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Energien mobilisieren, sich von der Kraft des Moments inspirieren lassen – das ließ an Pfingsten in Moers einige über sich hinaus wachsen. Ein Ronald Shannon Jackson, der gerade noch mit Herzinfarkt auf der Intensivstation lag, aber sich dann vom Krankenbett aufs Moerser Schlagzeugpodest flüchtete, war einer von ihnen. Sowas zeugt von einer ungebrochenen, kreativen Unruhe an diesem Ort, der sich allen Konditionierungsbestrebungen durch Unterhaltungsmedien zu widersetzen weiß, der in Zeiten, wo die Wirtschaft die Kultur bedroht, Lebendigkeit ausstrahlt.
Auch Reiner Michalkes jüngste Programmplanung zeugte davon, dass das Wörtchen „Jazz“ durchaus wieder einen Platz im Festivaltitel beanspruchen darf, während es in den 90ern fast schon schamhaft aus dem Festivaltitel gestrichen wurde. Diese Musiksparte nimmt sich ernst, und die Generationen berühren sich mittlerweile. Das unverhoffte Erscheinen des großen Freejazz-Pioniers Ornette Coleman belohnte ja allein schon das Kommen. Colemans Saxofonton strahlt immer noch so frei, lebendig, glasklar. Sein Spiel hätte auch für sich allein überall hin getragen, um zu berühren. Aber der 81-Jährige stellte sich im Quartett diesem ruhelosen Wettstreit, der dem „harmolodischen“ Prinzip seiner Kompositionen entspricht. Das wirkt wie ein gewisses, regelrecht polyphones Gegeneinander, wo es vor allem um Reibung und direkte Konfrontation geht. Keine Nostalgie, sondern lebendige Historie, die das Quartett mit großer Ernsthaftigkeit und unverbrauchtem Charisma umsetzte! Wer bewusst den Konzertmarathon erleben will, sortiert normalerweise vor. Da gibt es Konzerte, die ein Muss sind, andere, die vielleicht zu vernachlässigen sind, dann wieder jene, die ein Fragezeichen, einen weißen Fleck auf der persönlichen musikalischen Landkarte markieren. Hier kamen nun auch bei der 40. Festivalausgabe die Überraschungen ins Spiel: Eine Art neue Empfindsamkeit pendelt zwischen frei improvisierter Geräuschwelt und kammermusikalischer Konzeption. Einen solchen gegenwärtigen Trend wiederspiegelt etwa „The Little Red Big Bang“, die auf der Bühne tatsächlich so charmant agierten, wie sie heißen. Während Sängerin?ihr Organ euphorisch jauchzen lässt oder in elegische Träumereien eintaucht, bietet die große Besetzung alles für den perfekten, unvorhersehbaren Hörfilm auf. Kraftvolle Harmonien lassen Hanns Eisler oder Kurt Weill assoziieren und die schneidenden Bläsersätze laden alles latent expressionistisch auf. Ganz groß das, was bislang vor allem in Dänemark für Furore sorgte. Die Möglichkeiten eines Instrumentes ausforschen und sich dabei aus jeder traditionellen Konvention herauslösen will die japanische Koto-Spielerin Michiyo Yagi. Sie geht dabei so radikale Wege, dass sie unlängst schon einem Peter Brötzmann Paroli bot. In Moers stand sie im Zentrum einer Besetzung, die mit so viel Stringenz und Energie aufspielte, dass regelrecht hypnotische Trance die Folge war! Allein am Flügel hatte Abdullah Ibrahim den Eröffnungsabend bestritten. Sein lyrisches Klavierspiel wirkte phasenweise etwas zu kammermusikalisch angesichts der Unruhefaktoren im Zelt. Da hätte es mehr Groove und Schwung vor allem seitens Ibrahims linker Hand bedurft. Doch verdichtete nicht zuletzt das Rauschen des Regengusses draußen den seltenen Auftritt des berühmten Südafrikaners zu eigenwilliger Poesie. Text/Foto: Stefan Pieper |
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