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Ein musikalischer Brückenschlag war angesagt: Die über den Globus gelegte Achse Berlin – Tel Aviv – New York musste rollen, sich drehen und zumindest anklingen, wenn es im dritten Jahrgang des Festivals „Sounds No Walls“ um „Jazz & Jewish Culture“ gehen sollte. Dieses 2009 im Deutschen Historischen Museum Berlin gestartete und voriges Jahr in Philharmonie und Quasimodo angelangte Festival, Themenschwerpunkte waren erst Jazz aus Polen und dann aus Südafrika, wurde nun im Jüdischen Museum der Hauptstadt ausgetragen und schuf sich damit seinen ganz zentralen Ort. In enger Korrespondenz zur passenderweise zeitgleich dort ausgerichteten Sonderausstellung „Radical Jewish Culture“ sind die Wegmarken der Verbindung von Jazz und Jüdischer Kultur abgesteckt worden. Der aus Leipzig stammende Jazz-Experte und -Publizist Bert Noglik hatte „Sounds No Walls“ seinerzeit ins Leben gerufen und dieses Festival Jahr um Jahr klug disponiert. Nun ist er (siehe hierzu nebenstehendes Interview) zum Künstlerischen Leiter ans Jazzfest Berlin berufen worden, Start 2012. Die Chancen seiner „Sounds No Walls“ scheinen damit ziemlich ausgereizt, aber womöglich geht das eine ja im anderen auf? Ideen dazu gibt es viele, spruchreif scheint derzeit noch nichts. Doch ein Blick auf den zum Sommeranfang gelaufenen Jahrgang beweist, dass es Noglik an Ideen nicht mangelt. Mit Sängern wie Efrat Alony und Avishai Cohen graste er das israelische Jazzland ab, im Gitarristen Elliott Sharp, beim Trompeter Dave Douglas und mehr noch in den skurrilen Duo-Partnern Perry Robinson (Klarinette) und Burton Greene (Piano) fand er jene Protagonisten der amerikanischen Ostküste, die den vielbeschriebenen Schmelztiegel mit authentischen Klangfarben der Diaspora anzureichern verstehen, ohne je ins Folkloristische abzudriften. Der in Berlin lebende Klangmagier David Moss brachte räumliche wie inhaltliche Pole zusammen und sorgte einmal mehr für Betroffenheit, bei der die peinliche Seite dieses Begriffs erst gar nicht in den Sinn kam. Mit seiner dem eigenen Vater gewidmeten Performance „A Canticle for Roy“ gelang ihm ebenso ein Extraprojekt zum diesjährigen Festival wie Elliott Sharp im virtuosen Zusammenspiel mit dem Sprecher Christian Brückner bei „Survivor‘s Lament“, einem ergreifenden Klagelied mit Texten der „Todesfuge“ von Paul Celan und Gedichten von Erich Fried. Kontrast von jenseits des Atlantiks bot die Stimmakrobatin Shelley Hirsch, deren eigenwillige Darbietung zwar nicht jedermanns Sache war, die aber mit mutiger Konsequenz zu stilistischer Unverwechselbarkeit fand. Zu einem Brückenbauer wie Avishai Cohen steht das nicht im Widerspruch, sondern zeigt die schillernde Vielfalt der Möglichkeiten, jiddisches Erbe mit internationalem Experiment zu bereichern. Der Sänger und Kontrabassist hat den biografisch erfahrenen Spagat vom Kibbutz hin zum Big Apple und wieder zurück nach Israel hörbar gemacht, das Motto „Jazz & Jewish Culture“ somit in eins gesetzt. Dass Schönklang mitunter recht schmerzvoll sein kann, unterstrich
Triophilia um Alan Bern, jenen Berliner aus Bloomington, mit traurig-lustvoller
Nähe zum Klezmer. Den rührenden Witz dieser Musik brachten
auch der New Yorker Klarinettist und Saxofonist Don Byron mit seinem
spielwütigen Ensemble in einer Hommage an den 1985 verstorbenen
Mickey Katz sowie die Band Sadawi um Paul Brody zur Geltung. Die Pianistin
Anat Fort hingegen betonte amerikanische Jazztraditionen, überzeugend
assistierte ihr dabei der kurzfristig für Zohar Fresco eingesprungene
Schlagzeuger Gilad Dobrecky. Dem Publikum wurden darin klingende und visuelle Informationen geboten;
ein Musiker wie David Krakauer, der in der Szene um John Zorn – dessen „Kristallnacht“-Projekt
sich wie ein Leitfaden durch die unangepasste Melange jazzig-jüdischer
Widerständigkeit zog – die unerschöpflichen Potentiale
des Klezmer auszuloten versucht, war sowohl als „museale Gestalt“ als
auch im Konzert zu erleben und wurde, versteht sich, im Saal des Glashofs
heftig gefeiert. Der Geist dieses in gesellschaftlichen Kontexten von Historie und Gegenwart fest verankerten Festivals wird im Jazzfest Berlin aber fortleben, so viel ist sicher. Michael Ernst
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