck aus der Feldflasche, die er als Reiseutensil immer dabei hat. Seine Schießbude nahm er in der Zeit, in der das Pendeln begann, fein säuberlich auseinander und transportierte sie in Einzelteilen in die Wahlheimat. „Mal hatte ich ein paar Becken im Gepäck, mal eine Floor Tom, eine Snare oder die Basstrommel“, sagt Jochen Rückert, der seit 1997 permanent in New York lebt. Die verheißungsvolle Metropole hat dem Einwanderer zunächst nichts geschenkt. „Es hat lange gedauert, bis ich mal was zu tun hatte. Die ersten Jobs kamen nach ein, zwei Jahren – und es waren ziemlich beschissene.“ Den Lerneffekt, den solche künstlerisch unbefriedigenden Gigs mit sich bringen, möchte er allerdings nicht missen. „Der klassische Restaurant-Gig, bei dem man in einer Ecke im Hintergrund spielt, während die Leute essen, ist als Ausdauertraining sehr hilfreich. Ich bin immer mit einem Klaviertrio im „Blue Water Grill“ aufgetreten. Da spielt man wochentags fünf Stunden und am Wochenende sechs Stunden täglich. Ich habe unglaublich viele Stücke gelernt, weil man allein für den Job ein riesiges Repertoire braucht. Genau genommen ist das bezahltes Üben, was man da macht.“ Während er bei der Dinner-Untermalung meist ganz dezent mit Besen hantieren muss, kommen Sticks und Paukenschlegel dann an anderer Stelle kräftig zum Einsatz – Jochen Rückert gehört schließlich zu den wandlungsfähigsten Drummern der New Yorker Jazzszene und hat bereits mit Gott und der Welt gespielt, von Marc Copland bis Kurt Rosenwinkel. In den mehr als eineinhalb Dekaden, die er nun schon in Brooklyn und im Big Apple weilt, baute er sich ein imposantes Netzwerk auf. Als Jochen Rückert von Jason Seizer das Angebot bekam, für das Münchner Label Pirouet aufzunehmen, hatte der Schlagzeuger keine Mühe, ein Allstar Ensemble zusammen zu trommeln: Tenorsaxofonist Mark Turner, Gitarrist Brad Shepik und Bassist Matt Penman, einst „roommate“ von Jochen Rückert, spielten mit dem Deutschen das Album „Somewhere Meeting Nobody“ ein. 1998 hatte Jochen Rückert mit „Introducing“ (Jazzline) bereits ein erstes Solo-Album veröffentlicht. Damals interpretierte er ausschließlich Standards von John Coltrane, Dave Brubeck oder Cole Porter. Doch die Pirouet-Offerte aus der jüngsten Zeit war mit der Auflage verbunden, der etwas schreibfaule Schlagzeuger möge diesmal doch bitte selbst zum Stift greifen. Die Musik, die Rückert aus der Feder floss, ist von einen paar flotten Ausnahmen abgesehen, erstaunlich zurückhaltend, differenziert, melodisch, lyrisch, bisweilen fast intim. „Generell koche ich lieber auf kleiner Flamme. Da ich meist sehr leise spiele, ist der Effekt umso größer, wenn´s zwischendurch mal laut wird.“ Den größten Krach-Output erlaubt er sich mit einem Projekt, bei dem nicht etwa sein Schlagzeug, sondern ein Computer und Rückerts Programmier-Talente zum Einsatz kommen. Er benannte es nach einem Herzfehler, der operativ behoben wurde, als er 18 war: „Wolff Parkinson White“. „Vor der OP bekam ich einmal im Monat ohne Vorwarnung extremes Herzrasen, das dann so plötzlich wie es kam in eine normale Pulsfrequenz zurückfiel. Ich stand jedes Mal Todesängste aus. Die nach dem Syndrom getaufte Musik ist entsprechend fickerig und das Tempo der Beats entsprechend hoch.“ Bei Jazzfans, die an den Puls ihrer Lieblingsmusik gewöhnt sind, dürfte „Wolff Parkinson White“ genau das auslösen, was Jochen Rückert nicht mehr durchleben muss: Herzrasen. Text/Foto: Ssirus W. Pakzad
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