Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Tom Nolan: Three Chords for Beauty’s Sake – The Life of Artie Shaw, W. W. Norton & Co. New York/London, 430 Seiten Der Streit, wer denn nun der größere Klarinettist war, Benny
Goodman oder Artie Shaw, ist müßig. Jeder von beiden hatte
seine Stärken, Artie Shaw den volleren Ton, vor allem in der oberen
Lage, Benny Goodman mehr swing, vor allem bei sehr schnellen Tempi. Er wurde am 23. Mai 1910 in New York geboren. Der Vater stammte aus Russland, die Mutter aus Österreich. Er begann mit einem C-Melody-Saxophon, wechselte zum Altsaxophon über und war 1925 bereits Profi als Mitglied von Johnny Cavallaro’s Band. Ein Jahr später kam auf Wunsch des Bandleaders die Klarinette hinzu. Bald begann er auch, Arrangements zu schreiben. Bei Joe Cantor machte er 1928 seine ersten Aufnahmen (für GENNETT). 1931 wurde er Mitglied des CBS-Radio Orchesters in New York, verdiente gutes Geld (damals für Musiker wegen der wirtschaftlichen Depression eine Seltenheit), war aber mit seiner Arbeit unzufrieden („They used the best musicians in New York for some of the worst music”, (S. 41)). Er las viel und wollte eigentlich Schriftsteller werden. Andererseits
fand er Zugang zu bereits etablierten Musikern und machte Aufnahmen mit
Wingy Manone, Red Norvo und Frank Trumbauer. Zunächst arbeitete er mit einer Kombination von Bläsern und Streichern, mit wenig Erfolg. Ein Jahr später machte er daraus ein normal besetztes Orchester. Aber es dauerte noch ein weiteres Jahr, bis er mit Aufnahmen wie „Back Bay Shuffle” und vor allem „Begin the Beguine” Benny Goodman Paroli bieten konnte. Sein zumeist sehr jugendliches Publikum geriet in Begeisterung, wo immer er auftrat, wie zuvor bei Goodman und später bei Frank Sinatra. Aber er war skeptisch: „The only guy who can really appreciate a fine musician – is another fine musician“ (S.128). Am 14. November 1939 tat er dann das für die meisten Unbegreifliche: Nach einem Set im Hotel Pennsylvania versammelte er die Band in seiner Garderobe und erklärte seinen sofortigen Rücktritt. Widerspruch war zwecklos. Tenorsaxophonist und Sänger Tony Pastor übernahm die Leitung bis zum Ende des Engagements. Aber schon im März 1940 hatte Shaw ein neues Orchester, wesentlich größer als das alte, und mit “Frenesi” auch gleich einen neuen Hit, dem ein halbes Jahr später „Star Dust” folgte, nicht zu vergessen der „Summit Ridge Drive” der Gramercy Five”, einer „Band in the Band” mit Johnny Guarnieri am Cembalo (!). 1941 löste er diese Band auf. Eine weitere Besetzung fand ihr Ende Anfang 1942 durch einen Einberufungsbefehl für ihn – einen Monat, nachdem Nazideutschland den USA den Krieg erklärt hatte. Artie Shaw kam zur Marine und absolvierte zunächst eine harte Grundausbildung mit Deckschruppen und ähnlichem. Danach musste er eine 14-Mann-Band leiten, die fürchterlich schlecht war. Auf seine Beschwerde hin bekam er endlich, was er wollte: den Auftrag, eine erstklassige Navy Big Band zusammenzustellen und für die Soldaten an der Front zu spielen. Mit dieser kam er über Hawaii nach Guadalcanal (Salomoninseln), wo er sich bei einem Bombardement durch japanische Flugzeuge einen lebenslangen Hörschaden zuzog. Im Februar 1944 wurde er entlassen; Tenorsaxophonist Sam Donahue übernahm die Band. In den USA arbeitete Artie Shaw mit neuen Besetzungen, zu denen zeitweilig u.a. Al Cohn, Zoot Sims, Dodo Marmarosa und Barney Kessel gehörten. Damit war er beim Bebop angelangt und vieles klang sehr überzeugend (siehe dazu etwa die Aufnahmen von 1949 auf LIMELIGHT 820817-2). Aber es ging ihm auf die Nerven, immer noch jeden Abend „Begin the Beguine” spielen zu müssen (irgendeiner war immer im Publikum, der sich dieses Stück wünschte), und er wollte lieber auf Konzerten auftreten als bei Tanzveranstaltungen – doch mit diesem Wunsch war er 20 Jahre zu früh dran. 1952 erschien seine Autobiographie mit dem bezeichnenden Titel „The trouble with Cinderella – an outline of identity”. 1954 beendete er seine Karriere und widmete sich fortan seinen Frauen und seinen Freunden, interessierte sich für Politik, las viel, lebte eine Zeitlang in Spanien, handelte mit Filmdrehbüchern, übernahm kleine Rollen in TV-Filmen und gründete 1983 unter seinem Namen eine neue Big Band, deren Leitung er dem Klarinettisten Dick Johnson übergab. Sie bestand mehrere Jahre. Er selbst fungierte als Gastdirigent und MC… Man stelle sich vor, Artie Shaw hätte Anfang der 60er Jahre wieder zu üben angefangen und ein neues Ensemble gegründet (Artie Shaw Concert Orchestra) mit Arrangeuren wie Gil Evans, Gerry Mulligan und George Russel. Es wäre ein Kapitel der Jazzgeschichte entstanden, das es leider nie gegeben hat. Zeit genug hätte Artie Shaw gehabt, auch später. Er wurde 94 Jahre alt und starb am 30. Dezember 2004. Tom Nolan hat ein bemerkenswert einfühlsames und hochinformatives Buch geschrieben. Sehr empfehlenswert. Max Wilk: They’re playing our song - Conversations with America’s Classic Songwriters, Da Capo Press New York, 294 Seiten Eine hervorragende Idee, aus zumeist persönlichen Kontakten heraus ein Buch über 28 Komponisten beziehungsweise. Textdichtern zu schreiben, denen wir einen großen Teil des Great American Songbooks verdanken. Worin lag ihre Bedeutung? Eine wichtige – keineswegs die einzige – Antwort ist: weil sie eine überaus sinnvolle Arbeitsteilung betrieben. Entweder schrieben sie die Musik oder die Texte; nur wenige wie Cole Porter taten beides. Und alle miteinander überließen sie das Aufführen denen, die es viel besser konnten. Das heißt: Songkomponisten – und- texter waren hochkarätige Spezialisten. Heute glauben die meisten Sänger/innen, sie könnten das alles auch. Ein weiterer Nachteil: wenn jeder nur seine eigenen Songs singt, dann gibt es keine fruchtbare interpretatorische Auseinandersetzung durch andere mehr – ein großer Verlust. Denn die Geschichte des Great American Songbooks ist ja auch eine der zahlreichen unterschiedlichen Interpretationen bis hin zum regelrechten Um- und Neukomponieren, vor allem durch Jazzmusiker/innen und Jazzsänger/innen. Max Wilks Arbeit zu lesen macht großen Spaß. Er bringt uns diese Gruppe von Künstlern sehr nahe, ihr Leben, ihr Werk, und nicht zu vergessen ihren Humor. Pflichtlektüre für alle, die ihre Songs singen oder spielen. Michael Garrick with Trevor Bannister: Dusk Fire – Jazz in English Hands (mit einer komprimierten Diskographie), Springdale Publishing, England, 260 Seiten Michael Garrick wurde am 30. Mai 1933 in Enfield (England) geboren. Frühes Interesse am Jazz durch Platten und Boogie Woogie, mit dem er seine Klavierlehrerin irritierte. Nach dem Wehrdienst (als Pilot) begann er, in London bei Tanzveranstaltungen und Hochzeiten zu spielen. Daneben studierte er englische Literatur (bis 1959). 1957 gründete er sein erstes eigenes Quatett (Vorbild: Modern Jazz Quartet). Schon damals strebte er nach Originalität und schrieb auch Stücke für Joe Harriott und Shake Keane. 1959 folgten erste Aufnahmen (1984 veröffentlicht). Sein Interesse an Literatur führte ab 1961 zu zahlreichen Konzerten mit „Poetry & Jazz”. Auch die Verbindung religiöser Musik mit Jazz beschäftigte ihn („Jazz praises”).Neben seiner wachsenden Bedeutung als Komponist darf aber sein Klavierspiel nicht übersehen werden: immer klar strukturiert, voll rhythmischer Spannung und Phantasie – seinem großen Landsmann Stan Tracey durchaus vergleichbar. 1975 bis 1977, schon längst etabliert, besuchte er zweimal das Berklee College in Boston („Americans work harder, so they get better quicker” (S.93)). Er gründete immer neue Gruppen und war ständig am Schreiben, bis heute. Seine Autobiografie steckt voller Gedanken und Geschichten. Wenn man damit durch ist, liest man das Buch am besten gleich noch einmal. Joe Viera |
|