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Er ist so eng wie kaum ein zweiter mit der Jazzszene verbunden. Bert Noglik, als Publizist in Hörfunk und Presse aktiv, wirkt als Herausgeber und kundiger Förderer. Von 1992 bis 2007 war er künstlerischer Leiter der Leipziger Jazztage, nach wie vor betreut er dort ein bundesweites Jazznachwuchsfestival, längst hat er seine musikalischen Fühler zudem weit über seine Heimatstadt hinaus ausgestreckt. Zum Sommerbeginn erfreute er das jazz-affine Publikum in Leipzig mit internationalen „Reflections“ zum Bach-Festival des berühmtesten Thomaskantors, kurz darauf starteten in Berlin die von ihm auf den Weg gebrachten „Sounds No Walls“. Im Gespräch mit Michael Ernst stellt er den dritten Jahrgang vor und berichtet von seinem künftigen Engagement für den Jazz. Jazzzeitung: „Sounds No Walls“ fanden zum dritten Mal statt. Wie fast zeitgleich bekannt wurde, werden Sie ab 2012 die künstlerische Leitung des Jazzfestes Berlin übernehmen. Herzlichen Glückwunsch! Werden die „Sounds“ ins Jazzfest einfließen? Bert Noglik: Ganz gewiss werden die Erfahrungen, die ich in all den Jahren als Kurator von Festivals und Konzertreihen sammeln konnte, in die neue Tätigkeit einfließen. Um ein Festival von der Größenordnung des Berliner Jazzfestes leiten zu können, ist es unerlässlich, langjährig mit der Jazzszene verbunden zu sein und auch zu wissen, wie man weitsichtige Konzepte entwickeln, realistisch umsetzen und innovative Akzente setzen kann. Jazzzeitung: Das Festival „Sounds No Walls“ startete 2009 klein aber fein mit Bezügen zum polnischen Jazz und reflektierte so den 20. Jahrestag des gesellschaftlichen Umbruchs in Osteuropa. Sucht solche Schwerpunktsetzung nach Jazz-Akzeptanz bei neuen Hörerschichten? Noglik: Auf diese Weise ein Publikum zu erreichen, dass nicht nur aus Jazzkennern besteht, erscheint wünschenswert und sinnvoll. Zum anderen kann aber auch die Jazzszene durch solche Themenschwerpunkte für die Verknüpfungen von Musik und Gesellschaft sensibilisiert werden. In den beiden Vorjahren, in denen das Festival die polnisch-deutschen Jazzbeziehungen bzw. Jazz aus Südafrika beleuchtet hat, ist es gelungen, die Relevanz dieser Themen aufzuzeigen und erlebbar zu machen – historisch und aktuell. Jazzzeitung: Voriges Jahr lag der Fokus auf Südafrika, sowohl musikalisch als auch politisch eine Zeichensetzung. Was hat Sie bewogen, für 2011 das Motto „Jazz & Jewish Culture“ zu wählen? Noglik: Dafür gab es mehrere Gründe. Zum einen: Jazz ist entstanden aus dem Zusammenfließen afroamerikanischer und europäischer Musikstile. Dabei hat immer auch das jüdische Element eine Rolle gespielt – eine Tatsache, die oft verdrängt wurde, weil große Teile der jüdischen Population in Amerika die kulturelle Identität der Integration untergeordnet haben. Mit dem Klezmer-Revival setzte eine Rückbesinnung ein. Und mit der seit Anfang der 90er Jahre von New Yorker Musikern wie John Zorn vorangetriebenen „Radical Jewish Culture“ begann eine Neudefinition der jüdischen Aspekte in Jazz und improvisierter Musik, die nicht nur zurückblickt, sondern die künstlerische Avantgarde einschließt. Jazzzeitung: Steht jiddische Musik nicht für stilistische und territoriale Abgrenzung? Noglik: Jiddische Musik ist die Kultur des osteuropäischen Schtetls – ein Topos, den die Nazis zu Asche gemacht haben, der aber dennoch in der Erinnerung, im kulturellen Gedächtnis und in der Imagination weiterlebt. Mit Bands wie David Krakauers „Klezmer Madness“ sind im Festival „Jazz & Jewish Culture“ die osteuropäischen, die aschkenasischen Traditionen thematisiert worden. Dabei ging es auch darum, die Klezmer-Klischees aufzubrechen. Das Quartett „Charms of the Night Sky“ um den Trompeter Dave Douglas beispielsweise bezieht sich auf die Überlieferungen sehr frei und assoziativ im Sinne einer imaginären Folklore. Insgesamt war das musikalische Netzwerk außerordentlich weit gespannt – von den osteuropäischen bis zu den sephardischen, den jüdischen Kulturen des Mittelmeerraums und der aktuellen Musik der Metropolen. Die konkreten Koordinaten für dieses Festival, das Jazz auch grenzüberschreitend zur Improvised Music, zur Neuen Musik und zur Performance dargestellt hat, lauteten: Berlin – Tel Aviv – New York. Jazzzeitung: In Berlin gibt es das etablierte Jazzfest und eine ganze Reihe angesagter Clubs. Wie haben Sie es über die Jahre geschafft, Aufmerksamkeit für „Sounds No Walls“ zu erringen? Noglik: Durch Inhalte, durch das Thema, durch Presse und Öffentlichkeitsarbeit, auch in Medien, die sich nicht vorrangig oder ausschließlich mit Jazz befassen. Jazzzeitung: Neben Ihrer Tätigkeit als Macher und Initiator brechen Sie auch publizistisch sowie im Radio immer wieder eine Lanze für den Jazz. Woher kommt diese Liebe und wie bekommen Sie die vielfältigen Aufgaben unter einen Hut? Noglik: Joachim-Ernst Berendt, einer der Wegbereiter für den Jazz in Deutschland, hat einer frühen Ausgabe seines „Jazzbuchs“ ein Motto von Goethe vorangestellt: „Man lernt nichts kennen, außer man liebt es.“ Das beschreibt es gut. Mit dieser wunderbaren Musik verbunden zu sein, die sich über ein ganzes Jahrhundert bis in die Gegenwart spannt, ist eine starke Ermutigung und Inspirationsquelle. Jazzzeitung: Hatten Sie beim diesjährigen Festival „Sounds No Walls“ einen Favoriten? Noglik: Ich finde es immer gut, wenn man als Kurator ein Gesamtprogramm entwickelt, hinter dem eigene Favoriten zurücktreten. Die besonders zugkräftigen Namen sind sicher Dave Douglas, Avishai Cohen, Don Byron, David Krakauer … gewesen. Ich habe mich gleichermaßen auf die Performances von Shelley Hirsch und David Moss gefreut, die auf eine sehr poetische Weise Autobiographisches reflektierten. Ebenso auf den gemeinsamen Auftritt von Elliott Sharp und Christian Brückner, der Lyrik von Paul Celan und Erich Fried gesprochen hat. Jazzzeitung: Wagen Sie jetzt schon eine Prognose für das Jazzfest Berlin 2012? Noglik: Bewährtes fortsetzen und Neues ermöglichen. Das zu konkretisieren ist die mit dieser großartigen Aufgabe verbundene Herausforderung. Jazzzeitung: Wie haben Sie von dieser Berufung erfahren? Noglik: Erst wenige Tage vor den diesjährigen „Sounds No Walls“ von der Geschäftsführung der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin – allerdings nicht ganz unvorbereitet, denn es gab zuvor lange und gute Gespräche mit Thomas Oberender, dem künftigen Intendanten der Berliner Festspiele. Jazzzeitung: Was meinen Sie, wohin sich der Jazz bewegen wird – zunehmend in seichte Gefilde, um massenkompatibel zu sein, oder haben seine widerständigen Wurzeln eine Chance? Noglik: Es wird sicher beide Richtungen geben – Jazz, der sich immer stärker mit der Populärmusik vermischt und als solcher kaum mehr erkennbar ist, wie auch Musik, die sich dem Mainstream ganz bewusst entgegensetzt. Genauer betrachtet, ist das gar nichts Neues: Jazz bewegte sich oft im Spannungsfeld zwischen Unterhaltung und Kunstanspruch. Überzeugungskraft entwickelte diese Musik, indem persönliche Geschichten authentisch erzählt und soziale Befindlichkeiten differenziert zum Ausdruck gebracht wurden. Der Jazz hat beste Überlebenschancen – aber nur dann, wenn er auch sein widerständiges Potential zu nutzen versteht.
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