Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Talmage Holt Farlow zählt zweifellos zu den atemberaubendsten Gitarristen der Jazzgeschichte. Da er aber nicht nur ein grundbescheidener Mensch war, sondern seine letzten Lebensjahrzehnte lieber in seinem gelernten Beruf als Schildermaler und an der Seite seiner Frau verbrachte als die Strapazen des Musikgeschäfts auf sich zu nehmen, hat er selbst dafür gesorgt, daß er eher eine Kultfigur für Insider blieb. Mit harmonischer Subtilität, ungewohnten Fingersätzen und eigenen Gitarrenmodellen erschloß Farlow der modernen Jazzgitarre Neuland. Fast könnte man das Vorwärtsweisende, ja selbst die Virtuosität im Spiel des wieselflinken Saitentänzers überhören, denn alles klang bei Farlow so mühelos leicht, so ganz ohne jeden Anflug der bald bei Kollegen einsetzenden elektrischen Kraftmeierei. Der Strom diente Tal Farlow nicht zur Erzeugung von Lautstärke, sondern erleichterte seine Behändigkeit. Vielarmig wie ein indischer Gott, der sein Griffbrett zur Rennbahn machte, erhielt der kaum je erreichte Techniker den Spitznamen „Octopus“. Doch die ruhige Hand des Schildermalers, das offensichtlich harmonische Naturell gibt den Ausschlag. So faszinieren seine besten Aufnahmen in ihrem seltsamen Miteinander von Gelassenheit und Raserei. Obgleich Tal Farlow bisweilen schneller bopte und coolte, als man mitzudenken vermochte, war er stets ein begnadeter Melodiker mit weichem, verhaltenem Sound, dessen Spiel Wärme ausstrahlte und immer auch einen Schuss Humor aufwies. Bekannt wurde der Charlie Christian-Schüler Tal Farlow in den frühen 50er Jahren im Trio des Vibraphonisten Red Norvo. Sein hochvirtuoses, schlagzeugloses Trio mit Tal Farlow und dem Bassisten Charles Mingus war die erste Jazzband in dieser Besetzung. Seine Entstehung verdankt das Trio Norvos Wunsch in der Nähe seines kalifornischen Heims zu arbeiten. Da es schwer war Engagements für mehr als drei Musiker zu bekommen, machte Norvo aus der Not eine Tugend. Tal Farlow hörte er zufällig, als sein Gitarrist Mundell Lowe ausstieg und auf Charles Mingus stieß er als sein Gitarrist George Kelly einmal nicht erschien. Beide Musiker waren noch kaum bekannt, hatten damals nichts zu verlieren als sie vom berühmten Norvo engagiert wurden und durch ihn wurden sie bekannt. Dieses Trio überzeugte durch ausgefeilte Arrangements und die traumwandlerisch sichere Interaktion zwischen dem Vibraphon-Altmeister Norvo, dem zukünftigen Bass-Titanen Charles Mingus und unserem Gitarristen. Die Arrangements existierten aber nur im Kopf der Musiker, niemals auf dem Papier. Als Norvo einmal den Großen Arrangeur Eddie Sauter bat, etwas für sie zu komponieren, weigerte er sich mit den Worten: „was da auf der Bühne musikalisch und emotional passiert hat mich überzeugt, daß kein Mensch schreiben könnte, was ihr Jungs da tut.“ Farlows wichtigste Aufnahmen unter eigenem Namen entstanden in den fünfziger Jahren für Verve. Vorbildlich editiert sind sie in der vor fünf Jahren erschienenen Box „The Complete Verve Tal Farlow Sessions“ erschien – wie immer bei Mosaic in ansprechender Gestaltung, mit prachtvollen Schwarz-Weiß-Fotos und einer Würdigung aus der berufenen Feder des jüngeren Kollegen Howard Alden. Dieser bezeichnet ihren Inhalt schlicht als den „Heiligen Gral der Jazzgitarre“. „Talmage Farlow“, ein auch auf DVD erhältlicher Dokumentarfilm von Lorenzo DeStefano ist sehenswert, wenn man die Bedeutung des „Octopus“ bereits über sein Schallplattenwerk erfasst hat. Tal Farlow hat die Geschichte der Jazz-Gitarre nicht so stark geprägt wie etwa Django Reinhardt, Charlie Christian, Wes Montgomery oder Jim Hall. Als kreativer Improvisator, stand er ihnen kaum nach. Marcus A. Woelfle |
|