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Jazzzeitung

2010/03  ::: seite 23

farewell

 

Inhalt 2010/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Naomi Susan Isaacs Farewell: Herb Ellis / Lena Horne


TITEL -
Stimm-Recht
Bobby McFerrin, Michael Schiefel, Theo Bleckmann & Co


DOSSIER -
Der Spaziergänger von Hollywood
Der Komponist Harold Arlen


Berichte

Jazz ECHO-Verleihung in Bochum // Internationale Jazzwoche Burghausen 2010 // Jazzahead 2010 // Tim Allhoff Trio erhält Neuen Deutschen Jazzpreis // Sylvie Courvoisier und Mark Feldman im Théatre Vidy in Lausanne // Schweizer Trio Rusconi nähert sich dem wilden Punk-Rock von Sonic Youth


Portraits

Martin Kälberer // Jacques Loussier // Charlie Parker // Lisa Wahlandt


Jazz heute und Education
Das Groove Research Institute Berlin // In Münchens Jazzszene etablieren sich neue Spielorte // Festivals in Frankreich: Blick ins Paradies? // Abgehört: Kurt Ellings Verse über ein Solo von Dexter Gordon

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Flinke Finger, Bop und Blues

Abschied vom Gitarristen Herb Ellis

Als Herb Ellis am 27. März 2010 seine letzte Reise antrat, wurde der Jazz um einen seiner größten Gitarristen ärmer, einen unverwechselbaren Stilisten, der die Urtümlichkeit des Blues mit dem Intellekt des Bebop verband wie kaum einer. Doug Ramsey hat einmal an Hand einer Aufnahme in sieben Stichworten seinen Stil in etwa so zusammengefasst: Harmonische Kultiviertheit, flinkes Spiel, Ausdruck abstrakter Ideen in einer erdigen Sprache, auf Du in Du mit dem Blues, Humor, perfekte Time und südwestlicher Akzent. Damit spielte er auf einen Sound an, den man eher aus der Country-Musik kennt.

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Es scheint fast ein Wink des Schicksals, dass Ellis zwei Monate nach Ed Thigpen verstarb, der ihn 1958 im Oscar Peterson Trio ersetzte - so als wollte uns dies darauf stoßen, dass eine Ära nunmehr längst hinter uns liege. So wie der Schlagzeuger Thigpen nach ihm, so hat Herb Ellis vor ihm essentiell zu einem klassischen Trios des Kanadiers beigetragen. Die Geschichte zeigt auch, dass Herb Ellis keineswegs ersetzbar war. Ein Drummer, wenn auch ein sehr melodischer, wurde sein Nachfolger. Ein anderer Gitarrist nach Herb Ellis – das schien Peterson wohl undenkbar. Andererseits war Ellis, der seiner Gitarre schon mal Trommeleffekte entlockte, auf seine Weise ein bisschen Perkussionist gewesen.

Mitchell Herbert Ellis erblickte am 4. August 1921 im texanischen Farmersville das Licht der Welt, wo er in einer Baumwollfarm aufwuchs. „Ich weiß nicht, ob ich den Blues hörte, als ich noch jung war, aber wenn Sie sehen könnten, wo ich lebte, würden sie den Blues bekommen.“ Als Kind lernte Herb Ellis Harmonika und Banjo spielen, bevor er zur Gitarre fand. Diese gehörte seinem Bruder, der sie sogar falsch stimmte. Das weckte den Ehrgeiz des kleinen Herb Ellis, es besser zu machen. Im Radio hörte er Western Swing, auf Platten Django Reinhardt. Beides färbte auf ihn ab. Noch bei Peterson spielte er Djangos „Nuages“ auf unnachahmliche Weise. Das Spiel des Gitarristen George Barnes, einer der ersten Musiker, die ihr Instrument elektrifizierten, inspirierte ihn dazu, Jazzmusiker zu werden. Natürlich war Charlie Christian, der frühverstorbene Pionier der elektrischen Gitarre und Vorläufer des Bebop, sein Idol. Aus finanziellen Gründen musste er ein Musikstudium abbrechen. Einem Herzgeräusch ist zu verdanken, dass er während des zweiten Weltkriegs nicht dienen musste.

Seine ersten Sporen verdiente sich Herb Ellis in den frühen und mittleren 40er- Jahren im Casa Loma Orchestra und bei Jimmy Dorsey, zwei Formationen, die ein Jahrzehnt Pionierarbeit in Sachen Bigband-Swing geleistet hatten. 1947 gründete Ellis mit Kollegen aus dem Jimmy Dorsey Orchestra das Trio Soft Winds, und zwar mit dem Pianisten Lou Carter und dem Bassisten Johnny Frigo, der später ein bekannter Jazzgeiger wurde. Die Gruppe selbst konnte in den fünf Jahren ihrer Existenz keinen nennenswerten kommerziellen Erfolg verbuchen, bereicherte aber die Jazzgeschichte um einen Standard, den die drei schufen: „Detour ahead“, 1949 von Billie Holiday sowie Woody Herman ins Repertoire aufgenommen, wurde ein Standard.

Herb Elis Durchbruch erfolgte, als er 1953 die Nachfolge Barney Kessels im Oscar Peterson Trio antrat. Es war zugleich der Durchbruch dieser bald weltberühmten Formation. Stand in Petersons Trios später eindeutig der von Sidemen begleitete Virtuose im Vordergrund, so handelte es sich bei diesem bis 1958 bestehenden Trio um eine Formation dreier kongenialer Künstler gleichen Niveaus, die sich gegenseitig ungemein inspirierten. Petersons Führungsrolle wurde freilich von den zwei anderen neidlos anerkannt. Herb Ellis betrachtete seinen Bandleader offensichtlich als Genie: „Du sahst sofort seine Größe… Er gehört genauso zu den Innovatoren und größten Instrumentalisten wie etwa Charlie Parker, Art Tatum, Dizzy Gillespie, Stan Getz. Ich denke, er ist der größte Pianist.“ Und Peterson meinte über Ellis, er habe ihn für alle anderen verdorben. In Herb Ellis entdeckte Peterson in der Tat einen zuvor kaum bekannten Gitarristen, der zur Elite der Charlie-Christian-Schüler gehörte. Ob er nun ein feinsinniges harmonisches Fundament hinlegte, großartige Chorusse entwickelte oder auf der Gitarre trommelte, Ellis war Peterson stets eine Inspirationsquelle. In Ray Brown stand Peterson ja seit 1949 der, neben Oscar Pettiford, wegweisende Bassist des frühen modernen Jazz zur Seite. Peterson selbst hielt dieses Trio für sein Bestes: „Da war eine Liebe in der Gruppe, die m. E. auch in der Musik zutage trat.“

Kaum eine spätere Formation Petersons wies so raffinierte Arrangements aus. Peterson erinnerte sich einmal: „Wir probten, aber ich übte nicht. Ich arrangierte es im Kopf: Ray, du spielst das, Herbie, du spielst das und ich werde das spielen. So ein Stück hatte dann viele Segmente. Wenn wir dann am Abend so ein Stück spielten, war es wie eine Herausforderung, an wie viel davon wir uns noch erinnern sollten.“ Doch auch wo keine „head arrangements“ vorlagen, grenzte ihr Zusammenspiel an Gedankenlesen. Alben des Trios, wie „The Oscar Peterson Trio At The Stratford Shakespearean Festival“ (1956) gehören mit zum Swingendsten im Jazz überhaupt. In manchen Aufnahmen des Trios vollführt Herb Ellis in halsbrecherischen Tempi, bei denen andere sich wohl die Finger verknotet oder gebrochen hätten, wahre Kabinettsstücken voll geistvollen Witzes.

Herb Ellis erinnerte sich: „Es war vermutlich der Höhepunkt meiner Karriere mit diesen Jungs zu spielen. Oscar ist ein geistiger Gigant. Er ließ mich Sachen spielen, von denen ich sagte: ‚Ich kann das nicht spielen, Oscar’. Er antwortete: ‚Doch, du kannst. Ich weiß, wie viel Du spielen kannst“.

Nun führte das Oscar Peterson Trio nicht nur sein Eigenleben, es wurde von Norman Granz, dem rührigen Chef der Plattenfirma Verve, Konzertveranstalter von JATP und Manager, in alle möglichen Projekte verwickelt. Für Herb Ellis bedeutete dies, dass er mit oder ohne Peterson und Brown ständig alle erdenklichen Giganten des Jazz begleitete. So finden wir ihn auf Alben von Ella Fitzgerald, der Saxophonisten Coleman Hawkins, Ben Webster und Lester Young, oder der Trompeter Louis Armstrong (sogar einmal im Duo), Roy Eldridge und Dizzy Gillespie. Einzelne Alben jener Tage zu erwähnen ergibt fast keinen Sinn. Ein Blick in die Ellis-Diskographie ist wie der in eine Schatzkammer. Was zieht man da heraus?

1957 heiratete Herb Ellis Patti Gahagan. Die Ehe währte bis zum Tod – 52 Jahre und war mit zwei Kindern gesegnet. Ich kann mich noch an einen Auftritt des bereits betagten Herb Ellis in der Münchner Unterfahrt erinnern. Seine Frau betreute ihn damals wohl schon. Er gab keine Zugaben mehr, denn sie hatte verboten, dass er zu spät ins Bett kommt. Vielleicht hatte er da schon Alzheimer, die Krankheit, die wohl daran schuld ist, dass er in den letzten neun Jahren keine Aufnahmen mehr machte.

1957 nahm Herb Ellis mit den Rhythmikern Ray Brown und Stan Levey auch seine vielleicht berühmteste Platte unter eigenem Namen auf: „Nothing But The Blues“. Die Frontline besteht aus dem ultrahocherhitzten Swing-Trompeter Roy Eldridge und dem Tenoristen Stan Getz, der Ikone des Cool Jazz. Zwei so gegensätzliche Bläser-Temperamente und ausschließlich Blues? Und doch ist das Album ein Juwel, das in jeden Jazzplattenschrank gehört.

Als Herb Ellis des ständigen Hin und Hers müde, 1958 schweren Herzens die berühmteste Zusammenarbeit seines Lebens aufkündigte, nahm Peterson den Drummer Ed Thigpen in das Trio. Herb Ellis begleitete daraufhin 1958 bis 1962 Ella Fitzgerald. Ob er bei ihr wirklich weniger touren musste?

Dann erlebt man ihn plötzlich immer wieder mal dort, wo man ihn am wenigsten erwartet, so 1962 bei den „Dukes Of Dixieland“. Was anderen als Abstieg erschienen wäre, dürfte ihm sogar Spaß gemacht haben. Von Stilpurismus hielt der Praktiker, dem es nur um den Spaß an der Freud ging, ohnehin nicht viel: „We were playing an a guy in the audience who had requested real hard Dixieland … was listening to us. He told his girl friend, ‘Well, that’s not quite it yet, now they’re playing Chicago style’, and he kept naming styles to her that we were playing. Now, I didn’t know we were going through any styles – I was just playing.”

Herb Ellis Aufnahmen der 60er Jahre sind weniger bekannt, und doch sind herrliche Fundstücke dabei wie „Together!“, 1963 mit dem Geiger Stuff Smith eingespielt, der ebenso gern metertief im Blues badete. Ab einem 1969 aufgenommenen Album, dass Oscar Peterson unserem Gitarristen zu Ehren „Hello Herbie“ nannte, kam es immer wieder zu denkwürdigen Reunions mit dem kanadischen Tastenlöwen. Wie so viele Jazzmusiker war Herb Ellis in den 60er Jahren, als Jazz zunehmend gegenüber Beat und Rock als aus der Mode gekommen galt, viel als Studiomusiker tätig und arbeitete für Funk und Fernsehen, wo er auch den Bands beliebter Fernsehshows angehörte.

Ab den 70er-Jahren tourte Herb Ellis wieder und entfaltete eine rege Aufnahmetätigkeit. Was für Herb Ellis in den 50er-Jahre das Plattenlabel Verve gewesen war, dass war für ihn in den 70er- und 80er-Jahren Concord, ein Label mit besonders viel Fingerspitzengefühl für gitarristischen Jazz. Auf diesem Label veröffentlichte er mehrere, auf durchweg hohem Niveau angesiedelte Alben, darunter „Soft Shoe“ (1974) und „Hot Tracks“ mit dem Trompeter Harry „Sweets“ Edison.

Gerne spielte Herb Ellis seit den 70er-Jahren in geselliger Runde mit den großen Gitarristen seiner Zunft, etwa Tal Farlow oder John Pisano. Hervorzuheben ist das im Duo mit Joe Pass entstandene Album „Two For The Road“ (1974), eine der mitreissendsten gitarristischen Zwiesprachen der Jazzgeschichte, ein Album für die einsame Insel. Vor allem aber war er in den 70er- und 80er-Jahren wegen der Gruppe „The Great Guitars“ wieder in aller Munde. Den zugkräftigen, doch unbescheidenen Namen hatte ihnen ein Manager aufs Auge gedrückt. Aber Herb Ellis, Charlie Byrd und Barney Kessel waren in der Tat große Gitarristen, deren unterschiedlicher Stil nicht weniger für Abwechslung sorgte als das Repertoire aus zum Teil seltener zu hörenden Stücken.

Als Herb Ellis in den 50er-Jahren mit Brown und Peterson spielte, empfand er es schon mal als recht stressig. Als das legendäre Trio in den 90ern wieder zustande kam, ging es relaxter zu, und Ellis hatte noch mehr Spaß, mit den beiden zu spielen. Davon zeugen einige Telarc-Alben von einem gelungenen Gastspiel im New Yorker Blue Note. Stilumschwünge kannte Herb Ellis, dessen Spielweise längst klassisch war, in den letzten Jahrzehnten nicht. 1996 sagte er: „Es hat Änderungen im Jazz gegeben und neue Stile kommen daher. Ich spiele straight ahead, das was man so Mainstream Jazz nennt. Das ist das, was ich spielte, als ich anfing und das, was ich immer noch spiele. Ich wünsche allen anderen viel Glück und Gottes Segen, aber ich habe mein Ding gefunden und dabei werde ich bleiben.“ Und damit hat er viele beglückt. Danke!

Marcus A. Woelfle

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