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Der „sächsische Geschichtenerzähler“ aus Dresden und der große Geschichtenerzähler aus Danzig beziehungsweise Lübeck sind wieder „on the road“. Wortgewaltig und trommelsüchtig klönen Günter Grass und Günter Baby Sommer im Herbst zur Zeit der Frankfurter Buchmesse über den Blechtrommler Oskar Matzerath. Damit knüpfen die Günters an die Anfänge ihrer intensiven Kooperation an, die bis heute vier preisverdächtige Tonträger-Produktionen – „Es War Einmal Ein Land“ (D-LP Febr. 1986), „Wer Lacht Hier, Hat Gelacht?“ (MC Sept. 1988), „Da sagte der Butt“ (CD + Buch, Juli 1992) und „Mein Jahrhundert“ (Hörbuch, Mai 2001) hervorgebracht hat. Fünfzig Jahre ist es her, dass Grass’ großartiger Roman erschienen ist und die deutsche Literatur oder genauer die Literaturkritik ordentlich aufgemischt hat. Gleichzeitig feiert der Schriftsteller und Künstler Grass seinen 82. Geburtstag und der Literaturnobelpreis, den er vor zehn Jahren erhalten hat, geht auch mit aufs Konto der „Blechtrommel“. Diese Ballung an denkwürdigen Terminen dient Grass-Verleger Gerhard Steidl als Anlass für eine Neuauflage des Jahrhundertwerks, wie der „Prototyp des neuen Romans“ (Basler Nachrichten) heute gesehen wird. Damit einhergehend – auch eine Wiederaufnahme der in den 80er Jahren gefeierten Zusammenarbeit von Grass und Baby Sommer. „Ich wüsste niemand“, schrieb Grass in den Linernotes von „Mein Jahrhundert“, „mit dem ich dergestalt meine Bücher beleben könnte (…) Sollte ich für Baby Sommer eine Fundgrube sein, so ist er für mich ein Glücksfall“. Ähnlich hört es sich an, wenn der emeritierte Professor Baby Sommer von den Anfängen der gemeinsamen Bühnenarbeit erzählt. Als er in seiner Butze in Radebeul eine geschmuggelte Kassette von Grass mit dem ersten Kapitel der Blechtrommel „Der Weite Rock“ anhörte, „habe ich sofort in der Sprache von Grass einen Partner entdeckt“, schwärmt er mit funkelnden Augen. „Der konnte rhythmisch lesen. Und auf der semantischen Ebene war das wie´s trommeln selbst“, geht Sommer ins Jahr 1985 zurück, „ich konnte sofort loslegen. Grass’ Worte und Sätze hallten in mir, erzeugten einen Fluss, den ich nur miterzählen brauchte – auf den Trommeln und auf meine Art.“ Zwischen Trommeln und Sprache erkennt der schlagkräftige Sachse einen ganz elementaren, ursächlichen Zusammenhang. Als eines der ältesten Kommunikationsmittel der Menschen, ist das Trommeln für ihn eine ureigene Sprache. Hört man, wie er Hugo Balls dadaistische „Karawane“ lautmalerisch – ähnlich wie beim beatboxing – rhythmisiert und ,vertrommelt’, glaubt man ihm aufs Wort. Jedweder Schlag mit einem Schlegel, Besen oder Handtuch, jedes Reiben, wischen, Klimpern mit einem Gegenstand, das Spiel mit der Hand, den Fingern – alles hat bei Sommer „eine bildhafte Bedeutung“. Schon vor Grass hat „Der sächsische Geschichtenerzähler“, wie er in einem WDR-Porträt charakterisiert wurde, mit dem lesenden Schauspieler wie Friedrich-Wilhelm Junge gearbeitet. Später auch intensiv mit Autoren und Dichterinnen wie Christa Wolf, Christoph Hein und Rafik Schami. Mehr als jeder andere deutsche Jazzmusiker hat Sommer mit Stimmen der Literatur zusammengearbeitet. Auf die Wiederaufführung der „Blechtrommel“ freut er sich sehr, „das berührt mich ungemein.“ Wie alle Programme, die er mit Grass zusammen auf die Bühne gebracht hat, „ist auch die Blechtrommel nicht temporär begrenzt. Es ist Arbeit, die Bestand hat“, ist er überzeugt. Während des Spielens, erinnert er sich, „laufen die Texte in mir ab, ich erzähle sie im Stillen mit“. Dadurch entwickelt sich eine große Affinität zwischen Sprache und Spiel, „wobei der Text immer Vorfahrt hat“ und „keinesfalls verhackstückt wird“, setzt Sommer deutliche Prioritäten. Zwei Termine sind für die Wiederaufnahme der „Blechtrommel“ vorgesehen. Gewissermaßen zum Aufwärmen am 15. Oktober im Deutschen Theater in Göttingen, der Heimatstadt von Grass’ Stammverlag Steidl. Am Tag darauf, seinem Geburtstag, liest Günter Grass, begleitet von Baby Sommer in Frankfurt/Main. Aufführungsort wird entweder die Alte Oper oder eine Messehalle während der gleichzeitig laufenden Buchmesse sein. Wenn der trommelnde Sachse dann nach jahrzehntelanger Pause wieder in die Haut des Glas entzwei singenden, zu kurz geratenen „Blechtrommlers“ Oskar schlüpft, kommt garantiert irgendwann der Punkt, wo er nicht mehr genau weiß „bin ich der Erzähler oder der Musiker?“ Die Zuhörer dagegen können zwei „Dinosaurier der Bühne“ erleben, die sich auf einmalige und unwiederholbare Weise gegenseitig reizen, umkreisen, mitziehen und befeuern, dass es eine hörbare Pracht ist. Im Unterschied zu ihrer großen Tournee im Januar 1988, geht diesmal auch alles mit rechten, sprich legalen, Dingen zu. Denn heute muss Sommer kein Solokonzert fingieren, um ein Visum zu ergattern, mit dem er die DDR verlassen konnte. Ein großer Fortschritt. Michael Scheiner LP-Tipp
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