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Richard Palmer: Sonny Rollins - The cutting edge continuumlNew York – London, 213 Seiten. Keine Biographie, sondern eine komprimierte, sachgerechte Analyse seiner sämtlichen Aufnahmen bis 2000 in vier Kapiteln: 1949–59, 1961–67, 70er-Jahre und danach, Fazit. Der Autor beschreibt die vielschichtige Persönlichkeit von Rollins sehr anschaulich: seinen unbändigen Ausdruckswillen, seine überbordende Phantasie, seine Mikrophonscheu, seine Unzufriedenheit mit seinen Platten, sein zeitweiliges Bedürfnis nach einer „Auszeit“. Auch die Frage, weshalb er sich nie für längere Zeit mit einem harmonisch hochentwickelten Pianisten zusammengetan hatte (wie Coltrane mit McCoy Tyner und Getz mit Chick Corea, später mit Kenny Barron) wird angeschnitten, aber nicht beantwortet. Ich denke, dass Rollins seine Inspirationen eher bei Rhythmen und Melodien als bei Akkorden suchte. Das würde einiges erklären: seine häufige Vorliebe für Trios mit Bass und Schlagzeug, sein Interesse an ungewöhnlichen Themen („There‘s no business like show business“, „An old cowhand“, „Wagon Wheels“, „You are my lucky star“, „Toot Toot Tootsie“), sein Desinteresse an einer Zusammenarbeit mit Big Bands. Leider geht der Autor nicht auf die schönen Themen von Rollins ein, von denen einige schon seit langem zum Standardrepertoire des Jazz gehören – das wäre ein eigenes Kapitel wert gewesen. Immerhin gibt es zum Schluss des Buches drei transkribierte Solos mit guten Kommentaren von Ken Rattenbury. Das Buch regt an, sich einmal wieder intensiver mit dem größten lebenden Jazzmusiker zu beschäftigen. Und dem Vernehmen nach kommt er bald wieder nach Europa! Um ihn live zu erleben, lohnt sich auch heute noch eine weite Reise. Arnold Shaw: 52nd Street - The Street of Jazz Da CapoPress, New York, 378 Seiten. Der Abschnitt der New Yorker 52nd Street zwischen der 5. und 7. Avenue war zwischen 1935 und 1948 das Jazz-Zentrum der Welt. Nirgendwo sonst konnte man auf so engem Raum jeden Abend in Jazzclubs (= Nachtlokale mit Jazz) so viele Weltklassemusiker erleben. Arnold Shaw beschreibt diese Szenerie derart lebendig, dass man sofort spürt: er hat das alles miterlebt. Sein sehr lesenswertes Buch, das zuerst 1971 mit dem bezeichnenden Untertitel „The Street that never slept“ erschien, ist ein Klassiker der Jazzliteratur und mit Recht noch heute im Handel. „ The Street“ (unter dieser Bezeichnung kannte sie damals auch jeder New Yorker Taxifahrer) hatte noch weitere Lokale mit anderer Musik zu bieten und mit der „White Rose Bar“ auch einen speziellen Musikertreffpunkt. Aber der Jazz war die Hauptsache. Immer wieder konnte man einen Musiker während einer Pause mit seinem Instrument aus einem Club kommen und in einen anderen gehen sehen, wo er sofort mitspielte. Shelly Manne drückte es so aus: „The main object was to swing. And as long as you did that, you could sit in with anybody“ (S. 131). Es gab Dixieland, Swing und Bebop in den verschiedensten Besetzungen. Die zumeist kleinen Clubräume waren für Big Bands wenig geeignet. Aber das 3 ½-monatige (!) Gastspiel der Count Basie Big Band mit 13 Musikern im „Famous Door“ 1938 muss ein unglaubliches Erlebnis gewesen sein – und es war eine Art Durchbruch für dieses Orchester. Ende der 70er-Jahre kam das Ende in mehrfacher Hinsicht. Der Jazz muss Stripteaselokalen und Chinarestaurants weichen („52nd Street is beeing strangled by a G-string in soya sauce“ schrieb damals ein Journalist, S. 331), und Häuser wurden verkauft und abgerissen, um höheren mit mehr Rendite Platz zu machen. Nur das „Jimmy Ryan‘s“ und das „Hickory House“ hielten noch länger aus. In letzterem spielte übrigens Jutta Hipp 1956 einige Monate im Trio mit Peter Ind und Ed Thigpen und nahm dort auch zwei Platten für BLUE NOTE auf. Patrick Burke: Come in and hear the truth - Jazz and race on 52nd Street (mit 26 Photos), The University of Chicago Press/Chicago and London 2008 erschienen ist dies eine mit wissenschaftlicher Gründlichkeit durchgeführte Untersuchung der berühmten New Yorker „Street of Jazz“, der die Nähe Arnold Shaws (siehe vorhergehende Besprechung) zum Thema fehlt, die aber dafür exakte Daten (soweit noch feststellbar) liefert. Der Autor hat dazu mit viel Spürsinn alle nur erreichbaren Quellen herangezogen. Man sollte aber Shaws Buch zuerst lesen. Fotos aus der Zeit zwischen 1939 und 1941 (leider nicht im Buch enthalten) zeigen, dass es damals in dem betreffenden Abschnitt der 52nd Street nicht nur eine Reihe von Clubs, sondern auch französische, schweizerische und russische Restaurants, ein Pelzgeschäft, Bücher- und Plattenläden, einen Schneider, einen Geigenbauer, einen Supermarkt, einen Drugstore und eine Autowerkstätte gab. Also keine exklusive Lage, der Jazz war mitten im Leben. Zu Dixieland und Swing kam ab 1943 (Gillespie-Pettiford Combo im „Onyx“) noch der Bebop hinzu. Zahllose Musiker, die nie in der „Street“ einen festen Job hatten, waren trotzdem dort zu hören: als Einsteiger, weshalb man auch von der „Street of Jam Session“ sprechen könnte. Solche Straßen sollte es heute wieder geben. Der Jazz braucht sie. Dan Ouellette: Ron Carter – finding the right notes, www.artist~share.com, USA, 435 Seiten. Ron Carter gehört zu den am häufigsten aufgenommenen Bassisten des Jazz. Der Autor spricht sehr ungenau von 2.000 bis 4.000 Platten (S. 415 – wozu gibt es Diskographien?). Gründe für die Beliebtheit Ron Carters gibt es eine ganze Reihe: er war ein überaus rhythmisch sicherer und zugleich kreativer Begleiter und Solist, ein erstklassiger Notist, stilistisch sehr flexibel und obendrein außerordentlich zuverlässig. Geboren am 4. Mai 1937 begann er mit zehn Jahren Cello, nahm dann Klarinette dazu und wechselte mit 17 Jahren zum Kontrabass. Er strebte eine Karriere als klassischer Musiker an, musste aber bald einsehen, dass ihn – damals jedenfalls – wegen seiner Hautfarbe kein Symphonieorchester engagieren würde. Dafür fand er nach seiner Übersiedlung 1959 in New York schnell Aufnahme und Anerkennung in der Jazzszene. Als Mitglied von Miles Davis‘ beständigstem Ensemble 1963 bis 1968 schrieb er Jazzgeschichte; sein Zusammenspiel mit Tony Williams und Herbie Hancock setzte neue Maßstäbe und offenbarte neue Möglichkeiten der Synthese von Klavier, Bass und Schlagzeug. Danach arbeitete er mit eigenen Gruppen und wirkte bei zahlreichen Studioproduktionen mit. Seine Duoaufnahmen mit Jim Hall gehören zum Besten, was die Kombination Gitarre-Bass bisher zuwege gebracht hat. Dan Ouellette lässt Ron Carter immer wieder selbst zu Wort kommen, daneben auch viele andere Musiker. Auch die Arbeit für Werbeaufnahmen (Jingles) und Filme und die Lehrtätigkeit kommen zur Sprache. Das Buch ist Pflichtlektüre nicht nur für alle Bassisten. Joe Viera |
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