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Stan Getz: Quintets. Einen Schatz beherbergt die in limitierter Auflage erschienene Edition und das lässt sie schon in ihrem äußeren Erscheinungsbild erkennen, diese mit Fotos und Artwork der Erstveröffentlichungen prachtvoll ausgestattete Box in der Dicke eines Buches, aber in der ungebräuchlichen Höhe und Breite der 45er-Singles: Es sind die im Quintett zwischen 1952 und 1955 entstandenen, exzellent remasterten Studio-Aufnahmen von Stan Getz. Ihre musikalische Kostbarkeit ist ebenso unbestreitbar wie die Bedeutung der Veröffentlichung als solche, zumal ein großer Teil nie (offiziell) auf CD erschien Auch drei bisher völlig unveröffentlichte Aufnahmen sind darunter, die meines Erachtens allein schon den Kauf rechtfertigen. Es sind die Jahre der ersten Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte des Junkies, der doch kurz vor und nach seinen Verzweiflungstaten – Überfall einer Apotheke mit einer Spielzeugpistole und halbherziger Selbstmordversuch mit Pillen – spielte wie ein Engel, dem man nichts von alledem anmerkt. Tragen wir also nicht Eulen nach Athen mit dem x-ten Lobpreis von Stan Getz‘ leichtem, weichem, und doch vollem Sound, der als idealtypisch für „cool“ gilt, aber dabei eine sanfte Wärme ausstrahlt, lassen wir die Würdigung dieser makellosen Technik und der eindrucksvollen Einfälle, die nicht verbergen können, dass ihr genialer Erfinder ein sehr empfindlicher Mensch war, der sich in seiner Kunst eine vollkommene Gegenwelt errichtete zu seinem Dasein, in dessen wirres Leiden man gar nicht so gerne und genau blicken möchte. Erklären wir lieber dem Sammler, dem potentiellen Käufer, was er ersteht und was nicht, damit er abschätzen kann, ob er die Box „braucht“, denn diese Aufnahmen wurden im Laufe der Jahre immer wieder unter verschiedenen Titeln, in verschiedenen Zusammenstellungen auf verschiedenen Labels, veröffentlicht, und zwar als Schellacks, Singles, 10 Inch- und 12 Inch-LPs und -CDs. Norgran und Clef sind die später unter der Marke Verve vereinigten Labels von Norman Granz, der Getz in diesen schwierigen Jahren die Stange hielt (und ihn einige Jahre später mit den Bossa-Nova-Aufnahmen noch größer herausbrachte). Nachvollziehbar ist, dass „Hamp and Getz“ nicht in die Box aufgenommen wurde, handelt es sich um ein Spitzentreffen zweier Co-Leader, eine Produktion, die eher in die Richtung der Granz’schen Studio-Jam-Sessions geht. Verwunderlich hingegen ist der Verzicht auf die ursprünglich auf Norgran veröffentlichten Quintett-Aufnahmen mit Conte Candoli von 1955, die das bekannte Album „West Coast Jazz“ zeitigten. Fraglich ist auch, warum man sich auf Studio-Alben
beschränkt hat, denn „At The Shrine“, das einzige Live-Album
eines Quintetts, gilt als beste Getz-Platte jener Tage überhaupt,
und wurde zum Teil ohnehin im Studio eingespielt. Die Studio-Stücke
finden sich denn auch als Bonus in der Box. Anstelle der ganzen Shrine-Aufnahmen,
die man als Bonus erwartet hätte, bekommen wir alle Quartett-Aufnahmen
mit Jimmy Rowles von 1954. Der Grund mag darin liegen, dass diese Aufnahmen
seit geraumer Zeit meist mit den Quintett-Aufnahmen von 1952, „Stan
Getz Plays“, gekoppelt werden. Gab es da noch viele moderne, schnelle Stücke, in denen Raney schon bei der Themenvorstellung Gegenlinien einflocht, so richtete Granz nun das Programm ganz auf Standards, meist Balladen im gemessenen Tempo, aus, bei denen Raney auch wenig zum Zuge kommt. Die Botschaft ist klar: „The Sound“ sollte zunächst einmal möglichst publikumswirksam mit Populärem vermarktet werden. Während der letzten dieser Aufnahmesitzungen erklärte Raney, dessen Nervenkräfte es überstieg, ständig an der Seite eines unter Drogenproblemen leidenden Kollegen zu arbeiten, höflich, aber bestimmt, sie würden nicht mehr zusammenarbeiten (was später dann doch gelegentlich geschah). Ein zweiter Gitarrist dieses Kalibers war nicht in Sicht, so befolgte Getz den Rat seines Drummers Frank Isola, den noch am Anfang seiner Karriere stehenden Bob Brookmeyer ins Boot zu holen, der nicht nur ein origineller Solist auf einem originellen Instrument war (die Ventilposaune hatte bis dahin, sieht man einmal von Juan Tizol ab, kaum namhafte Vertreter gekannt), sondern auch ein Komponist und Arrangeur von großen Gnaden. Zwei Bläser mit unverwechselbarem, komplementärem Sound, fanden hier zueinander, ein zartbesaiteter Lyriker, der aber auch vehement swingen konnte, und ein unverwüstlicher Humorist, der aber feinen Geschmack besaß. Der Löwenanteil der Box gilt – abgesehen von den erwähnten, entspannten Quartett-Aufnahmen mit Rowles und den zwei Stücken mit dem Trompeter Tony Fruscella, die die Edition beschließen – der Zusammenarbeit von Getz und Brook, die schon die Hälfte von „The Artistry“ ausmacht. Es ist eine Partnerschaft, bei der sich die Bälle in traumwandlerischer Sicherheit zugeworfen werden. Es ist ein Vergnügen zu erleben, wie sie von „Interpretations by the Stan Getz Quintet“ über „Interpretations #2“ und „Interpretations #3“ (das einen Tag nach dem denkwürdigen „At The Shrine“ entstand) zusammen wachsen, und dies in Begleitung eines grundsoliden Trios mit dem Pianisten Johnny Williams. Ein gewisses Problem bestand darin, dass Tenor und Ventilposaune in etwa im gleichen Register spielen. Getz dachte deshalb sogar darüber nach, zum Baritonsaxophon zu wechseln. Wer aufmerksam zuhört wird hören, dass Getz in der Tat auf einigen Stücken, etwa „Minor Blues“, einen für Getz‘ Verhältnisse besonders dunklen, tiefen Sound erzielt. Ironischerweise wechselte Brookmeyer noch 1954 in die Band eines Baritonsaxophonisten: Gerry Mulligan. Gerry Mulligan Concert Jazz Band Gerry Mulligan schrieb mit seiner leichtfüßig, aber alles andere als leichtgewichtig swingenden Concert Jazz Band ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des orchestralen Jazz, das wegen der Kürze ihres Bestehens und den wenigen meist vergriffenen Aufnahmen viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Bereits im Jahr 2003 schloss die Mosaic Box „The Complete Verve Gerry Mulligan Concert Band Sessions“ (das Wort Jazz wurde glatt beim Titel vergessen!) mit vier CDs mit den Aufnahmen der Jahre 1960 – 1962, darunter elf nie veröffentlichte, eine wichtige Lücke. Nun kommt diese wichtige CD hinzu, die das pianolose Orchester mit packenden Live-Aufnahmen, die am 1. Juli 1960 vor begeisterten Festivalbesuchern in Newport entstanden. Das Orchester verfügte über engagierte Solisten wie Mulligan selbst, Bob Brookmeyer (vtb), Mel Lewis (dr), Conte Candoli (tp), der unlängst verstorbene Don Ferrara (tp) und einen an jenem Tag wie um sein Leben spielenden Gene Quill (as), der hier einmal mehr zeigt, warum er zu den liebsten Spielgefährten von Phil Woods gehörte. Als Arrangeur und Komponist hielt sich Mulligan vergleichsweise zurück und ließ einige der Größten, darunter Brookmeyer und Johnny Mandel, ans Ruder. Als Zugaben erhalten wir auf dieser CD zwei Live-Raritäten: eine Berliner Aufnahme des Orchesters von 1960 und eine des Mulligan Sextets mit Brookmeyer aus Newport von 1963. Marcus A. Woelfle |
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