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Jazzzeitung
2009/04 ::: seite 15
rezensionen
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Gerry Mulligan Paul Desmond
Quartet
Verve
Mulligan war begegnungsfreudig, vor allem nachdem er sich als Komponist,
Bandleader und Baritonsaxophonist längst etabliert hatte und sich
Experimente leisten konnte. In den späten 50ern bewies die Legende
des Cool Jazz in einer Serie von Plattenaufnahmen, dass er nicht nur
mit Ben Webster (1959), dem großen hotten Tenoristen der älteren
Generation, sondern auch mit dem Originalgenie Thelonious Monk (1957)
harmonieren konnte. Während Lee Konitz (schon 1953) bei gemeinsamen
Aufnahmen Mulligans seelenvoll-gemütlichem Pantoffel- und Pfeiffen-Cool
mit rasenden Geistesblitzen etwas die Schau stahl, gerieten die kontrapunktischen
Dialoge mit Paul Desmond auf dem vorliegenden Album des Jahres 1957 zu
gegenseitigem Gedankenlesen. In der Regel ging der anpassungsfähige
Mulligan bei solchen Spitzentreffen mehr auf den anderen zu als der auf
ihn, doch Desmond, betrat hier das Terrain Mulligans, der ja schon 1952
durch sein pianoloses Quartett für Furore gesorgt hatte und hier
spontan Ähnliches versuchte wie einst mit Chet Baker. Paul Desmond,
damals selten ohne Dave Brubeck und ohne Klavier zu hören, genoß hörbar
die Abwechslung. Mulligan meinte zur quasi unvorbereiteten Sonderauflage
des pianolosen Quartetts, an der Joe Benjamin (b) und Dave Bailey (d)
mitwirkten: “Manchmal blasen wir in Terzen. Ein wenig beunruhigend,
wie das gelingt!” Ihr Folge-Album hieß 1962 denn auch „Two
Of A Mind“.
Oscar Peterson
Plays The Jerome Kern Songbook
Verve
Bis etwa 1950 kam selten ein Jazzer auf die Idee, ein ganzes Programm
aus Kompositionen eines Musikers zu bestreiten. Für die meisten
Jazzer dürfte es nicht so wichtig gewesen sein, aus wessen Feder
der Song geflossen war, wenn er sich nur zur Improvisation eignete. Mit
aufwendigen Alben aus mehreren Schellacks und vor allem dem Siegeszug
der Langspielplatte wurde alles anders: Bestand zuvor eine Platte aus
nur zwei Stücken, erwies es sich nun als sinnvoll, einem Programm
aus etwa 12 Stücken einen roten Faden zu verleihen. Stammen alle
Stücke von einem Komponisten und ist dieser mindestens so populär
wie der Interpret, hat man sogar eine besonders zugkräftige Zusammenstellung.
So hielt das „Song Book“ im Jazz seinen Siegeszug, dessen „Vater“ der
Produzent Norman Granz, dessen Vorreiter allerdings Oscar Peterson waren.
Ab 1951 (lange bevor Ella Fitzgerald, die „Königin“ der
Song Books damit begann) nahm Peterson unablässig für Granz
Song Books der Herren Porter, Berlin, Gershwin & Co auf. Zu Beginn
der Hifi-Ära nahm er sie gleich nochmals auf. Das erlaubt uns im
Falle des Kern Song Books die Interpretationen des 59er-Trios mit Ray
Brown und Ed Thigpen mit denen des 53er-Trios mit Barney Kessel bzw.
Herb Ellis und Ray Brown zu vergleichen (siehe Jazzzeitung 5/07). Für
die gleichen 12 Standards brauchte Peterson wieder 34 Minuten. Die Versionen
unterscheiden sich aber in Tempo und Stimmung grundlegend.
Freddie Hubbard
Without A Song: Live In Europe 1969
Blue Note
Nicht immer sind nach dem Tod schnell ausgegrabene Funde würdige
Testamente eines verstorbenen Musikers. Nicht auszudenken, was für
neuere Aufnahmen Freddie Hubbards möglicherweise in Archiven schlummern
und herausgebracht werden könnten. Er litt ja in den letzten Jahren
seiner Laufbahn darunter, seine Klasse verloren zu haben und brachte
auch nur noch spärlich Alben heraus. Wenn die Aufnahmen einer Berühmtheit
vierzig Jahre auf ihre Veröffentlichung warten müssen, weckt
es freilich auch Skepsis. Das erste posthume Album des Trompeters ist
aber ein Glücksfall. 1969 war er im Vollbesitz seiner gestalterischen
Fähigkeiten. Hubbard, der, vergessen wir es nicht, einst an „Free
Jazz“ mitgewirkt hatte, gehörte zu dieser Zeit als sich im
Umfeld Miles Davis’ der Jazz-Rock anbahnte, zu den eher Konservativen.
Schon damals klang er vermutlich wie ein Klassiker, der ausgereifte Musik
bietet, statt der Mode hinterherzulaufen. So kommen die fünf Standards
und seine Originals „Space Track“ und „Hub-Tones“ heute
frisch aus der damals versiegelten Konserve – was man von seinen
kommerziellen Scheiben der 70er nicht unbedingt sagen kann. Im Dezember
1969 stand dem rückhaltlos in England und Deutschland sein Bestes
gebenden Trompeter mit dem Bassisten Ron Carter und dem Drummer Louis
Hayes ein Traum-Rhythmusteam zur Verfügung. Die voller Überraschung
steckenden Beiträge des Pianisten Sir Roland Hanna sind ein Genuss.
Naurabox
Fortissimo – Eine deutsche Jazzologie
Gateway4M
Er hält sich „für einen monströsen Narren. He’s
a fool on the hill, weil er sich nach 1945 dem Jazz verschrieben hat.
Mit Haut, Hirn, Haar und Hoden.“ Anderen gilt der Pianist, Komponist,
Dichter, Rundfunkmoderator, Autor, Organisator und Zeichner der nun zu
seinem 75. Geburtstag mit der „Naurabox“ geehrt wird, als
Jazzpapst. Michael Naura gehört zu den Gründervätern des
modernen deutschen Jazz: Sein Quintett der 50er Jahre, dem der Altist
Klaus Marmulla und Nauras Alter Ego, der Vibraphonist Wolfgang Schlüter,
angehörten, war ein Pendant des Modern Jazz Quartet, dessen Leiter
John Lewis ein Vorbild Nauras war. Unvergessen seine fruchtbare Zusammenarbeit
mit dem Dichter Peter Rühmkorf. Beim Begriff „Jazz + Lyrik“ denkt
man wohl immer zuerst an sie. Für die Naurabox, wurden keineswegs,
wie man erwarten könnte, ältere Plattenaufnahmen chronologisch,
gar komplett gebündelt. Eine gute Auswahl floss (oft zwischen von
Naura gelesenen Texten eingeschoben) allerdings in die Box ein, deren
sechs nach thematischen Gesichtspunkten zusammengestellte CDs – Naura
lyrisch, Naura musikologisch, Naura trifft Rühmkorf, Naura in Ochsenhausen,
Naura im Studio, Naura live im NDR - fünf Stunden Erstveröffentlichungen
enthalten. Neben den genannten Weggefährten geben unter anderem
Mangelsdorff, Asmussen, Doldinger, Thielemans und Zadlo ihr Herzblut.
Ein 64-seitiges Büchlein mit Zeichnungen und Erinnerungen machen
die Box zu einem Schatzkästlein.
Coco Schumann
Rex Casino
Trikont
Vom Undergroundswinger, dem im KZ die Musik buchstäblich das Leben
rettete, vom ersten elektrisch-verstärkten Gitarristen Deutschlands
haben dank Buch-, Film- und CD-Veröffentlichungen auch viele Menschen
gehört, die mit Jazz sonst nicht viel im Sinn haben. Das hat viel
Aufmerksamkeit auf jemanden gerichtet, dessen Swingfeeling und starke
Musikerpersönlichkeit nicht nur unter tragischen Umständen,
sondern auch in der Kommerzmusik erhalten blieb, die er vor seinem Comeback
als Jazzer machte. Nun öffnet Coco Schumann sein Privatarchiv. Herzstück
der Veröffentlichung ist ein Privatschnitt, der den unaufdringlich
unterhaltenden, handwerklich soliden Swing der Coco Schumann Combo 1955
live im Berliner Rex Casino, einer Lieblings-Tanzbar des amerikanischen
Militärgeheimdienstes, der Nachwelt überliefert hat. Aufgefüllt
wird die CD durch spätere Aufnahmen, mitunter Bar-Musik, deren nostalgischer
Charme Puristen mit ihrem kommerziellen Charakter versöhnen möge.
Die zweite Scheibe des Doppelpacks ist eine DVD mit Ausschnitten aus
Filmdokumentationen (Schumann in der Nazizeit) und privaten Aufnahmen
aus Schumanns Super8- und Videoarchiv: Impressionen vom alten Berlin
(z. B. sieht man Erich Kästner in einem Biergarten am Grunewaldsee)
sowie von Kreuzfahrten und Reisen (mit dem unzerstörten Beirut der
60er Jahre). Freude macht das lockere Zusammenspiel mit einem Zacharias,
der das Jazzen noch nicht verlernt hatte.
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