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Jazzzeitung

2010/03  ::: seite 4

berichte

 

Inhalt 2010/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Naomi Susan Isaacs Farewell: Herb Ellis / Lena Horne


TITEL -
Stimm-Recht
Bobby McFerrin, Michael Schiefel, Theo Bleckmann & Co


DOSSIER -
Der Spaziergänger von Hollywood
Der Komponist Harold Arlen


Berichte

Jazz ECHO-Verleihung in Bochum // Internationale Jazzwoche Burghausen 2010 // Jazzahead 2010 // Tim Allhoff Trio erhält Neuen Deutschen Jazzpreis // Sylvie Courvoisier und Mark Feldman im Théatre Vidy in Lausanne // Schweizer Trio Rusconi nähert sich dem wilden Punk-Rock von Sonic Youth


Portraits

Martin Kälberer // Jacques Loussier // Charlie Parker // Lisa Wahlandt


Jazz heute und Education
Das Groove Research Institute Berlin // In Münchens Jazzszene etablieren sich neue Spielorte // Festivals in Frankreich: Blick ins Paradies? // Abgehört: Kurt Ellings Verse über ein Solo von Dexter Gordon

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Diversität und Qualität

Beobachtungen bei der Jazzahead 2010

„Die Lust am Rekord ist eine menschliche Eigenschaft, ähnlich wie das Interesse am Extremen. Ein Verlangen, über das hinauszugehen, was ist“, philosophierte Leszek Kolakowski in „Neue Mini-Traktate über Maxi-Themen“. Und deshalb schmücken sich Festivals und Messen wie die Jazzahead, die vom 22. bis 25. April 2010 zum vierten Mal stattfand, gerne mit Meldungen über Rekorde, dass nämlich 276 Aussteller aus 23 Nationen sowie 33 gut besuchte Konzerte und weitere Veranstaltungen die Bilanz vom Jahr davor übertroffen haben.

Der Erfolg der Jazzahead ergibt sich offenbar daraus, dass bestimmte Themen sowohl in Konzerten als auch in ergänzenden Fachdiskussionen präsent waren, etwa Diversität und Qualität: „Es ist kaum zu fassen, welche Stilvielfalt unter dem Label Jazz existiert“, meinte Uli Beckerhoff, künstlerischer Leiter der Jazzahead, als er die Band Kouyaté-Neerman aus Frankreich ankündigte. Nun, das Quartett hat zwar mit Lansiné Kouyaté (Balafon), David Neerman (Vibrafon), Clément Landais (Bass) und David Aknin (Drums) eine ungewöhnliche Konstellation, und der knallige Afro-Groove begeisterte auch sofort das Publikum im ausgelasteten Schlachthof. Aber Jazz ist seit je eine kultur- und stilsynthetische Musik. Insofern hat Uli Beckerhoff kein Novum beschrieben, sondern den Blick auf die ständige Erweiterung der Facetten im Jazz gelenkt. Lyrische Klavierstilistik wie beim Eve Beuvens Trio kontrastierte wirkungsvoll die virtuosen Improvisationen vom Bosso-Salis Duo, ein anarchisches Vabanquespiel mit Antonello Salis am Klavier, dessen Klänge er mit einer Sammlung von Kücheninventar ad absurdum führte, während Fabrizio Bosso an der Trompete populäre Melodiefetzen schier endlos variierte und durch elektronische Geräte verfremdete. Eine verblüffende Demonstration avancierter Spieltechniken und spontaner Freude, doch mit welchem ästhetischen Konzept?
Auch beim German Jazz Meeting, schon eine effektive Förder-Revue der Jazzahead, damit sich junge Musiker einem internationalen Auditorium bekannt machen können, zeigte sich Diversität. Das mit Streichersektion, Fagott, Harfe, Vibraphon und normaler Brass- und Rhythmusgruppe sehr “exotisch” besetzte Andromeda Mega Express Orchestra experimentierte in souveränen Arrangements zwischen symphonischem Genre und Jazzclips.

Erdiger Jazzrock kam vom stilistisch klaren Arne Jansen Trio mit dem pikanten Vexierklang von elektrischer Gitarre und akustischem Kontrabass. Michael Wollny fand einen Weg, melodische Klavier-improvisationen und die motorischen Cembalomäander von Tamar Halperin als Kammerjazz zu verbinden. Eine Mischung, die das Publikum begeisterte.

Doch es gab auch ambivalente Reaktionen. Nämlich beim Konzert von Gitarrenmaestro John McLaughlin und seiner 4th Dimension. Eine noble Geste war, dass John McLaughlin, dieses Jahr in Bremen mit dem Škoda Award ausgezeichnet, den Geldpreis an ein musiktherapeutisches Projekt in Palästina spendete. Seine Musik allerdings enttäuschte zu einem gewissen Grad, denn außer rasanten Tonkaskaden und voluminöser Elektronik war nicht viel zu bewundern. Die Songs hatten kaum individuelle Konturen und die Band folgte solistisch nur diesem lauten Sound, sodass bald Missfallensrufe zu hören waren. Internationale Reputation garantiert eben nicht immer Topqualität der Musik.

Zur Qualität oder zum Wert des Jazz wurde auch bei der Podiumsdiskussion “Music for Zero? What is the value of Jazz?” nachgefragt. Nicht unerwartet “kennen die Leute von allem den Preis und von gar nichts den Wert”, wie Oscar Wilde einmal sarkastisch bemerkte. Und so redeten die Teilnehmer des Podiums auch mehr über ökonomische Chancen zur Vermarktung als den kulturellen oder gar künstlerischen Wert des Jazz. Einig war man sich immerhin, dass Musiker (nicht Internetanbieter oder Labels) das Recht haben, zu bestimmen, was sie veröffentlichen wollen. Respekt vor der Kreativität war denn doch wichtiger als das Interesse, mit Jazzprodukten (schnell?) Geld zu verdienen.

Dem öffentlichen Diskurs über solche essenziellen Themen wie Diversität und Qualität ein Forum zu geben, ist sicher das Hauptverdienst der Jazzahead, wo Theorie und Praxis, Konzert und Diskussion, Lizenzen und Kooperation das Bewusstsein über die Aktualität des Jazz voran treiben.

Hans-Dieter Grünefeld

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