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Bo Lindström/Dan Vernhettes: Travelling Blues – The life and music of Tommy Ladnier, mit vielen Photos und einer Diskographie, Jazz’ Edit Paris, 216 Seiten Tommy Ladnier wurde am 28. Mai 1900 in Florenville (bei New Orleans) geboren und wuchs im nahegelegenen Mandeville auf. Sein Vater entstammte einer weitverzweigten Familie mit einer lange zurückliegenden Wurzel in der Schweiz (der ursprüngliche Name war Ladner). Tommy Ladnier begann nach eigener Aussage mit etwa zehn Jahren Kornett zu spielen und war zwischen 1914 und 1917 Mitglied der Independence Band in Mandeville, mit der zeitweilig auch Bunk Johnson auftrat. In New Orleans spielte er damals offenbar nie. 1917 ging er nach Chicago; über seine ersten Jahre dort ist kaum etwas bekannt. Vermutlich 1921 war er kurze Zeit in St. Louis bei Charlie Creath, dessen hervorragendes Bluesspiel ihn beeinflusste, wie auch in Chicago das von King Oliver, der ihn auch zum Gebrauch von Dämpfern inspirierte, damals im Jazz ein Novum. Zurück in Chicago war er bei Milton Vassar und Ollie Powern und spielte auch als Aushilfe bei King Oliver in dessen Creole Jazz Band, ebenso 1925 bei Olivers Dixie Syncopators. Daneben machte er eine Reihe von Plattenaufnahmen mit der Band der Pianistin Lovie Austin, zumeist mit Bluessängerinnen (Ida Cox, Ma Rainey u.a.). Dann stieg er in New York in das neue Sam Wooding Orchester ein, das mit der Revue „Chocolate Kiddies” am 6. Mai 1925 zu einer Europa-Tournee aufbrach. Sie führte von Berlin (8 Wochen Auftritte!) über Hamburg, Stockholm, Kopenhagen und weitere Städte nach Prag, Budapest und Wien, schließlich nach Barcelona, Madrid, Paris, Zürich, Basel und Bern, dann wieder zurück nach Berlin (kein Auftritt in München). Von dort ging es nach Moskau (!) und Leningrad (!). Bei der Rückreise verließ Tommy Ladnier in Danzig die Band und kehrte in die USA zurück. Wenn auch das Orchester in keiner Weise etwa an das von Fletcher Henderson herankam, so ist diese erste Europareise eines größeren schwarzen Jazzensembles doch eine sehr bemerkenswerte Pionierleis-tung gewesen. Ende 1926 war dann Tommy Ladnier tatsächlich bei Fletcher Henderson (bis 1927). Hier spielte er in Aufnahmen wie „The Chant”, „Clarinet Marmelade” und „Rocky Mountain Blues” seine Stärken voll aus: eine ungemein kraftvolle Phrasierung ohne Schnörkel und einen zu Herzen gehenden Bluesklang voller Feuer. 1928 reiste er wieder mit Sam Wooding nach Europa. Erneut ging es durch eine Reihe von Ländern, diesmal auch nach Rumänien und in die Türkei. Anfang 1929 verließ er in Nizza die Band und spielte mit verschiedenen Gruppen, bis er Ende 1930 mit Noble Sissle nach New York zurückkehrte. Bei ihm blieb er bis Ende 1931. Dann gründete er mit Sidney Bechet die leider nur kurzlebigen „New Orleans Feetwarmers“. Die sechs Titel dieser Formation faszinieren mit ihrem unbändigen drive und zeigen vor allem Bechet in Hochform. Danach waren die Auftrittsmöglichkeiten wegen der Weltwirtschaftskrise so knapp, dass Bechet und Ladnier in New York ein Schneidergeschäft (!) eröffneten, das sich allerdings in erster Linie zu einem Musikertreffpunkt entwickelte. 1934 verließ Tommy Ladnier New York. Über die folgenden Jahre wissen war kaum etwas. Er spielte unregelmäßig mit kleinen, kaum bekannten Bands und litt sehr darunter, dass sich nur wenige für New Orleans Jazz interessierten – die Musik, die er liebte und beherrschte (eine Situation, in die Jazzmusiker aller Stile immer wieder geraten sind). 1938 finden wir ihn dann in dem Ensemble, das der Franzose Hugues Panassié in New York für Aufnahmen zusammengestellt hatte, und dem neben anderen auch Sidney Bechet und Mezz Mezzrow angehörten. Vor allem „Really the Blues” gilt heute als Klassiker. Kurz darauf gas-tierten Ladnier und Bechet mit einer neuen Besetzung der „Feetwarmers” in der Carnegie Hall bei John Hammonds erstem „Spirituals to Swing”-Konzert. Hier glänzte das Spiel des großen Trompeters noch einmal und erreichte bisweilen sogar die Souveränität eines Louis Armstrong. Wie traurig, dass Tommy Ladnier am 4. Juni 1939 im Alter von nur 39 Jahren an Herzversagen sterben musste – beliebt bei all seinen Freunden, von vielen auch bewundert. Die beiden Autoren haben mit äußerst gründlichen Nachforschungen und einer hervorragenden grafischen Gestaltung auf Kunstdruckpapier ein wahres Schmuckstück zuwege gebracht – schon jetzt ein “collector’s item”. Klaus Schulz: Vienna Blues – Die Fatty-George-Biographie, Album Verlag Wien, 114 Seiten mit vielen Photos und einer CD Der Wiener Klarinettist Fatty George (Franz Georg Pressler), geboren
am 24. Juli 1927, war einer der besten seines Instruments weit über Österreich
hinaus, mit einer durchaus persönlichen Spielweise, dazu ein sehr
populärer Bandleader. So spielten bei ihm in den 50er-Jahren etwa
Oskar Klein, Karl Drewo und Joe Zawinul (vor seiner Emigration in die
USA), später Roland Kovac, Rudi Wilfer, Heinz Bigler, Robert Politzer,
Hans Rettenbacher, Fritz Pauer und in den 70er-Jahren Karl Ratzer, Costa
Lucacs, Charly Antolini und auch wieder Oskar Klein. Damals gab es auch
eine unvergessliche Fernseh-Reihe, „Fatty Live”, in der die
Band Zuschauerwünsche, die telefonisch eingingen, sofort erfüllte.
Einmal wollte jemand etwas von Alban Berg (!) hören, worauf Fatty
umgehend eine freie Improvisation mit sukzessivem Einstieg der Musiker
organisierte und dann, als die Musik langsam unübersichtlich zu
werden drohte, das Ganze elegant abwinkte. Ob der Anrufer das Stück
erkannt hat? Edward N. Meyer: The Life and Music of Kenny Davern – Just Four Bars, The Scarecrow Press Inc. Lanham, USA, 441 Seiten mit Photos und einer Diskographie Eigentlich wird erst jetzt, fünf Jahre nach seinem Tod, die Bedeutung Kenny Daverns für den Jazz einsichtig – jedenfalls bei uns und bei denen, die ihn nicht live erlebt haben. Denn von seinen vielen Platten sind die meisten unbekannt geblieben. Es ist zu hoffen, dass die auf sehr gründlichen Recherchen basierende und sehr einfühlsam geschriebene Bio-graphie diesem bedeutenden Musiker wenigstens posthum zu dem Ansehen verhilft, das ihm gebührt. Kenny Davern wurde am 7. Januar 1935 in Huntington (New York) geboren. Die Großeltern väterlicherseits kamen aus Irland, der Großvater mütterlicherseits aus Österreich und die Großmutter aus Russland. Kenny begann mit zehn Jahren, Klarinette zu spielen, inspiriert zunächst von Artie Shaw, später von Pee Wee Russell (nicht wegen dessen Klang und Phrasierung, sondern wegen seiner starken Expressivität). Später kamen Bariton-, Alt- und Sopransaxophon hinzu. Mit 16 Jahren war er schon auf dem Weg zum Profi. Nach einer kurzen Big-Band-Phase (1954 Aufnahmen mit Ralph Flanagan) kam er zu Jack Teagarden, dann zu Phil Napoleon. Damit hatte er seinen Weg gefunden: die Traditionen des Jazz vor allem auf der Klarinette, seinem Hauptinstrument, zu bewahren und gleichzeitig eine eigene Spielweise zu entwickeln. Beides gelang ihm, aber er brauchte dazu viel Zeit, da er sehr selbstkritisch war. Er spielte mit zahllosen Musikern an zahllosen Orten; das Buch gibt hierüber genaue Auskunft, da Kenny Davern ab 1971 seine Notizbücher aufbewahrt hatte. Er blieb der Art von Jazz, die er liebte, sein Leben lang treu, hatte aber immer auch offene Ohren für anderes („When Ornette Coleman came to town … his music, it knocked me out. I couldn’t wait to get back every night. The original quartet with Don Cherry, Charlie Haden … and Billy Higgins“, S. 149). Kenny liebte es auch, sehr seltene Stücke zu spielen und verwies damit auf einen ungehobenen Schatz von Melodien, die den meisten jungen Musikern heutzutage völlig unbekannt sind. So etwas wie einen Durchbruch erlebte er, wie auch Bob Wilber, mit dem gemeinsamen famosen „Soprano Summit” (1973–78) und dann nochmals ab 1990 als „Summit Reunion”). Ja, und dann wurden die Auftrittsmöglichkeiten immer weniger und Kenny Davern immer pessimistischer. In einem Brief vom Mai 1996 an Chris-tian Plattner (Wien) drückt er dies sehr deutlich aus: „… working one, two or three gigs a month in a place acoustically unsuitable for creating a mood for that which you truly believe in. And no pay!!” (S. 321). Davern starb am 12. Dezember 2006. Es wäre ein schwerer Verlust, wenn seine Art, Jazz zu spielen, verschwinden würde. Jazzstile sind keine Moden, so wenig wie die Stile der klassischen Musik. Man kann sie (allesamt!) immer wieder neu entdecken und formen. Joe Viera |
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