Persische Musik und Jazz klingen ganz verschieden. Doch beide Musikkulturen
leben von der Improvisation, die folgerichtig für Cymin Samawatie
zum Bindeglied zwischen Orient und Okzident wird. Die deutsch-persische
Sängerin ist Namensgeberin der Berliner Formation Cyminology – mit
dabei sind der Pianist Benedikt Jahnel, Kontrabassist Ralf Schwarz und
Ketan Bhatti am Schlagzeug. Im Januar veröffentlichte das Quartett
sein Album „As Ney“, eine Synthese aus vokalem Kammerjazz
und persischer Lyrik. Antje Rößler traf Cymin Samawatie in
einem Café am Potsdamer Platz.
Jazzzeitung: Der Iran ist die Heimat Deiner Eltern. Was verbindet dich
mit diesem Land?
Cymin Samawatie: Meine Eltern kamen schon zu Schah-Zeiten zum Studieren
nach Deutschland. Ich wurde in Braunschweig geboren. Zuhause haben meine
Eltern in der Regel persisch miteinander und auch mit mir gesprochen.
Aber sobald ich in den Kindergarten kam, habe ich meistens auf Deutsch
geantwortet. Bis zu meinem 17. Lebensjahr fuhren wir jeden Sommer für
sechs Wochen zu Verwandten in den Iran.
Jazzzeitung: Wie lange lebst du schon in Berlin?
Samawatie: Seit sechs Jahren. Ich habe zuerst in Hannover
studiert und anschließend an der Berliner Universität der Künste.
Als ich in Berlin ankam, habe ich drei Jahre bei einer Tante gewohnt.
Jazzzeitung: Wo ist dir zum ersten Mal persische Lyrik begegnet ist?
Samawatie: Genau. als ich eines Tages heimkam, hörte meine Tante
Rezitationen von Gedichten Omar Chajjams, das ist ein Klassiker der persischen
Lyrik aus dem 12. Jahrhundert. Von der Sprachmelodie und vom Sound her
hat mich das sofort fasziniert.
Jazzzeitung: Das war also kein Gesang?
Samawatie: Die Gedichte wurden gesprochen. Dabei habe
ich den Sinn kaum verstanden. Das ist nämlich Altpersisch und von der heutigen Umgangssprache
ziemlich weit entfernt. Das war aber gerade das Faszinierende: Da gibt
es eine Sprache, die ich kaum verstehe, die mich aber trotzdem berührt.
Ich habe mir dann die Verse übersetzen lassen, und auch der Inhalt
hat mich begeistert. So begann ich, die Gedichte auswendig zu lernen.
Schließlich habe ich mir einen Lehrer für Altpersisch genommen,
weil ich alles ganz genau verstehen wollte.
Jazzzeitung: Diese Gedichte sind etwa 900 Jahre
alt, was hat dich daran so fasziniert?
Samawatie: Viele der Inhalte sind sehr offen und erlauben
einen gewissen Interpretationsspielraum. Sie haben auch eine spirituelle
Dimension;
tiefe Weisheiten werden ganz schlicht und einfach ausgesprochen: „Ich
weiß nicht, was hinter dem Vorhang ist, der alle Dinge verhüllt.
Wenn ich es herausfinde, werde ich nicht mehr auf dieser Welt sein.“
Jazzzeitung: Sind deine eigenen Texte von diesen
alten Versen inspiriert?
Samawatie: Auf jeden Fall. Wenn ich die-se klassischen
Gedichte lese und mich mit den Inhalten beschäftige, inspiriert mich das und beeinflusst
auch meine Gedanken. Zuerst schreibe ich meistens auf Englisch oder Deutsch.
Dann übersetze ich die Gedichte zusammen mit einem persischen Lehrer.
Meine Texte entstehen oft situationsbedingt.
Jazzzeitung: Was ist ein Beispiel für solch eine Situation?
Samawatie: Etwa „Delbasstegi“, von unserer neuen Platte.
Da geht es darum, dass ich manchmal die traurige und deprimierende Realität
vergessen möchte und stattdessen in die Schönheit des Lebens
eintauchen will. Das kennt wohl jeder. Man weiß, wie viel Leid
es auf der Welt gibt, aber manchmal möchte man einfach nicht draufschauen,
sondern sich auf die schönen Dinge konzentrieren. Dorthin möchte
ich die Leute gerne manchmal mitnehmen.
Jazzzeitung: Auch durch die Musik?
Samawatie: Absolut. Wir waren zum Beispiel gerade auf
Tour im Kaukasus. Da habe ich ein wunderschönes Kompliment erhalten. Zu einem Konzert
in Armenien kamen drei Frauen, die mir sagten, sie hätten durch
unsere Musik Frieden gefunden. Das hat mich sehr berührt.
Jazzzeitung: Die Faustformel, mit der man häufig Eure Musik beschreibt,
lautet: persische Lyrik plus Jazz. Ich finde das nicht ganz treffend.
Ist denn nicht auch die Melodik Deines Gesangs orientalisch beeinflusst?
Samawatie: Nicht bewusst. Ich bemühe mich, intuitiv Musik zu machen
und treffe nicht etwa eine Entscheidung für diese oder jene persische
Skala. Zumal ich mich da gar nicht auskenne. Persische Musiker haben
mir aber gesagt, dass sie dennoch bestimmte persische Skalen in meinem
Gesang erkennen. Ansonsten ist unsere Musik eher europäisch beeinflusst,
auch von der Klassik. Ich liebe zum Beispiel die Musik von Debussy und
Bartók.
Jazzzeitung: Sind Eure Stücke eher durchkomponiert, so wie in der
klassischen Musik?
Samawatie: Komposition und Improvisation greifen ineinander.
Die meisten Titel nehmen ihren Anfang, indem ich zuhause improvisiere
und das aufnehme.
Was mir am besten gefällt, das notiere ich und bearbeite es dann.
Dann kommt mein Entwurf in die Band, die wieder damit improvisiert. Auch
die Songs auf Platte sind Momentaufnahmen, die sich dann weiter entwickeln.
Jazzzeitung: Aber die Stücke wirken so, als wäre die Gestaltung
der Form für Dich ein wichtiger Aspekt. Manche der Songs sind dreiteilig,
und auf dem neuen Album gibt es ja sogar eine Trilogie.
Samawatie: Die Form ergibt sich meistens von selbst.
Allerdings wird mir das Schema Thema-Impro-Thema in der Tat manchmal
langweilig.
Dann denke ich: Es muss doch Möglichkeiten geben, das interessanter
zu gestalten. Ich sage dann zum Beispiel zu den anderen: Wir nehmen dieses
Thema, dann sehen wir, was passiert, und am Ende möchte ich gerne
dort landen. Da will ich den Mittelteil gar nicht vorgeben. Das Konzept
lässt also genug Raum für spontane Entwicklungen.
Jazzzeitung: Das Quartett ist nach Dir benannt.
Hast Du auch künstlerisch
den Hut auf?
Samawatie: Nein, wir entwickeln die Sachen gemeinsam.
Sicher erwecke ich mehr Aufmerksamkeit, einfach weil ich die Sängerin bin. Aber
besonders bei Live-Auftritten ziehe ich mich gerne bewusst zurück
und betrachte mich einfach als Bandmitglied. Ich sehe mich nicht als
Frontfrau. Jeder von uns bemüht sich, dem anderen zuzuhören
und den anderen gut klingen zu lassen. Dann kommt das beste Ergebnis
raus.
CD-Tipp
Cyminology: As Ney
ECM
www.cyminology.de
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