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So langsam kommen sie auf Hochtouren, die französischen Festivals des Jazz. Gerade zu Ende gegangen ist das Europa Jazz Festival in Le Mans, das seine 31. Ausgabe wieder mit großem Erfolg absolviert hat. Seit Oktober 2009 gab es eine Reihe von Konzerten in der ganzen Region südwestlich von Paris, und zwischen Anfang März und dem 9. Mai den Höhepunkt in Le Mans. Neben einer Regionaltour mit Daniel Humairs Baby Boom teilten sich die junge Band Jean Louis und die bekannte Bassistin Hélène Labarrière 12 Konzerte in Schulen im Pays de la Loire. Und an einem Samstag Ende April tummelten sich 500 Musiker des traditionellen Jazz auf dem Place de la République in Le Mans. Das Finale schließlich – von Ende April bis zum 9. Mai an verschiedenen historischen Spielorten, vor allem in der Abbaye de L’Épau, dem Kloster, das im Mittelalter von Berengaria von Navarra, der Königin an der Seite von Richard Löwenherz gegründet war, – vermittelte dann einen großen Gang durch den aktuellen Jazz in Frankreich. Um dies zu verstehen, muss man ein wenig grundsätzlich werden: Der Jazz spielt im Land der großen Dichter und Denker seit vielen Jahrzehnten eine große Rolle. Nicht nur dass viele bedeutende Amerikaner wie Kenny Clarke hier ein zweite Heimat fanden, die französische Gesellschaft ordnet diese Musik schon seit langem und bis heute als gleichberechtigte Kulturbranche ein. Gibt es überall auf der Welt oder wenigstens in Europa, könnte man sagen, stimmt aber nicht. Denn im Mittelpunkt der 30 Festivals im ganzen Land stehen vor allem die eigenen, die französischen Interpreten, jung wie alt, bekannt oder noch nicht. Wie ein roter Faden zieht sich dabei der Hang zum Theater, eine gewaltige Energie oder einfach gefühlvolles Genießen durch diese Musik. Vergessen hat man nicht, dass es einmal jenseits des Atlantiks begann, aber den zwanghaften Hang vieler Festivals in anderen Ländern, immer wieder die großen alten Damen und Herren einzuladen, die bei allen historischen Verdiensten heute einfach nicht mehr mithalten können, aber immer noch große Teile des Etats verbrauchen, all das findet in Frankreich nur bei einer Minderheit der Festivals statt. In Le Mans konnte man sich von Andy Emler und seinem Mégaoctet, von jungen Bands wie „Radiation 10“ oder dem „Trio d’en bas“ als Beispielen der aktuellen französischen Qualitäten überzeugen. Die Verbeugung gegenüber dem Mutterland jenseits des Atlantik brachte
junge Musiker wie Tony Malaby oder Craig Taborn/Gerald Cleaver im Trio
der Dänin Lotte Anker auf die Bühne, die gleichfalls überzeugten,
aber auch das Weather Report-Erinnerungsprogramm von Miroslav Vitous,
das nicht mehr als eine Erinnerung war, im übrigen nicht an die
Qualität der aktuellen Klänge heran kam. Während der so genannten Final-Woche konnte man jeden Mittag ein Konzert besuchen, zum Beispiel mit Barre Phillipps oder Barry Guy in einem historischen Gebäude am Rande der historischen Altstadt, der Cité Plantagenet, eines um 17 Uhr in La Fonderie jenseits der Sarthe und dann drei weitere am Abend in der Abbaye de L’Épau. Wie sehr dies angenommen wurde, zeigt die Zahl von 12484 Besuchern bei rund 50 Konzerten. Europa Jazz in Le Mans, unweit der Loire, ist immer wieder ein lebendiges Beispiel für die erfolgreiche Rolle der aktuellen Musik Jazz im Kulturland Frankreich. Von selbst ist das nicht gekommen. Schon seit den 20er- und 30er-Jahren erfreute sich diese Musik großer Beliebtheit. Wie stark dies schon vor über 60 Jahren war, haben die Erinnerungen an Boris Vian im vergangenen Jahr deutlich gemacht, einem der großen Förderer, einem Zeitgenossen des Publizisten und Jazz-Aktivisten Charles Delaunay (Sohn des Malers Robert D.), die auch die verheerenden Kriegserlebnisse nicht davon abhielten, für diese Musik zu leben. Auch anderen berühmten Künstlern wird die Affinität zu dieser Musik nachgesagt. So versäumt das aktuelle Literaturmagazin „Lire“ in seiner aktuellen Ausgabe der Hors-Serie über Jean-Paul Sartre nicht, einen dreiseitigen Text dessen Beziehung zum Jazz unter Beteiligung des Zeitzeugen René Urtreger zu widmen. Und die Beziehungen zum Film (z.B. „L’Ascenseur pour L’Echafaud“), zur Kunst, etwa schon bei Matisse und heute vor allem bei Daniel Humair, der ein gefragter bildender Künstler ist, sprechen eine deutliche Sprache. Vor allem wichtig für die aktuelle Szene ist die funktionierende
Netzwerk-Organisation der Gesamtszene. Ein Beispiel sind die aktuellen
Festivals, 30 an der Zahl von den Pyrenäen bis zur Normandie, die
sich vor etlichen Jahren auf demokratische Weise in dem Verband „Afijma“ (Association
Des Festivals Innovants En Jazz Et Musiques Actuelles) zusammengeschlossen
haben und bis heute nach diesem Prinzip erfolgreich agieren. Gemeinsam
stärker, das ist das Prinzip dieser Gemeinschaft, in guten wie in
schlechten Zeiten. Und die Organisation SACEM, die die Urheberrechte der Szene verwaltet, nimmt nicht nur Geld ein, sondern fördert die Szene in großem Umfang. Auch die gezielte Förderung der jungen Szene mit dem Migration Programm, das drei Ensembles jedes Jahr durch alle Festivals schickt, steht seit Jahren bei Afijma mit Erfolg auf der Tagesordnung. Doch mit all dem nicht genug: man sieht sich nicht allein in Europa und lädt nicht nur Musiker aus anderen Ländern regelmäßig ein, sondern auch Veranstalter und Journalisten. Und seit einiger Zeit lädt man ausländische Festivals ein, Mitglieder dieses Verbunds aktueller Musik zu werden, eine Einladung, der inzwischen Partner in Belgien, in Finnland, der Schweiz und in Deutschland gefolgt sind. So entsteht kontinuierlich ein großes Netzwerk, das der immensen kulturellen Bedeutung dieser aktuellsten Musikform der Gegenwart den ihr zustehenden Rahmen in Europa gibt. Hans-Jürgen von Osterhausen
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