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Niemand ist Weltbürger, nur weil er viel unterwegs ist. Sonst könnte längst jeder nur halbwegs erfolgreiche Musiker, und sei es der Barpianist von Hochseedampfern, dieses Attribut für sich verbuchen. Kosmopolit aber wird man nicht durch gesammelte Flugmeilen, sondern aus Lebenserfahrung und Weltkenntnis heraus. Ein Künstler wie der Saxofonist Charlie Mariano hat seine Weltbürgerschaft wahrhaftig gelebt, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Über lange Jahrzehnte, sowohl biografisch als auch musikalisch.
Geboren wurde der spätere Meister als Camine Ugo Mariano 1923 in Boston, wo er seine Jazzkarriere in der frühen Nachkriegszeit startete und von wo aus er schon bald mit den ganz Großen der Zunft – Woody Herman etwa, Charlie Parker und Dizzy Gillespie – auf Tour, durch die Konzertsäle und in die Plattenstudios zog. Beizeiten widmete er sich der Weltmusik – ein Vorgänger zahlloser Nachahmer auch darin, wurde doch dieser heute längst schwammig gewordene Begriff erst viel später kreiert. Doch der Schmelztiegel der Neuen Welt, in die seine aus den Abruzzen stammenden Eltern nach ihrer Auswanderung aus Italien hineingeraten sind, der hat den jungen Mariano schon früh beeinflusst. Er beließ es allerdings nicht dabei, dass die Dinge auf ihn einwirkten, er machte sich gern selbst und vor Ort ein Bild. Reisen nach Japan prägten ihn, der zunächst Klavier gespielt hatte, dann aber zu Saxofonen und Flöten wechselte, ebenso wie ein Aufenthalt in Indien. Dort hat er nicht nur das der Oboe ähnelnde Instrument Nadaswaram (auch als Nadhaswaram oder Nagaswaram bezeichnet) zu spielen erlernt, sondern darüber hinaus für sein gesamtes weiteres Leben entscheidende Wendungen erfahren. Vielleicht auch die Wurzeln dafür gefunden, ein Leben lang bodenständig geblieben zu sein. Was viele Europäer und Amerikaner auf dem Subkontinent gesucht haben, Mariano hat es gefunden: Eine Energie von ganz tief innen, die sich seitdem in seiner kraftvoll intensiven Musizierweise widergespiegelt hat. Das war 1973, von da an verschmolz, was Mariano den bisherigen Jazztraditionen abgelauscht hat, mit einer geradezu glückhaft spürbaren Emotionalität, die sich vielfältig der vorherrschenden Einflüsse bediente, um originär in einem eigenen Stil zu münden. Man könnte Charlie Mariano als Lyriker des Jazz bezeichnen. Ein Virtuose, der in traumwandlerischer Sicherheit die instrumentalen Möglichkeiten von Saxofonen und Flöten auslotete, war er sowieso. Und stets auch ein Meister der Fusion! Ansteckend: Man konnte sich ihm nicht entziehen. Denn ein Charlie Mariano verband nicht nur Okzident und Orient, nicht nur Neue und Alte Welt (obschon er diese Begriffe für überkommen gehalten haben dürfte!), sondern röhrte in die Bereiche des rockigen Jazz, fauchte sich durch die Folklore und transzendierte vital alle Tradition. Von Anfang der 1970er Jahre an lebte er, nach mehrjährigem Aufenthalt in Japan, in Europa, dort zunächst in den Niederlanden; fand hier neue Partner und lotete mit ihnen den Klangkosmos aus. Als einer der ersten musizierte er im Verbund mit dem libanesischen Oud-Spieler Rabih Abou-Khalil und dem argentinischen Bandoneonisten Dino Saluzzi. Als Mitbegründer des United Jazz & Rock Ensemble führte er den Gedanken des stilistischen Schmelztiegels auch eine Zeitlang im Titel. Kein Wunder, dass die-se mitunter auch Band der Bandleader geheißene Formation dieses Spiel- und Improvisationstalent förmlich an sich sog. Ein ebenso wechselseitiger Vorgang wie die Inspiration Marianos, mit der er sein Publikum faszinierte. Einem wie ihm konnte sich niemand entziehen. Dutzende Einspielungen erschienen im Lauf der Jahrzehnte unter Marianos
Namen, seinem Mitwirken sind sogar mehr als 300 Scheiben zu verdanken,
die er mit einem wie aus der interplanetaren Endlosigkeit kommenden Sound
bereichert hat. Als bräuchte es sonst keines Beweises, wie jung guter Jazz halten kann, tourte Mariano noch in vergleichsweise hohem Alter durch die Konzertsäle. Und keinmal schien er gealtert. Selbst als der Meister bereits in seinem neunten Jahrzehnt lebte, blieb der musikalische Vortrag frisch und vital, unglaublich. Entrückt wirkte er jedoch nur in seinem Welten verbindenden Spiel. Am 16. Juni 2009 ist er 85-jährig in seiner Wahlheimat Köln an Krebs gestorben. Michael Ernst |
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