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„Musik in Deutschland“ nennt sich ein ambitioniertes CD-Projekt von Deutscher Musikrat und RCA Red Seal. Auf 130 CDs wird die Entwicklung zeitgenössischer Musik in Deutschland hörbar gemacht. Sieben CDs davon sind dem Thema Jazz gewidmet und liegen erstmals in einer Sammel-Box vor. Endlich mal nichts Neues, denkt sich der eine oder andere da vielleicht, der das Überangebot an mittelmäßigen Neuproduktionen satt hat, sondern gute alte Jazzstandards. Beide Adjektive, gut und alt treffen zu, Standards aus dem Real Book spielen hier dagegen keine Rolle. Dieser Jazz ist fast durchgängig „Made in Germany“. Gerade deshalb werden die meisten Jazzkenner hier noch Entdeckungen machen können oder zumindest auf einen Nostalgie-Trip gehen. Denn wann hat man zuletzt Musik des Günter Fischer Quintetts oder des Friedhelm Schönfeld Trios gehört? Wann zuletzt die alten Platten des Modern Jazz Quintett Karlsruhe aus dem Schrank gezogen? Deutsche Jazzgeschichte wird in dieser Edition nicht auf wenige prominente Namen reduziert, sondern wissenschaftlich fundiert erzählt. Womit beginnen? Mit „Combo Jazz 1970 bis 2000“, mit „Solo und Duo 1970–2000“, mit „Free Jazz West“ oder „Free Jazz Ost“ oder mit „Big Bands 1950 bis 1970“? Ich empfehle einen Einstieg in diese deutsche Jazzgeschichte mit einem ungewöhnlichen Thema, nämlich „Jazz in Neuer Musik“. Dass Hans-Joachim Hespos 1968 angeregt durch die Spielweise von Peter Brötzmann ein Stück für diesen und Kammerensemble schrieb, wissen oft nicht einmal die Kenner dieses Genres. Brötzmann bestritt zwar noch die Uraufführung von „Dschen das erregende ist wie eine offene Schale für Saxophon und Streichorchester“, für die Plattenaufnahme dieses komplex notierten Freejazz zog der Komponist dann aber Karl-Heinz Wiberny heran. Ganz anders die Herangehensweise des Komponisten Peter Michael Hamel an den Jazz. Improvisation, Musik im Augenblick erleben und entstehen lassen, das waren die großen Herausforderungen für den Münchener Komponisten. „Samma Samadhi. Konzentrische Musik für solistische Improvisation, Stimmen und Orchester“ nannte er sein jazzinspiriertes Werk aus dem Jahr 1972. Die CD „Neue Musik im Jazz“ zeigt den entgegengesetzten Weg der Begegnung zwischen Komposition und Improvisation auf. Manfred Schoof, Wolfgang Dauner, Alexander von Schlippenbach, Ulrich Gumpert, Manfred Schulz, Jörg Widmoser, Michael Riessler, Gregor Hübner, aber auch Krzystof Penderecki mit seinen „Actions für Jazzensemble“ (1971) waren die Protagonisten eines deutschen „Third Stream“ zwischen Klassik und Jazz. Recht unterschiedlich die Herangehensweisen und auch die Ergebnisse, die auf dieser CD versammelt sind. Die Aufgabe dieser CD-Edition liegt nicht nur in der Befriedigung wissenschaftlicher oder nostalgischer Bedürfnisse, eigentlich ist sie „Pflichtlektüre“ für Jazz-Studenten, damit diese auch ein Jazz-Geschichtsbewusstsein neben Berklee und Birdland entwickeln können. Keine Regel ohne Ausnahme: Ob die Jungen, die heute über technische Fähigkeiten verfügen, die in den 50er-Jahren in Europa noch lange nicht Standard waren, allerdings noch von den deutschen Big Bands der Jahre 1950 bis 1970 lernen können, ist fraglich – wenn dann weniger musikalisch, sondern eher was die Themen Unterhaltung und Entertainment angeht. Kurt Edelhagen, Manfred Krug und die Modern Jazz Big Band, das Südfunktanzorchester, das Rundfunkorchester Leipzig, die Max Greger Big Band – hier wird nochmals vorgeführt, was in Deutschland Ost und West unter Unterhaltung firmierte – und wozu man das Tanzbein schwang. Dass die Linie im Jahre 1970 abreißt und somit die Arbeit der wenigen verbliebenen Rundfunkorchester nicht vorkommt, dass keine Titel von Ensembles wie Peter Herbolzheimers Rhythm and Brass Combination, dem United Jazz and Rock Ensemble, dem Globe Unity Orchestra oder der Bobby Burgess Big Band Explosion zu finden sind, ist ein Manko. Dennoch bietet die Edition „Musik in Deutschland“ erstmals eine differenzierte Übersicht über den Jazz „Made in Germany“. Andreas Kolb
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