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Jazzzeitung

2011/04  ::: seite 15

rezensionen

 

Inhalt 2011/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Edward „Kid“ Ory Farewell: Kurt Maas / Ray Bryant Geschichte: Vor zwanzig Jahren verstarb der Trompeter Miles Davis no chaser: Jazz schlägt Shakespeare


TITEL -
Ein bisschen leise...
Scofield & Metheny und ihre neuen Alben


Berichte

German Jazz Trophy 2011 für Dave Holland // 40. Moers Festival für Improvisierte Musik // Die dritte Auflage von „Sounds No Walls“ // 29. Südtirol Jazz Festival Alto Adige // 30. Bayerischen Jazzweekend 2011 // Sonny Simmons – in Dankbarkeit // George Gruntz Concert Jazz Band in Neuburg


Portraits

Mo’ Blow // Sabine Müller // Der Schlagzeuger Jochen Rückert // Caroline Thon


Jazz heute und Education
Bert Noglik übernimmt künstlerische Leitung des Jazzfestes Berlin // Das neue Jazz-Label Egolaut in Leipzig // Abgehört: Weite dynamische Sprünge
Ein Live-Solo des Posaunisten Eddie Bert

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

neues von gestern

Von Marcus A. Woelfle

Dave Brubeck Quartet with Paul Desmond: At the Free Trade Hall 1958
2 CDs: Solar Records

Ein bislang unveröffentlichtes Konzert des Dave Brubeck Quartetts aus seiner Glanzzeit! Zugegeben, die Aufnahmequalität des, Februar 1958 zu Beginn einer längeren Tournee entstandenen Mitschnitts aus Manchester ist mäßig und von fast allen Stücken gibt es Brubeck-Aufnahmen in weit besserer Studio- oder Live-Qualität. Und doch: Für den Brubeck-Fan und alle mit einem Interesse für jazzgeschichtlich herausragende Momente ist die Veröffentlichung schlicht unverzichtbar. Zum einen handelt es sich um die ersten Aufnahmen in der klassischen Besetzung mit Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Joe Morello (dr) und Gene Wright (b), der sich erst einen Monat zuvor der Gruppe angeschlossen hatte. Zum anderen ist die als „Good will“ Tour bekannte Weltreise Brubecks, der als Kulturbotschafter in jenem Jahr in Asien und (unter z. T. abenteuerlichen Umständen) hinter dem eisernen Vorhang auftrat ein wichtiges Stück Kulturdiplomatie. Und schließlich finden sich auf dieser Doppel-CD auch sehr selten eingespielte Stücke wie das mitreissende dargebotene Morello-Feature „Watusi Drums“. In „The Wright Groove“ zitiert der in die Welt hinaus gehende Bassist (Joe = Hänschen!) in seinem Solo glatt „Hänschen klein“! Immer wieder kommt es zu magischen Momenten, vor allem in den inspirierten Soli von Paul Desmond, der ausgerechnet im „St. Louis Blues“ zu erkennen gibt, dass er sich auf die Reise in den Nahen Osten freut.

100 Years Of Jazz
12 CDs: Ludwig Beck

Wen der Titel dieser 12-CD-Box an “Hundert Jahre Einsamkeit“ erinnern sollte, der kann sie ruhig einem Test unterziehen, sich damit etwa 14 Stunden lang von der übrigen Menschheit abschotten und ungestört die Jazzgeschichte von afrikanischer Trommelmusik bis Chick Corea Revue passieren lassen. Ich jedenfalls habe dabei weder Gespräche noch Gesichter vermisst, mich dabei auch nicht einen Augenblick gelangweilt, handelt es sich doch um ausgesprochene Klangjuwelen. Welchen starken Eindruck muss die für jedermann verständlich kommentierte Anthologie auf neugierige Jazz-Neulinge machen, denen sich damit eine ganze Welt eröffnet? Liebevoll und kenntnisreich zusammengestellt hat sie der Jazzzeitungs-Autor Manfred Scheffner, der lange Jahre die Jazzabteilung des Münchner Kaufhauses Ludwig Beck geleitet und international bekannt gemacht hat. Sie ist daher auch nur bei Ludwig Beck erhältlich. So ein alter Hase ist natürlich für Überraschungen gut. Wie ein phantasievoller Jazz-Solist erwartete Töne weglässt und dafür unerwartete Wendungen einbaut, so macht es auch Scheffner, der schon mal Berühmtheiten wie Sarah Vaughan weglässt, aber für Vergessene wie Lil Green Platz findet. Solcher Individualismus tut gut, denn Hits und Stars, denen man ohnehin oft begegnet, bilden nur die Spitze des Eisbergs der Jazzgeschichte. Scheffner verweist auch auf Nebenschauplätze, das ist mehr als man von einer guten Einführung erwartet.

Bill Evans: The Sesjun Radio Shows
2 CDs: Out of The Blue

Bill Evans ist heute noch wegweisendes Modell unzähliger Pianisten. Als dürfe kein Ton, den er gespielt hat, verloren gehen, erscheinen daher seit drei Jahrzehnten in schöner Regelmäßigkeit posthume Fundstücke. Das Erstaunliche an all diesen Veröffentlichungen ist, dass kaum eine überflüssig ist: Dieser hochsensible, selbstkritische Künstler spielte eigentlich immer, ob es ihm nun persönlich gut ging oder nicht, ob er gerade Drogen konsumiert hatte oder nicht, zumindest sehr gut, meistens aber überragend, immer wieder aufs Neue berührend. Das belegen auch diese holländischen Live-Mitschnitte, die Erwartungen an Sternstunden gerecht werden und auch aufnahmetechnisch tadellos sind. Sie präsentieren den lineare Melodik mit impressionistischer Klangkultur verbindenden, Gefühlstiefe und überlegenen Intellekt vereinenden Künstler in unterschiedlichen Spielsituationen: 1973 trat er im Duo mit seinem langjährigsten Bassisten Eddie Gomez auf. 1975 musizierten beide im Trio mit dem Drummer Eliot Zigmund. 1979 gehörten Marc Johnson (b) und Joe LaBarbera (dr) zum Trio, das auf einigen Stücken durch Toots Thie-lemans zum Quartett wird. Das vollendet dargebotene Repertoire birgt kaum Überraschungen, doch beweisen sich Evans unbegrenzte Erfindungsgabe, seine Fähigkeit, dem Klavier innigen Gesang zu entlocken, feinste Klangschattierungen abzuringen, gerade auch in Stücken wie „Some Other Time“ oder „My Romance“, die wir seit je mit ihm verbinden.

„Satchmo“. Louis Armstrong Ambassador Of Jazz
10 CDs (Universal)

Pops hat 110. Geburtstag und 40. Todestag, was Universal mit einem speziellen Denkmal würdigt: einer Nachbildung seines Reisekoffers mit 10 CDs, vorbildlichen biografischen Beiheften, großartigem Bildmaterial und sogar noch faksimilierter alter Notenausgaben bekannter Repertoire-Stücke. Dabei ist den Herausgebern das kleine Wunder geglückt, Cds einzupacken, die sowohl als Einführung für den unbeleckten Laien als auch für den ausgewiesenen Armstrong-Experten interessant sind. Die ersten sieben CDs sind eine gelungene, chronologische Zusammenstellung aus Meisterwerken und Hits von 1923 bis 1970. Die Jahre 1957 bis 1970, auf einer CD zusammengedrängt, sind, wohl überwiegend aus veröffentlichungsrechtlichen Gründen, vergleichsweise schlechter dokumentiert. Wer auf der Suche nach einem Armstrong-Kanon ist, kann trotzdem keinen besseren Griff als zu dieser Zusammenstellung tun. Der Clou für den Fan sind die drei letzten CDs: Das bislang nur ausschnittsweise veröffentlichte „Hollywood Bowl“-Konzert der All Stars von 1956, mit Ella Fitzgerald, und eine CD mit einer Plauderei zwischen Armstrong und Dan Morgenstern bei einer guten Flasche Sliwowitz. Eine Aufnahme mit Rarem und Unveröffentlichtem stellt unbarmherzig bloß, dass er bei ungewohnten Songs oder unvertrauten Mitmusikern bisweilen Unsicherheiten hatte. Das Genie war ein Mensch. Auch das gehört zum Denkmal.

Peter Herbolzheimer
Sunshine and Bossa Nova

2 CDs: HGBS

Viel Herzblut steckte der vor einem Jahr verstorbene Herbolzheimer in alle Unternehmungen. Der beliebte und beleibte Bandleader, Posaunist, Arrangeuer, Komponist und Pädagoge schaffte es stets den Enthusiasmus seiner musikalischen Mitstreiter zu wecken (sehr schön hört man das auf dieser Veröffentlichung, wo viele wie um ihr Leben spielen) und prägte sehr nachhaltig den Sound der letzten Jahrzehnte des deutschen Jazz. „My Kind of Sunshine“, ein fast legendäres Doppelalbum seiner hochexplosiven Rhythm Combination & Brass, die auf dem Originalcover sogar „The MPS Rhythm Combination & Brass“ ist, entstand 1970 und 1971, beide Male zu Weihnachten im unvergessenen Münchner Jazzclub, dessen Wände bei diesem gelegentlich rockigen und latinofetzigen Powerhouse Sound ordentlich gewackelt haben dürften. Das Staraufgebot bestand, um als Beispiel einige Trompeter herauszugreifen, aus Größen wie Dusko Goykovich, Art Farmer und Ack van Rooyen. Wiederöffentlicht wurde es liebevoll und in vorbildlichem Remastering von HGBS, der Nachfolgefirma des audiophilen Labels MPS. Trotz der auf die Reissue verwendeten Sorgfalt wurde vergessen zu vermerken, welche Stücke von der 70er- und welche von der 71er-Band zum Kochen gebracht wurden. Immerhin werden damit Ohren und Unterscheidungsvermögen trainiert. Ergänzt wird die Doppel-CD vom Programm „40 Years Bossa Nova“, das Herbolzheimer 2005 mit dem BuJazzO einspielte.

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