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Jazzzeitung
2009/04 ::: seite 6
portrait
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„Blues Beyond Borders“ heißt eine Sammlung von Kompositionen
für Blues-Piano, die von Peer Music in drei Bänden herausgegeben
wird. Ursula Gaisa unterhielt sich mit dem vielseitigen Pianisten Marcel
Worms, für den Komponisten aus aller Welt Kompositionen beisteuerten.
Auf der Musikmesse Frankfurt 2009 gab er eine Kostprobe, ein Augen- und
Ohrenschmaus, der unter www.nmz.de/media jederzeit zugänglich ist.
Jazzzeitung: Wie kommt ein klassisch ausgebildeter Pianist zum Jazz,
beziehungsweise zum Blues?
Marcel Worms: Ich bin schon von klein auf ein großer Jazzliebhaber.
Im Grunde sehe ich auch absolut keinen Unterschied zwischen klassischer
Musik und Jazz. In beiden Fälle geht es doch um Emotionen, um Ausdruck.
Nach meinem Studium am Konservatorium Amsterdam habe ich einen Nische
gesucht. Es gibt so viele Konzertpianisten und man sollte doch etwas
Spezielles haben, um sich zu unterscheiden. Weil ich gerne Jazz spielte
und improvisierte (auf dem Gymnasium hatte ich eine Jazzband) konzentrierte
ich mich ab 1992 auf das Repertoire des 20. Jahrhunderts, das vom Jazz
angehaucht war. Komponisten wie Strawinsky, Hindemith oder Milhaud standen
unter dem Einfluss des Jazz, benutzten diesen Musikstil auf eine ganz
persönliche Weise und bezogen ihn in ihre Kompositionen ein. Nach
einigen Jahren hatte ich das Gefühl, dass sich dieses Repertoire
allmählich erschöpfte. Um an Neues zu kommen, lud ich zeitgenössische
Komponisten ein, für mich zu schreiben. Der Blues steht an der Wiege
des Jazz, und ich habe die Komponisten gebeten, den Blues als Ausgangspunkt
zu nehmen. Auf diese Weise hatten sie auch gleich eine gewisse Form,
einen Aufhänger, obwohl ich ihnen frei stellte, die formellen Merkmale
des Blues (wie blue notes, Bluesakkorde, Bluestonleiter usw.) zu benützen
oder nicht. Eher war es wichtig für mich, dass der Charakter, der „Soul“ des
Blues vom Komponisten zum Ausdruck gebracht würde, Außerdem
liebe ich den Blues sehr. Die Kombination von Moll und Dur, die Chromatik,
der ambivalente Charakter, das alles fesselt mich.
Jazzzeitung: Gibt es konkrete Vorbilder? Aus
dem Jazzbereich?
Worms: Ich habe mir immer genau so gerne Jazzmusiker
angehört wie
klassische Musiker. Meine großen Helden sozusagen waren und sind
Miles Davis, Bill Evans, Oscar Peterson und Keith Jarrett. Was mir immer
so gefiel am Jazz war, dass es viel leichter ist, im Vergleich zu klassischen
Musikern, den persönliche Stil eines Musikers zu erkennen.
Jazzzeitung: Haben Sie das Gefühl, dass der Jazz in den Niederlanden
gleichwertig gehandelt wird wie die klassische Musik?
Worms: Einerseits kann man diese Frage positiv beantworten:
wir haben in Amsterdam zum Beispiel das Bimhuis, ein weltweit respektiertes
Jazzpodium.
Ich habe dort schon drei Mal mein Bluesprojekt präsentiert. Das
North Sea Jazz Festival ist das größte Jazzfestival der Welt.
Niederländische Jazzmusiker wie Han Bennink und Misha Mengelberg
sind berühmt bei Jazzliebhabern in jedem Land, wo ich spiele. Andererseits
mussten viele Jazzbühnen in Holland wegen niedriger Subventionen
aufgegeben werden. Es gibt ein Rundfunkstation für klassische Musik,
auf der man früher Jazz hören konnte, heute nicht mehr. Einen
Rundfunksender für Jazz gibt es nicht bei uns.
Jazzzeitung: Wie kam es zu dem Projekt – dass Komponisten aus ganz
Europa und der Welt Blues-Stücke für Sie geschrieben haben?
Worms: Ich bin mit meinem Anliegen, einen Blues für mich zu komponieren,
ganz zu Anfang an den englischen Komponisten Michael Finnissy herangetreten.
Er ist ziemlich berühmt in Avantgarde-Kreisen. Ich hatte seine jazzartigen
Werke auf dem Klavier gespielt und fand diese sehr gut. Drei Wochen nach
meiner Bitte gab es schon ein schönes Stück von Finnissy für
mich: „Honky Tonk Blues“. Dass dies alles so einfach verlief,
ermutigte mich, mich mit meiner Bitte auch an andere Komponisten zu wenden.
Ich machte weiter mit niederländischen Künstlern, Jazzmusikern
sowie klassisch ausgebildeten Komponisten. Ich fing in dieser Zeit an,
immer mehr zu reisen und habe mich dann auch an ausländische Komponisten
gewandt. So bekam ich Bluesstücke aus China, Russland, Südafrika,
Brasilien usw. Die kulturellen Unterschiede zwischen den Stücken
fand ich interessant.
Jazzzeitung: Wird oder gab es eine CD dazu?
Falls ja, wo ist sie erschienen?
Worms: Die ersten zwei Blues CDs sind auf dem niederländischen Label
NMEXTRA erschienen. Das war ein Label, an dem auch DONEMUS, Verleger
von niederländischer Musik, beteiligt war. Danach habe ich eine
Blues-CD auf meinem eigenen Label, Vermes Record, veröffentlicht.
DONEMUS hat 2007 zwei Alben mit Blues von holländischen Komponisten
publiziert, und das Attacca Label hat diesen Blues auf einer Doppel-CD
herausgebracht. Peer Music wird seine drei Notenbände mit CDs versehen,
die aller Wahrscheinlichkeit nach auch separat veröffentlicht werden.
Jazzzeitung: Soll das Projekt weitergeführt werden?
Worms: Was mich betrifft – ja. Ich habe noch immer das Gefühl,
dass das Blueskonzept stark ist und so viele Möglichkeiten für
Komponisten bietet. Neulich bekam ich einen Blues aus Albanien, in Kürze
erwarte ich Beiträge aus Uganda und dem Sudan. Ich finde es besonders
interessant, Stücke zu spielen aus Ländern, wo man nicht mit
der Jazztradition aufgewachsen ist. Diese Beiträge sind oft die
spannendsten.
Jazzzeitung: Nennen Sie zwei, drei Favoriten,
Stücke, die Sie am
liebsten spielen, am interessantesten finden.
Worms: Mit allem Respekt gegenüber den anderen Komponisten denke
ich sofort an „Frozen Blues“ von Robert Nasveld (Holland).
Darin ist der Blues reduziert auf sein Wesen mit einem raffinierten Gebrauch
von Obertönen. In vielen Ländern nennen Zuhörer nach einem
Konzert dieses Stück, was beweist, dass das Pub-likum einen sehr
guten Geschmack, ein Gespür für Qualität hat. Joey Roukens,
ein junger niederländischer Komponist, hat in seinem „Blues
on a bright background“ eine hervorragende Collage aus sehr verschiedenen
Bluesstilen hergestellt. Ali Osman, ein Komponist aus dem Sudan, der
schon lange Zeit in Kaïro lebt, schrieb den „Afro-Arab Blues“,
eine Synthese aus Blues und arabischer Musik, in dem ich das enormes
Verkehrschaos in Kaïro zu hören glaube. Ich liebe auch die
Stücke, in denen der Komponist Raum zum Improvisieren lässt.
In der klassischen Musik fehlt dieses Element fast immer, aber ich habe
im Laufe der Zeit gelernt, auch klassische Musik mehr improvisatorisch
zu spielen, natürlich nicht im Sinne, dass ich Noten ändere
aber durch die Haltung eines Improvisators. |