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Jazzzeitung
2011/03 ::: seite 9
portrait
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Für sein von der Kritik gefeiertes Album „Hello Troll“ heimste
der Pianist Helge Lien seinerzeit so hohes Lob ein, dass man sich fragen
musste, ob die Band in der Lage sein würde, dem daraus folgenden
Erwartungsdruck standzuhalten. Mit dem ebenso eigenwillig betitelten,
wieder bei Ozella Music erschienenen, Nachfolger „Natsukashii“ straft
sein Trio alle Befürchtungen Lügen. Dass er entsprechend zuversichtlich
in die Zukunft sieht und warum seine Alben weiterhin frei von Elektronik
bleiben werden, erklärt Helge Lien im Gespräch.
JazzZeitung: „Hello Troll“ bekam seinerzeit den „Spellemanprisen“,
den man als den „norwegischen Grammy“ betrachten kann. Hältst
du etwas Derartiges mit „Natsukashii“ wieder für möglich?
Helge Lien: (lacht) Mal sehen! Meiner Meinung nach ist „Natsukashii“,
verglichen mit „Hello Troll“, sogar das stärkere
Album. So gesehen fände ich es denkbar, dass wir mit dieser Platte
erneut den Spellemansprisen erhalten. Natürlich sind da noch viele
weitere Faktoren im Spiel. Ich würde mir nie anmaßen, mit
etwas zu rechnen, es gar für ausgemacht zu halten. Ich wäre
schon zufrieden, wenn wir wieder nominiert werden.
JazzZeitung: Im Booklet steht über den japanischen Begriff „Natsukashii“ etwas
wie „gute Erinnerungen zurückbringen“. Worauf bezieht
sich der Titel?
Lien: Mit dem Wort „Natsukashii“ bezeichnen die Japaner den
Umstand der Vertrautheit. Wenn man etwas sieht, hört oder riecht,
das angenehme Erinnerungen wachruft. Es gibt vermutlich kein Wort im
europäischem Sprachraum, dass auf Bedeutungsebene wirklich gleichkommt.
Ich beziehe mich mit dem Stück auf ein Erlebnis im letzten Jahr… worauf,
ist aber nur für mich wichtig. Als Einzelkomposition steht es nicht
stellvertretend für das Ganze. Obwohl es einen wichtigen Teil darstellt!
JazzZeitung: Dein Trio spielt rein akustisch. Haben dich die Möglichkeiten
der Elektronik und der Studiotechnik denn nie in Versuchung geführt?
Lien: Also, ganz ehrlich, ich mache mir nicht viel aus
elektronischen Spielereien! Zumindest nicht, was dieses Trio angeht.
Es gibt auf rein
akustischem Gebiet genügend Wege zu erforschen. Dass mir etwas fehlt,
das ich mir von außen dazuholen müsste, das Gefühl kam
mir nie. Ich liebe das Spiel mit der Illusion – mit Klängen,
die man nicht wirklich hört, die aber direkt ins Unterbewusstsein
gehen. Einen dreidimensionalen Sound!
Elektronik bewirkt oft, dass der Klang flach wird, oberflächlich.
Damit es funktioniert, muss man mit diesem Werkzeug sehr versiert umgehen.
Sehr wenig Leute sind in der Lage, die Elektronik dynamisch und mit einem
Selbstverständnis einzusetzen. Ausnahmen gibt‘s natürlich.
Und denen höre ich auch ausgesprochen gerne zu.
JazzZeitung: Sind deine Fähigkeiten als Bandleader während
der letzten Jahre ebenfalls gewachsen? Oder braucht deine Band keine
Führung, weil sich alle einig sind?
Lien: (lacht) Ich hoffe wohl, dass ich als Leader besser
geworden bin! Aber ich bin vielleicht der Falsche, das zu fragen. Gegenüber früher
weiß ich etwas präziser zu sagen, was ich will und was nicht,
und wie ich es ausgedrückt haben möchte. Ich habe aber auch
das Glück, mit Musikern zu arbeiten, die einen wirklich eigenen
Kopf haben und gebe ihnen gerne den Raum, sich auszutoben. Und wenn sich
das Trio weiterentwickelt hat, dann gebührt den anderen zwei ein
Großteil der Anerkennung.
JazzZeitung: Wenn drei Leute so lange und intensiv
zusammenarbeiten, verdichtet sich auch die Musik? Oder macht, im Gegenteil,
blindes Verständnis
die Musik vorhersehbar und – am Ende – langweilig?
Lien: Nun, bislang habe ich nur gute Erfahrungen gemacht.
Die Qualität
des Zusammenspiels, wenn man länger mit den gleichen Musikern arbeitet,
die Einigkeit über die Zielrichtung, das ist einzigartig und auf
keinem anderen Wege zu erreichen. Ich sehe aber den Punkt, auf den deine
Frage hinzielt. Ich versuche stets, entgegen einer möglichen Langeweile
und Vorhersagbarkeit im Ausdruck zu arbeiten. Ich möchte praktisch
jeden Augenblick, bei jedem unserer Konzerte, aufs Neue überrascht
werden. Und ich tue mein Bestes, dass wir eine entsprechende Stimmung
in der Band behalten, die uns ermöglicht, jederzeit frei unseren
Weg zu gehen. Man muss sich natürlich fragen, was es ist, das Musik
lebendig und unvorhersehbar macht. Wenn man sich klassische Musik anhört,
meinetwegen Bach oder Mozart, wird denn die Musik vorhersehbar, weil
man weiß, was kommen wird? Natürlich nicht! Es ist die Fähigkeit
des Musikers, in der Musik präsent zu sein, ihr Leben einzuhauchen,
was sie überraschend macht. Und nicht, dass man ständig absolut
Neuartiges präsentiert. Carina Prange
CD/LP-Tipp
Helge Lien Trio: Natsukashii
Ozella Music
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