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Die Musikwissenschaftlerinnen Stefanie Alisch und Christiane Gerischer
sind dem Groove ständig auf der Spur. So oft sie können, befragen
sie dazu Musiker, Musikjournalisten, Tänzer, DJs, Musikproduzenten,
Software-Programmierer und nicht zuletzt sich selbst. Vergangenen Herbst
gründeten sie das Groove Research Institute Berlin (GRIB) und starteten
online einen Aufruf nach Beiträgen zum Thema. Die werden sie als
Herausgeberinnen in der Nummer 11 von Popscriptum versammeln, der Online-Publikation
des Forschungszentrums populäre Musik an der HU Berlin. Die Jazzzeitung
sprach mit ihnen über den Diskussionsbedarf zu einem Wahrnehmungsphänomen,
das zwar in aller Munde, aber noch wenig erforscht ist. Alisch und Gerischer
sind angetreten, das zu ändern. Stefanie Alisch: Nach dem Ende meines Studiums habe ich nach einer Form gesucht, in der ich alle meine Aktivitäten als Musikwissenschaftlerin, DJ, Forscherin und Groove-Interessierte miteinander verbinden kann. Das GRIB bietet mir dafür ein Dach. Christiane Gerischer: Mich interessiert Groove schon lange, weil es in der musikalischen Praxis ein sehr wichtiges Phänomen ist. Ob man zum Jazz schaut, in dem der Begriff am längsten benutzt wird, in die Club- oder Sambaszene. Die Menschen interessieren sich einfach sehr für den Groove-Aspekt der Musik. In der Musikwissenschaft hat Groove bisher aber kaum eine Rolle gespielt. Mich hat es geärgert, dass rhythmisches Feeling in der entsprechenden Literatur nicht auftaucht und damit praktisch nicht existiert. Meine Erfahrungen mit afrikanischen und brasilianischen Rhythmen sagen mir aber, dass es das gibt. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass Groove mehr ist als rhythmisches Feeling. Er braucht die Kommunikation zwischen den Musikern und mit dem Publikum. Von diesem Wahrnehmungsphänomen gibt es natürlich tausende Varianten in konkreten Ausprägungen. Einige davon möchten wir in der Popscriptum-Ausgabe beleuchten. JazzZeitung: An wen richtet Ihr Euer Anliegen? Alisch: Die Popscriptum-Ausgabe wird erst einmal die Visitenkarte des GRIB. Alle Leser, die sich angesprochen fühlen, sind herzlich eingeladen, etwas beizutragen. Die Online-Publikation ermöglicht schließlich die Veröffentlichung weiterer Texte. Damit werden wir einen Schritt weiter sein. Eine andere Aufgabe des GRIB ist das Anlegen eines Archivs an Filmen körperlich-performativer Praxen und Musiken, die für uns mit Groove zu tun haben. Das kann eine Anlaufstelle sein für Journalisten, Akademiker, Filmemacher und auch politische Funktionsträger, die musikrelevante Entscheidungen treffen müssen. Des Weiteren ist ein Groove-Handbuch geplant. Gerischer: Für mich richtet sich das GRIB an Musikwissenschaftler, Musiker, DJs, Musikjournalisten, Produzenten, kurz, an alle die mit dem Phänomen zu tun haben. Die Wissenschaft hat doch die Aufgabe, Phänomene zu versprachlichen und dem Diskurs zugänglich zu machen. Groove beschäftigt so viele Menschen in der Musik, berührt und bewegt sie im wahrsten Sinne des Wortes. Dass Musik Impulse liefert für Bewegung, ist ganz zentral. Gefühlte oder ausgeführte Bewegung spielt eine Rolle dafür, ob wir Musik als rhythmisch angenehm empfinden. Dieses Gefühl entzieht sich gerne dem wissenschaftlichen Diskurs. Einer der ersten und bekanntesten Groove-Forscher, Charles Keil, hat sehr schnell auf unseren Aufruf reagiert. Das hat mir gezeigt, wie groß eigentlich das Bedürfnis ist, eine Plattform für dieses Thema zu schaffen. JazzZeitung: Welche Rolle spielen die von Keil geprägten Participatory Discrepancies für Euren Ansatz? Gerischer: Daran sind vor allem drei Aspekte sehr interessant. Zum einen geht es um die Partizipation, das Verbindende durch gemeinsame Groove-Wahrnehmung. Das heißt aber auch, dass es nicht nur ein gemeinschaftlich erlebtes und erfahrenes, sondern auch produziertes Phänomen ist. Discrepancies bezieht sich auf die Reibung, die Spannung und kleinen Differenzen in der Musikproduktion und ihrer Rezeption. Damit werden die Divergenzen angesprochen, welche die Musik letztendlich menschlich machen. Leider wurde die Diskussion darüber vorwiegend negativ geführt. Wenn Menschen gleichberechtigt partizipieren und jeder sein individuelles Feeling einbringen kann, sagt Keil, dass Musik ein Modell demokratischer Gesellschaft verwirklicht. Ich finde diesen Zugang sehr schön und auch zutreffend, verstehe aber auch, dass sich viele Wissenschaftler gegen solche idealen Bilder verwahren. Die Abwehr hat sich dann leider gegen Keils gesamte Theorie gewendet. Für uns spielt eine große Rolle, was der Ansatz anstößt und welche Aspekte er aufmacht. Alisch: Das ist eben ein Schritt der Theoriebildung, der schon gegangen ist. Wir können uns darauf beziehen und von diesen Überlegungen ausgehend weitermachen. Es gibt immer mehr Publikationen zu Hip Hop und Clubmusik von Leuten, die darüber geforscht haben. Der Körper und die Bewegungen in der Musik müssen mitgedacht werden. Für mich sind körperlich-performative Praxen in der Popularmusikforschung extrem wichtig. Sich dann in ganz spezifische Szenen zu begeben und sich mit einer bestimmten Musikkultur auseinanderzusetzen. Dann kommt man auch an den speziellen Groove heran. Für mich gehört zur Groove-Forschung, danach zu fragen, auf welche Weise eine körperlich-performative Praxis Verbindungen zum Leben herstellt. JazzZeitung: Was genau ist an diesen Praxen für Euch performativ? Alisch: Performativität ist für mich dann gegeben, wenn Tanz ein Gruppenerlebnis schafft, eine Form der sozialen Interaktion. Körperliche Bewegung ermöglicht, dass man sich im Hier und Jetzt ganz anwesend fühlen kann. Mich interessiert das Wechselspiel zwischen Zeigen, ästhetischem Genuss und gegenseitiger Inspiration, das eine Verbindung zur Lebenswelt schafft. Zurzeit bereite ich meine Doktorarbeit zur angolanischen Musik- und Tanzkultur Kuduro vor. Darin zeigen sich traditionelle Tanzelemente, aber auch solche aus dem weltweit zirkulierenden Breakdancing, sowie mediale Bilder, die ganz konkret mit dem Bürgerkrieg zu tun haben. Diese Praxis schafft für mich eine Verbindung zu den Lebensumständen der Menschen. Gerischer: Das körperlich-sinnliche Erleben ist zentral für eine Ästhetik des Performativen, wie sie die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte formuliert hat. Darin liegt ein wichtiger Aspekt für die Faszination und Attraktivität von Musik- und Tanzkulturen begründet, ob Du an einem afrikanischen Tanzfest teilnimmst, in einer Samba-Gruppe spielst oder eine Clubnacht durchtanzt. Dass man sich selber einbringt und erlebend partizipiert, das macht den Reiz dieser Events überhaupt erst aus. In diesem individuellen Erleben gibt es eine Ästhetik des Performativen. Körperlichkeit wird als Gegengewicht zur Digitalisierung und Virtualisierung unseres Lebens immer spannender. Die Geschichte der Popmusik ist ein einziges Zeugnis davon, dass die körperlich-performative Ebene mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. JazzZeitung: Womit hängt die Wahrnehmung von Groove noch zusammen? Gerischer: Die Wahrnehmung von Groove hängt sehr stark von den Hörgewohnheiten ab. Jazzer nehmen die Grooves ihrer Musik natürlich schneller wahr als Menschen, die diese Musik noch nie gehört haben. Wenn Menschen noch nie afrikanische oder indische Musik gehört haben, fällt es ihnen schwer, diese Musik überhaupt als rhythmisch angenehm zu empfinden. Insofern gibt es unterschiedliche Ausprägungen der Sensibilität. Auf der Produktionsebene hängt Groove mit Bezugsgrößen wie Regelmäßigkeit, Timing und Kommunikation innerhalb des Timings zusammen. Im Prozess der Entstehung von Groove und seiner Wahrnehmung gibt es Gemeinsamkeiten. Es geht nicht darum, Groove als Synonym für Rhythmus zu verwenden. Ich finde es wichtig, sich mit der Vielfalt von Groove auseinanderzusetzen. Der afrikanische Sänger Lokua Kanza hat auf meine Frage, was Groove sei, geantwortet, Groove nehme man mit dem Körper wahr, er sei die Seele der Musik. Damit hat er die zentralen Stichwörter angesprochen, nämlich Wahrnehmung und Körper. Franziska Buhre
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