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Gil Evans Giganten werfen große Schatten, und die-se verdecken oft die Sicht auf jene, die darin stehen – auch wenn sie ohne den Schattenspender Phänomenales vollbringen. Jeder Jazzfreund kennt Miles Davis’ Jahrhundertalben mit Gil Evans, hat sie vermutlich so oft gehört, dass er sie gar nicht aufzulegen braucht, um sie im Geist abzuspielen. Aber die Alben, die Gil Evans ohne ihn aufgenommen hat? Ist es ein Sakrileg, sie in einem Atemzug mit „Sketches of Spain“ zu nennen? Und die Solisten? Ist man wunderlich, wenn man Johnny Coles attestiert, in „Great Jazz Standards“ Davis ebenbürtig zu sein? Von ihm stammen die ersten Töne des Albums, Beiderbeckes „Davenport Blues“ – so innig, so wonnig, so herzerfrischend, dass die Augen feucht werden. Auch die weiteren Solisten belegen, dass Evans mit seiner Sensibilität für klangliche Nuancen sich nur auf seine großen Ohren, nicht auf große Namen verließ. Steve Lacy und Elvin Jones waren 1959 noch keine Stars und Budd Johnson wohl als Saxophonist, nicht jedoch als Klarinettist bekannt. „New Bottle, Old Wine“ von 1958, das, wie der Titel andeutet, ebenfalls Standards in neuartigen, klangfarblich raffinierten Gewändern von Evans vorführt, ist eigentlich ein Concerto für Davis’ Sideman Cannonball Adderley, dessen Alt man ohne Evans bestimmt nie in altehrwürdigen Songs von Morton oder Armstrong jubilieren gehört hätte. Glutvoll tanzt er vor einer in impressionistischen Pastellfarben gemalten Klanglandschaft. George Russell Poll Winners Records veröffentlicht zu einem erschwinglichen Preis Alben, die im Down Beat mit der Höchstwertung fünf Sterne ausgezeichnet wurden. Manchmal ist ein ganzes zweites Album mit auf der CD. Ob die Serie wirklich „the most influential albums“ enthält, wie die Werbung verspricht, sei dahin gestellt. Es kam schon mal vor, dass Meilensteine, etwa Ornette Colemans „Free Jazz“, im Down Beat verrissen wurden. Trotzdem: In vielen Fällen lagen die Kollegen vor über 50 Jahren (neuere Alben werden aus rechtlichen Gründen in der Serie nicht zu finden sein) goldrichtig. Das Ergebnis ist auf jeden Fall eine Sammlung aus legendären und nicht einmal so bekannten Alben. Bei Meisterwerken wie „New York, N.Y.“ hat die musikalische Qualität nichts daran geändert, dass es bislang nur einem eingeweihten Kenner- und Musiker-Zirkel vertraut war, weil es so fern vom Mainstream ist und oft vergriffen war. Hier zeichnete der vor einem Jahr verstorbene Individualist George Russell, dessen musiktheoretisches Werk „Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization“ enormen Einfluss auf die Jazzmoderne hatte, 1959 ein Tongemälde des Big Apple. Jon Hendricks erzählt, und neben Russells atemberaubenden Arrangements gibt es Soli von Berühmtheiten wie Coltrane, Benny Golson, Bill Evans, Bob Brookmeyer und Art Farmer zu bewundern. Allein schon der Bonustrack lohnt den Kauf des Albums: das auch wegen eines legendären Bill-Evans-Solos vielzitierte „All About Rosie“. Warne
Marsh & Lee Konitz Konitz und Marsh – man nennt sie in einem Atemzug, wie Goethe und Schiller. Dabei war ihre Zusammenarbeit nach den 50ern sporadisch, auch wenn ihre Diskographie den Eindruck erweckt, sie hätten ständig zusammen musiziert. Als sie 1975 von dänischen Jazzfans engagiert wurden, hatten sie jahrelang nicht mehr miteinander gespielt. Verglichen mit „Subconscious-Lee“ (1949) oder „Lee Konitz with Warne Marsh“ (1955) waren die beiden, die sich blind verstanden, einander unähnlicher geworden. Die Zeit bei dem beide prägenden Übervater Lennie Tristano war lange vorbei und die Gruppen wurden ad hoc zusammengestellt. Die Aufnahmen entstanden in variablen Besetzungen. Die erste Begleitgruppe um Ole Kock Hansen (p), Niels-Henning Ørsted Pedersen (b) und Alex Riel bzw. Svend Erik Nørregaard (d) ist ein reines Mainstreamtrio und als solches famos. Peter Ind (b), Dave Cliff (g), Al Lewitt (d), stilistisch aus der Tristano-Schule hervorgegangen, bilden mit den beiden Bläsern eine homogenere Gruppe. Doch Homogenität ist nicht Garant für größere Spannung, die in der Tat bei der ersten Gruppe zu inspirierterem Spiel führt. Eine Mischung aus den beiden Live-Gruppen begleitet schließlich die Studioaufnahmen Marshens ohne Konitz. Während der vollen Spielzeit der 4 CDs hört man den Zweien, die das Improvisieren ernst nehmen, gebannt zu. Die tiefe Verbundenheit und glückliche Zusammenkunft gewährt aufgeräumte Spontaneität und inneres Durchglühen. Dave Brubeck Quartet: Gone With The Wind + Jazz Impressions Of Eurasia Dave Brubeck hat das Glück, 1959 mit „Time Out“ einen unglaublichen Welterfolg eingespielt zu haben, und doch das Pech, dass dieses Album so viele weitere aus dem Bewusstsein vieler Musikfreunde verdrängt hat. „Gone with the Wind“, kurz zuvor im gleichen Jahr, ebenfalls mit Paul Desmond (as), Gene Wright (b) und Joe Morello (d), eingespielt und seinerzeit vom Down Beat mit den begehrten 5 Sternen ausgezeichnet, ist ein Juwel. Es versammelt Stücke, die man mit dem US-amerikanischen Süden assoziiert und die vom Quartett erstmals im Studio gespielt wurden - ein unprätentiöses Programm aus Standards und Traditionals, das sie in einer Sternstunde locker, leicht, unbeschwert und mit viel Einfallsreichtum aus dem Ärmel schüttelten. Desmond gelingt in „Georgia“ ein Solo von fast jenseitiger Schönheit. Ambitionierter ist das als Bonus Album beigegebene „Jazz Impressions Of Eurasia“. Es entstand im Jahr 1958, in dem eine Tournee das Quartett durch 14 Länder führte. Die unterschiedliche Atmosphäre der Tourneestationen animierte die Brubecksche Feder zu einer abwechslungsreichen Kollektion kompositorischer Kleinodien, die von der Verbeugung vor Bach in „Brandenburg Gate“ zum Wüstentrip im Ohrwurm „Nomad“ reicht. Gerade das exotische Flair mehrerer Stücke fordert die vier Herren heraus: Im meditativen „Calcutta Blues“ wird modal improvisiert, während Paul Desmond in „The Golden Horn“ klingt wie die Cool-Jazz-Ausgabe eines Schlangenbeschwörers. Stuff Smith: Five Fine Violins Celebrating 100 Years Kaum ein Geiger verkörperte so sehr Drive und Bluesfeeling wie Hezekiah Leroy Gordon Smith, genannt „Stuff“. Er swingte, swingte, swingte, dieser technisch unkonventionelle Geiger, der vielleicht hotteste seiner Zeit. Während des Spiels stellte er sich vor, Trompete oder Saxophon zu spielen, und verglich seine heftigen Bogenstriche mit dem Anschlagen eines Beckens. Nicht nur, dass Stuff (trotz der Tips seines Bewunderers Fritz Kreisler) alle traditionellen Techniken völlig ignorierte und dabei tadellos „hornmäßig“ phrasierte, er elektrifizierte auch als erster sein Instrument. Krankheiten in den letzten Lebensjahren hinderten ihn nicht daran, aus den Krankenhäusern auszubüchsen, nachdem er seinen Mitpatienten fröhliche Ständchen vorgespielt hatte. Der Tod ereilte ihn dann doch 1967 in München. Nicht lange davor entstanden 1965 und 1966 in seiner Wahlheimat Dänemark die vorliegenden Aufnahmen, von denen die meisten auf diesem Silberling aus Anlass des 100. Geburtstages erstmals veröffentlicht wurden. Das Besondere an ihnen ist nicht nur die Begleitung durch so exzellente Begleitgruppen wie z. B. ein schlagzeugloses Duo aus Niels-Henning Ørsted Pedersen (b) und Kenny Drew (p), mit denen er so einheizt, dass man kaum ruhig sitzend zuhören kann. Nein, er geigt auch noch mit Ray Nance sowie den dänischen Kollegen Poul Olsen, Søren Christiansen und Svend Asmussen um die Wette. Ein abgesehen von aufnahmetechnischen Schwächen ungetrübtes Vergnügen. Marcus A. Woelfle |
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