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Es gibt kein Wort für seine Musik. Jon Balke kennt keines. Journalisten oder Musikforscher sollen sich etwas überlegen und ihm dann sagen. Interessieren würde es ihn, wie man sein neues Projekt „Siwan“ mit einem Wort beschreiben könnte. Aber man kann es nicht. Zu viel steckt in dieser Musik, zu tief sind ihre Wurzeln und zu weit verzweigt ist ihre Geschichte. Alles begann mit einer Einladung. Jon Balke, norwegischer Jazzpianist dessen Musik nicht wirklich in eine Kategorie zu fassen ist, sollte zum fünfzehnjährigen Jubiläum der Osloer Kulturbühne „Cosmopolite“ im September 2007 ein Konzert spielen. Ein Konzert mit einem, dem Anlass entsprechenden Programm, etwas, das zur Bühne passt. Mit „Weltmusik“ sollte es zu tun haben und ein großes Ereignis sollte es werden. Das waren die Vorgaben des aus Marokko stammenden Clubbesitzers. Balke war skeptisch und überlegte ob überhaupt und wenn, wie er dieses Projekt verwirklichen sollte. Er forschte in traditioneller Marokkanischer Musik. Dabei fiel ihm eine Aufnahme der Sängerin Amina Alaoui in die Hände. Sie stammt aus Marokko und beschäftigt sich intensiv mit der Musik des Al-Andalus. Sofort war Jon Balke fasziniert von Musik und Sängerin. Amina Alaoui singt diese sehr alte Musik unwahrscheinlich modern. Als Sängerin und Musikwissenschaftlerin machte sie Jon Balke mit der Geschichte und Kultur des Al-Andalus bekannt. Von 711 bis 1492 war ein großer Teil Spaniens unter Muslimischer Herrschaft, diese Landesteile hießen Al-Andalus. Die Kultur dieser Zeit war reich an unterschiedlichen Einflüssen. Die Muslimischen Herrscher ließen diese Einflüsse, auch die anderer Religionen zu, ja förderte sie sogar. Eine einmalige Kulturlandschaft mit regem Austausch zwischen jüdischen, christlichen und muslimischen Kulturschaffenden entstand. Diese multikulturelle Gesellschaft endete im 15. Jahrhundert, als die Kreuzzüge der Christlichen Könige über das Land herfielen, die Muslime vertrieben und die Juden zum Christlichen Glauben zwangen. Die Quellen über die Kultur wurden zum größten Teil zerstört. Die Musik des Al-Andalus ist aber nur ein Baustein des „Siwan“ Projekts. Balke beschäftigte sich damals auch mit Barockmusik und arbeitete mit einem Norwegischen Ensemble für Alte Musik zusammen. Sofort sah er eine Verbindung zwischen der Musik der Iberischen Halbinsel und dem Mitteleuropäischen Barock. Er machte sich ans Komponieren und fügte seine eigene jazzorientierte Note ein. Als Jon Balke mit dem amerikanischen Trompeter Jon Hassell über dieses Projekt plauderte und dieser sofort mitspielen wollte, wurde der Jazzbaustein noch gestärkt. Die Art Musik zu machen und die damit verbundene Freiheit ist in allen drei Musikbereichen ähnlich. Das war auch der Grund für Jon Balke, diese Stile zu verbinden und
für so eine ungewöhnliche Besetzung zu schreiben. „Siwan“ schlägt
eine musikalische Brücke zwischen ganz unterschiedlichen Zeiten,
Gesellschaften und Stilen. Solche „Weltmusik“-Projekte können
konstruiert wirken. Auch Balke mag folkloristische Musik, die möglichst
massentauglich in seichte Form gebracht wird, nicht. „Siwan“ ist
nichts dergleichen. Obwohl alles aus unterschiedlichen Bausteinen zusammengefügt
ist, klingt die Musik homogen und absolut natürlich. Was daran liegen
mag, dass Jon Balke ein sehr einfühlsamer und sensibler Komponist
und Dirigent ist. Jedes Mal organisiert er die Abläufe neu und fungiert
als Impuls- und Raumgeber für die Solisten und das Barockensemble.
Als Pianist nimmt er sich ganz zurück, streut dezent elektronische
Klänge ein und lässt die Musik fließen. Gerade so starke
musikalische Persönlichkeiten wie Amina Alaoui, Jon Hassell und
der herausragende Algerische Violinenvirtuose Kheir Eddine M’Kachiche,
brauchen Raum und Zeit zur Entfaltung. Beides gibt ihnen Jon Balke. Ulrich Habersetzer |
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