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Im Olymp der Pianisten zählt Jacques Loussier zu den Spätberufenen: Erst im Alter von zehn Jahren weckte ein Konzert eines kleinen, unbedeutenden Tanzorchesters in der französischen Provinzstadt Angers in ihm das Verlangen, ein Instrument zu spielen. „Meine Schwester spielte schon Klavier. Und als mich meine Mutter fragte, ob ich auch spielen wolle, sagte ich ja.“ So begann Loussiers klassische Ausbildung unspektakulär, aber erfolgreich. Schon während seines Studiums am Pariser Konservatorium bei Yves Nat schien eine Karriere als Konzertpianist vorgezeichnet.
Doch es kam anders: Der ursprüngliche Impuls durch die leichte Muse war noch immer lebendig. Mitte der 50er-Jahre hatten Loussier und seine Kollegen am Konservatorium nicht nur Bach, Beethoven, Brahms im Ohr, sondern auch den Sound des MJQ, des Modern Jazz Quartets. Loussier war von der Kunst von Milt Jackson, Percy Heath, Kenny Clarke elektrisiert, vor allem aber zog ihn die Persönlichkeit des Pianisten John Lewis an. In einer Phrasierung a la Modern Jazz Quartet spielte er damals mit und vor Gleichgesinnten Jazzmusik, nur dass ihm das Great American Songbook samt dazugehöriger Improvisationstradition fremd war. Er war in der Welt von J.S. Bach zuhause und machte ein folgenreiches interkulturelles Experiment, indem er Bachs „Material“ verjazzte. „Play Bach“, seine erste Platte, hatte er 1959 nur zum Vergnügen und für Freunde aufgenommen, doch die Sammlung Bachscher Klavierstücke gemischt mit Jazzrhythmen und Improvisationen erreichte unglaubliche Popularität. So wurde aus Loussier ein Klavier-Pionier, und zwar ein über die Maßen erfolgreicher. Interessanterweise wurde er nicht stilbildend für eine europäische Jazztradition wie es etwa seinem Landsmann Django Reinhardt einige Jahre vorher gelungen war. Seit über 50 Jahre nimmt er als Mr. Play Bach eine Alleinstellung ein, doch im Vergleich zu anderen Größen aus dem Jazzmetier, hat seine Kunst nichts von ihrer Anziehungskraft aufs Publikum eingebüßt. Auch im Alter von 76 Jahren ist seine Finger- und Kunstfertigkeit nach wie vor faszinierend. Was an Motorik und Spritzigkeit fehlt, wird durch etwas anderes ausgeglichen: Sparsamkeit, Verzicht auf jede improvisatorische Geschwätzigkeit und die Gleichberechtigung der drei Akteure tun dem „Play Bach“-Konzept gut. Die Verbindung zwischen Loussier und Bach stimmt auch nach über einem halben Jahrhundert noch immer. Gefragt, was er tun würde, wenn er Bach heute begegnen könnte, antwortet er: „Ich bin mir sicher, er würde mögen, dass ich über seine Themen improvisiere. Das ist bereits in die Musik des größten Musikers aller Zeiten hineingeschrieben.“ Eines von nur zwei Konzerten, die Loussier dieses Jahr in Deutschland
gibt, fand an Christi Himmelfahrt in der Bayreuther Stadthalle statt.
Dem Feiertag zum Trotz lässt er sämtliche im Programmheft angekündigten
Choralbearbeitungen weg und konzentriert sich auf Konzerte, etwa das
Brandenburgische Konzert Nr. 5, das Konzert d-Moll, eine Fuge D-Dur und
ein „sehr, sehr bekanntes Stück“. Sein Publikum weiß mit
dem ersten D-Dur Akkord, um welchen Hit es sich handelt: „Air“ aus
der Orchestersuite D-Dur. Nach zwei Stunden Konzert gehen Standing Ovations
in rhythmisches Klatschen und Stampfen über, glückliche Gesichter
im Publikum, Zugaben werden gefordert. Jacques Loussier betritt zusammen
mit seinem Bassisten Benoit Dunoyer de Segonzac und seinem Schlagzeuger
André Arpino noch einmal die Bühne und spielt die geforderte
Zugabe. Danach tobt der Saal erst richtig, aber es hilft nichts, mehr
Glück gibt es heute Abend nicht. Doch eigentlich wollen seine Verehrer nur eines von ihm: „Spiel Bach“. Die nächste Gelegenheit, Loussier zu hören, bietet sich am 25. Juli in Stuttgart im Konzertsaal der Musikhochschule. An diesem Abend wird Loussier die German Jazz Trophy für sein Lebenswerk erhalten, das man trotz aller seiner Bearbeitungen der Musik von Satie, Ravel, Debussy, Vivaldi mit zwei Worten umschreiben kann: Play Bach. Andreas Kolb |
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