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Ein Kritiker schrieb einmal, Dave McKenna klinge, als hätte er 49 Finger, ein anderer bemerkte, er spiele, als gehöre zu jedem seiner Hände ein eigenes Gehirn. Und ein dritter bezeichnete das Resultat als „gehämmertes Gold“. Um ihrer Verblüffung über Dave McKenna Ausdruck zu verleihen, ließen sich die Kollegen einiges einfallen. Kein Wunder: Der Pianist war ein Ein-Mann-Orchester und ersetzte eine ganze Rhythmusgruppe. Und: Dave McKenna swingte, swingte, swingte. Trotz der Einzigartigkeit und der leichten Wiedererkennbarkeit seines Personalstils kann man Dave McKenna schwerlich als Innovator bezeichnen. Beschreiben ließe es sich eher als persönliche, moderne, stark erweiterter Variante des Stride-Pianos der 20er-, 30er-Jahre. Spielten die Altvorderen meist ein großes Stride, so McKenna meist ein kleines Stride, das heißt: Die Bassnote auf dem 1. und 3. Schlag ist nicht so weit weg vom Akkord auf 2 und 4. Wer ein kleines Stride spielt, muss nicht über die ganze Tastatur hüpfen. Durch diese Vereinfachung gewinnt der Pianist Zeit. Sie dient seiner Geschwindigkeit – kein zu unterschätzender Faktor, denn trotz seiner Vorliebe für den Jazz zwischen den beiden Weltkriegen hatte McKenna den Bebop in seinen Stil integriert – was ihn zu einem vielseitig verwendbaren Musiker machte. Das heißt: er überzeugte an der Seite von Phil Woods ebenso wie in Oldtime-Formationen, wobei seine Spielweise freilich jeweils den Umständen geschickt angepasst ist. Universell verwendbar und unverwechselbar war seine Technik der rollenden Bässe, die entfernt an Begleitfiguren des Boogie-Woogie erinnern mag, aber weniger von diesen pianistischen Wurzeln kommt. Es handelt sich vielmehr um eine Übertragung des für gewöhnlich von Kontrabassisten gepflegten Walking Bass auf die linke Hand des Pianisten. Ähnliches tun Organisten oft mit ihren Füßen. McKennas dritte häufige Begleitform neben Stride und Rollbass erinnerte eher an Erroll Garner, der es von den Gitarristen hatte: da kommt auf jedes Viertel ein Akkord. David McKenna wurde am 30. Mai 1930 in Woonsocket, Rhode Island, in eine musikalische Familie hineingeboren. Sein Vater, ein Postbote, spielte nebenberuflich Schlagzeug. Seine Schwestern sind Sängerinnen. Schon als Kind wurde er von seiner geigenden Mutter und Nonnen etwas im Klavierspiel unterwiesen. In Boston lernte er auch etwas vom Pianisten Sandy Sandiford, doch bestanden seine Lektionen in Jazz einzig in den Rundfunksendungen und Plattenaufnahmen, die sich der Knabe zu Gemüte führte. Weitgehend Autodidakt spielte er schon mit Zwölf bei Hochzeiten und anderen Gelegenheiten zum Tanze auf. Sein großes Idol und lebenslanger Lieblingspianist war Nat „King“ Cole, gefolgt von Teddy Wilson und Art Tatum. Er hörte auch Platten von Bigband-Musik. Mit 15 war er schon Mitglied der Musikergewerkschaft. 1947 musizierte er in der Gegend von Boston in einer Gruppe des Altisten Boots Mussulli, mit dem er 1949 zu Charlie Ventura kam. Es passt ganz gut, dass Dave McKenna sein erstes Solo bei ihm aufgenommen hat, einem Musiker, der seine Hand zur Moderne ausstreckte, dabei aber letztlich ein Exponent der guten alten Zeit, der Swing-Ära, war, auch wenn er sich mit jungen Musikern umgab. Dave McKennas nächster Brötchengeber der Jahre 1950/51 war eine ähnlich Generationen überbrückende Persönlichkeit: Woody Herman. McKennas Musikerkarriere wurde jäh unterbrochen, als Uncle Sam ihn in die Armee steckte, und das just zur Zeit des Korea-Krieges. Der Musiker durfte in der Armee als Koch dienen. Als er 1953 wieder zum Musizieren zurückkehrte, nahm ihn wieder Charlie Ventura für 18 Monate unter seine Fittiche. Danach hat Dave McKenna in den 50ern mit Größen wie Gene Krupa, Stan Getz, Zoot Sims (Tipp: „Down Home“ von 1960), Al Cohn und Urbie Green musiziert. Besonders kongenial war die Zusammenarbeit mit Ruby Braff, der wie er die schwierige Leistung vollbrachte, als Nachgeborener eine ganz unverwechselbare Spielweise im Rahmen der Tradition zu entwickeln. Von 1958 bis 1971 spielte er häufig beim Kornettisten Bobby Hackett. Mitte der 60er galt er schon als richtiger Dixie-Musiker, gehörte er doch zur Haus-Band von Eddie Condon’s Club in New York. Dort spielten sie, wie Hackett es einmal formulierte, „Whiskeyland Jazz“. 1966 zog Dave McKenna von New York nach South Yarmouth auf Cape Cod und trat in den 70ern meist als Solo-Pianist in Supper Clubs und Bars auf. Damit war er zwar ab vom Schuss der Jazz-Szene, konnte aber sein Solospiel kultivieren, das nun immer häufiger auf Alben wie „Left Handed Complement“ oder „Giant Strides“ dokumentiert wurde, die dann doch zu seiner Anerkennung als bedeutender Solist führten. Der Hüne mit den großen kräftigen, aber auch sensiblen Händen gehörte vielleicht zu den wenigen Jazzpianisten, die am besten klangen, wenn sie ganz alleine musizierten. Er musizierte als hätte er gleich einem indischen Gott mehrere Hände, doch Schwieriges klang von ihm gespielt wie das Leichteste von der Welt. Typisch für seine Solo-Auftritte waren ellenlange thematische Medleys, bei denen er nicht etwa nur die Kompositionen eines Komponisten kombinierte, sondern Stücke, bei denen das Wort „Moon“ oder das Wort „You“ im Titel vorkommt. Wegen seines enzyklopädischen Gedächtnisses besaß er ein unerschöpfliches Repertoire. Als im späten 20. Jahrhundert eine Schar junger Musiker herangereift war, die wie Scott Hamilton, Warren Vaché und Harry Allen wieder in traditionellen Stilen spielten, blühte McKenna in ihrem Kreis auf. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Dave McKenna ab 2002 nicht mehr öffentlich Klavier spielen. Am 18. Oktober 2008 ist der laut Whitney Balliett „swingendste Pianist aller Zeiten“ im pennsylvanischen State College von uns gegangen. Dave McKenna, trotz seiner beherzten Spielweise ein scheuer, bescheidener Mann, hat sich selbst unterschätzt: „Ich bin eher ein Songspieler als ein Jazzspieler. Ich bin ein Saloonspieler, ein Cocktailspieler. Ich mag mich nicht so ausdehnen wie andere Jazzpianisten das tun.“ George Shearing hatte einmal von ihm gesagt: „Ich denke, Dave McKenna ist derzeit der beste Pianist. Es ist der Wahnsinn, wie seine Linien fließen. Er leidet nicht darunter, Solo zu spielen. Er ist der vollständigste Pianist.“ Marcus A. Woelfle |
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