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Wer den Roman „Die Trompeterin“ von Jackie Kay gelesen hat, war von der Geschichte sicher fasziniert, spannend und sehr nahe am Jazz-Feeling. Im Klappentext wird zwar erwähnt, dass sich die englische Autorin vom Leben des ‚Musikers Billy Tipton‘ inspirieren ließ, aber das konnten wohl die wenigsten Leser nachvollziehen. Auch als 1989, dem Todesjahr von Billy Tipton, vier Saxophonistinnen ihre Gruppe „The Billy Tipton Memorial Saxophone Quartet“ nannten (inzwischen nur noch „The Tiptons Sax Quartet“), fanden das sicher viele originell, wussten aber kaum, warum dieser Name gewählt wurde. Billy Tipton hat es aber wirklich gegeben und die Geschichte seines Lebens ist mehr als abenteuerlich. Am 12. Dezemver 1914 als Dorothy Lucille Tipton geboren, orientierte sie/er sich aber sehr früh in die männliche Richtung. Ab 1933 gab er/sie sich den Namen Billy und lebte von da an als Mann, was ihm seine musikalische Laufbahn offensichtlich leichter machte. Frauen hatten es damals ziemlich schwer im Jazz, es sei denn, sie waren (Alibi-) Sängerinnen in den zahlreichen Swing Orchestern. Der Pianist Tipton spielte in verschiedenen Bands und gründete Mitte der 1950er Jahre ein eigenes Trio, mit dem er über zehn Jahre in diversen Clubs auftrat und zwei Platten für das Label TOPS aufnahm. Eine davon möchte ich in dieser Kolumne vorstellen. Dass er eigentlich eine Frau war, konnte er genial verstecken. Er war fünf mal verheiratet und führte nach außen ein geregeltes Familienleben (Kinder wurden adoptiert). Nur seine musikalische Karriere hat er dem Geheimnis geopfert. Weitere Schallplattenaufnahmen, die allerdings mit Verträgen und Auftritten in renomierten Clubs verbunden gewesen wären, hat er abgelehnt. Die Gefahr, dass seine wahre Identität bekannt wird, schien ihm zu groß. Er spielte aber weiterhin mit seinem Trio in lokalen Clubs, und führte ein „normales“ Leben. Erst nach seinem Tod erfuhr seine Umgebung von seinen weiblichen Wurzeln. Niemand hatte davon etwas bemerkt und seine ursprüngliche Familie hat geschwiegen. Diane Wood Middlebrook hat über das Leben von Billy Tipton ein sehr interessantes Busch geschrieben, das auch in einer deutschen Übersetzung erschienen ist. Immerhin gibt es, wie schon erwähnt, zwei LPs vom Billy Tipton Trio, die natürlich seit fast 50 Jahren vergriffen sind und nie wieder aufgelegt wurden. Auch tauchen sie sehr selten als gebrauchte Scheiben auf und wenn, dann sind sie wirklich „gebraucht“ und in ziemlich schlechten Zustand. •
TOPS L 1534 Billy Tipton Plays Hi-Fi On Piano Obwohl in den 1950er Jahren der Jazz sich über den Bebop und West Coast hin zum Hardbop entwickelte, orientiert sich Tiptons Spiel eindeutig am Swing. Großen Einfluss hat sicher die Eleganz eines Teddy Wilson. Auf der LP (wie übrigens auch auf der anderen Scheibe: TOPS L 1522), spielt Billy Tipton nur Standards und verzichtet auf eigene Kompositionen, was ihn für mich sehr sympathisch macht. Aber er findet auch in den bekannten Melodien einen eigenen Touch und man spürt, dass er große Erfahrung in diversen Clubs gesammelt hat. Vor allem die Balladen zeigen sein absolutes Timing und seine perlenden Läufe lassen vermuten, dass er auch Art Tatum gehört hat, ohne ihn kopieren zu wollen. Neben Klassikern der Zeit, wie „You Go To My Head“, „Begin The Beguine“ und „These Foolish Things“, gehören aber auch „The World Is Waiting For The Sunrise“ oder „Christopher Columbus“, eher traditionelle Titel, zu seinem Repertoire. Die Platte wird zwar als Billy Tipton Trio vorgestellt, es sind aber auch einige Duo-Einspielungen, nur mit Piano und Bass enthalten. Sie machen die Stimmung noch intimer. Puristen werden das vielleicht als Kamin-Musik bezeichnen, aber wenn man genau hinhört, merkt man, dass Billy Tipton ein ganz hervorragender Pianist war, der durch sein geheimnisvolles Leben nicht ewig ein Geheimnis bleiben sollte. Die Chancen, dass seine Platten auch noch einmal als CD veröffentlicht werden, sind allerdings sehr gering. Es bleibt also nur, nach den alten LPs zu suchen, auch wenn das mühselig ist und deren Nebengeräusche die Musik etwas trüben sollten. Manfred Scheffner |
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