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Euphorisch klingt es, wenn der Leipziger Oliver Schwerdt von Euphorium
Records zu erzählen beginnt. Was heißt erzählen? Schwerdt
doziert, analysiert, referiert, entfaltet und philosophiert, dass einem
der Kopf zu schwirren beginnt. Euphorie be-
Seinen Geburtstag gibt er mit dem Tag der legendären Trioaufnahme „Touch The Earth“ mit Leo Smith, Peter Kowald und Günter Baby Sommer an – der 13. November 1979. Der Dresdner Schlagzeuger, Inszenierer und Perkussionist Sommer steht auch heute noch im Zentrum des Interesses von Schwerdt. Seit drei Jahren arbeitet der 30-Jährige im Rahmen eines Promotionsstudiums an der Leipziger Universität an einer musikwissenschaftlichen Dissertation zum Spiel und der Musik Baby Sommers. Bei Theorie und empirischen Untersuchungen aber bleibt Schwerdt, selbst als Perkussionist und Pianist auf einigen Scheiben zu hören, keineswegs stehen. Auf mehreren der zwischenzeitlich zehn Tonträger ist Sommer mit von der Partie. Auf der Nummer 1, einer Vinyl-Scheibe, im Quartett „Bedrohte Art“ mit dem Saxofonisten Hartmut Dorschner, Friedrich Schenker und Birg Borgenthal. Der köstliche Titel „1 Schenkel, 1 Dorsch, Sommers schön im Birkenthal“ weist über die Stilgrenzen von Freejazz und Improvisa-tionsmusik auf eine kunsthistorische Blüte besonderer Art – den Dadaismus, der sich in der Zeit des 1. Weltkrieges als antibürgerliche Bewegung entwickelt hat. Ein Zitat Hans Arps: „Dada ist der Ekel vor der albernen verstandesmäßigen Erklärung der Welt“, kann mit einigem Fug auch auf die Aktivitäten des „Euphorium freakestras“ angewendet werden. Dessen Projekt „DRZK.w ä h u h°“ im Jahr 2002 war für Schwerdt und den Dresdner Saxofonisten Dorschner der Auslöser für die Gründung des Labels. Dem folgten bald weitere Gründungen. Als Ziel nennt der rührige
Organisator „… die Entwicklung des Projektensembles Euphorium
_freakestra in seinen Werken zu dokumentieren. Auf Grund der interdisziplinären
Konstruktion des ‚Euphorium’ bilden ‚Euphorium Books’ und ‚Euphorium
Videos’ entsprechend zu ‚Euphorium Records’ die Produktionssparten
zur Veröffentlichung von Literatur- und Bilddatenträgern. Die
dokumentierende Arbeit von ‚Euphorium Records, Books & Videos’ ist
kulturgeschichtlich“, deutet Schwerdt selbstbewußt den künftigen
Stellenwert, „umso bedeutungsvoller, da das Ensemble seine Projekte
zum überwiegenden Teil nicht auf der Bühne reproduziert“. In dieser Anfangszeit nimmt Schwerdt rückblickend „ein erstes Stadium dieser begeisternden Entdeckung, musikalisch auf der Grundlage des Hörens im Kollektiv produktiv interagieren zu können“ wahr, dem später mit dem „Euphorium freakestra“ immer neue folgen sollten. Der Fokus involvierter Musiker verschob sich dabei zunehmend auf die Einbindung älterer, erfahrener Improvisationsmusiker europäischer Provenienz, wie den Mitbegründer der legendären Electricjazz-Freemusic-Band OM Urs Leimgruber, Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky (as) und Uschi Brüning. Auf der anderen Seite stehen Youngster wie der Sommer-Schüler Christian Lillinger (dr), der Leipziger Gitarrist Alexander Schubert und der absurde bis lautmalerische Texte und Fragmente rezitierende Schauspieler Friedrich Kettlitz. Dieses Aufeinandertreffen von „Großmeistern“ und „von Ekstase und Rausch des Lebens inspirierten“, vorwärts strebenden jungen Künstlern zeitigte bereits mehrfach bemerkenswerte Ergebnisse. Dank Label und Euphorium Films sind solche temporären Ereignisse, die sich häufig im Leipziger Club „naTo“ abspielen, auch für Nicht-dabei-Gewesene noch nachvollzieh- und erlebbar. Eindrucksvolles Zeugnis eines solchen, streckenweise höchst euphorischen Happenings aus Klängen, Geräuschen, theatralischen Aktionen und Sprach-Wort-Getümmel ist die DVD „Euphorium Live – Scenes 2006“. Öffentlich präsentiert, würde diese jeden Bild-Zeitungsleser zur schäumenden Bestie mutieren lassen, ob der Kulturgelder, die in diese Produktion geflossen sind. Da diese Herrschaften erfreulicherweise kein Maßstab für den Wert künstlerisches Schaffen sind, kommt Schwerdt selbst wieder zu Wort: „Zum ersten Mal ist hier auf einem Videodatenträger dokumentiert, wie Urs Leimgruber seine Form eines kubistischen Saxofonspiels realisiert. Außerdem ist die faszinierende Erstbegegnung Christian Lillingers mit Ernst-Ludwig Petrowsky, nicht an der Seite Joachim Kühns, sondern Oliver Schwerdts visuell und natürlich auditiv dokumentiert.“ Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Vielleicht noch, dass die vielschichtige, höchst interessante CD „2 Trios & 2 Babies“ die „erste und einzige hörbare Dokumentation des Zusammenspiels von Günter Baby Sommer, einem der zentralen Akteure der ersten europäischen Generation des erweiterten Schlagzeug-Spiels im Jazz und seinem Zögling Christian Baby Lillinger“ beinhaltet. Lillinger war übrigens bei der Aufnahme gerade mal 21 Jahre alt. Was ist von „Euphorium“ künftig zu erwarten? Schwerdt: „…die Veröffentlichung jener fulminanten ,kettlitzistischen’ Sprache an der Seite des Nobelpreisträger erfahrenen Schlagzeugers Günter Baby Sommers. Das Euphorium im Sinne des Ekstatischen wird durch neue Aufnahmen des „New Old Luten Trio“ mit „White Power Blues“ zu Gehör gebracht. Dabei wird das leidenschaftliche Instrumentalspiel als europäische Errungenschaft, jenseits von Schwarzafrika, vorgestellt. Außerdem erwarte ich die Möglichkeit umfangreiches Material einer „Free Electric Supergroup“-Sitzung und der … (heuer angepeilten) „Free Acoustic Supergroup“ zu veröffentlichen.“ Wir sind gespannt – inwendig breitet sich Euphorie aus. Michael Scheiner
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