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Kollege Micha Acher, mit dem Johannes Enders in verschiedenen Projekten zusammenarbeitet, hat es auf den Punkt gebracht: „In einer Kleinstadt kann man nicht viel machen, man muss alles selbst organisieren. Wenn kaum etwas los ist, dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als selbst zu spielen und die Musik selbst in die Hand zu nehmen.“ Johannes Enders hält es nicht anders. Eine Zeitlang ist er von Weilheim aus in die Welt gezogen, doch inzwischen lädt der Saxophonist seine Freunde zu sich ein, um vor Ort Musik zu machen. Denn auf der anderen Seite hat die Provinz auch den Charme des Entkoppelten. Weit entfernt vom Trubel urbaner Konkurrenz kann man Klänge auf sich wirken lassen. Dort bietet es sich an, Sachen auszuprobieren, Sounds und Vorstellungen, Haltungen und Konzepte. Einige der besten Folk- und Americana-Alben sind beispielsweise auf Farmen weitab der Businesswelt entstanden. Und auch „Billy Rubin“ zehrt vom Charme des Abgelegenen. Mitwirkende sind Drummer Billy Hart, Bebop- und Modern-Veteran mit reichlich Prominenz im Künstlerstammbaum, außerdem der schweizer Pianist und Fan des Modalen Jean-Paul Brodbeck, der serbische, noch wenig bekannte Kontrabassist Milan Nicholic und Gastgeber Enders. Aufgenommen wurde im Enders Room Studio, und dementsprechend hat das Album ein wenig den Charme von Hackensack, als Rudy van Gelder noch im Wohnzimmer seiner Eltern die aufgehenden Stars der Jazzmoderne versammelte und archivierte. Der Sound des Quartetts ist trocken und konzentriert, die Mischung widersteht den Verlockungen der Hall-Presets im Effekt-Rack und bildet alle Instrumente so unmittelbar ab, als würden sie im Übungsraum stehen. In diesem Fall ist das sogar eine besondere Qualität der Aufnahme, denn es entsteht eine Atmosphäre, die an die Dichte und Persönlichkeit erinnert, die manche van Gelder-Klassiker erreichen. Und sie inspiriert die Musiker, mutig und entspannt zugleich, mit dem Esprit eines Treffens von Freunden zu spielen, die sich ohne Geschichtsverlust fallen lassen können. Kaum vorstellbar, dass Billy Hart an anderer Stelle vergleichbar uneitel und pointiert mit Rhythmen und Drum-Sounds jonglieren würde. Brodbeck und Nicholic begleiten auf vorbildliche Weise unaufgeregt, und Johannes Enders ist bei der Sache wie schon lange nicht mehr. Mag sein, dass das auch mit seinen Lebenserfahrungen der vergangenen Jahre zusammenhängt. „Billy Rubin“ (Enja Yellowbird/Edel Kultur) bezieht sich auf den Blutfarbstoff Bilirubin, der bei einer schweren Krankheit des Saxophonisten eine wichtige Rolle spielte. Zwei Titel nehmen darauf Bezug, die Farbe des Covers ist venös und auch sonst klingt die Musik nicht nur gelassen, sondern auf bewegende Weise demütig der Schönheit der eigenen und gemeinsamen Schaffenskraft gegenüber. Genau genommen ist Johannes Enders mit diesen seltsamen, persönlichen Zutaten ein großer Wurf gelungen, weit ab vom Rest der Jazzwelt, aber inhaltlich dem Kern der Musik näher als vieles, was berühmt geworden ist. Ralf Dombrowski |
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