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Jazzzeitung

2009/01  ::: seite 13-14

rezensionen

 

Inhalt 2009/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / R.I.P. / Carter, Ron / Abschied von Klaus Weiss / Dave McKenna


TITEL - Über das Lächeln
Bühnenperformance und Publikum


DOSSIER
- Jazz in NRW

Berichte
Dutch Jazz Meeting 2008 // Klaus Doldinger zu seiner neuen Doppel-CD im Interview // Jazz-Herbst in Dresden // Bilanz: Münsters Jazzfestival // Jazz Orchester Regensburg mit Jones, Lewis & Brookmeyer // Südtirol Jazzfestival Alto Adige


Portraits

Der Saxophonist Charly Augschöll // Cymin Samawatie und ihr Quartett Cyminology // Pianist Lorenz Kellhuber // Joshua Redman // Das Berliner Quartett Triband // Pianistin Antje Uhle


Jazz heute und Education
Der Verein „Jazz am Rhein“: Vorbildfunktion für die Szene // Kurt Maas und seine Engegement für den Jazz // Klingender Nachruf auf einen großen Trompeter: Freddie Hubbards Solo über „Little One“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Rezensionen CDs

Keith Jarrett Trio
Yesterdays

ECM 2060 6025 177 4447 (9)

Das Jarrett Trio Album „Yesterdays“ ist die mittlerweile vierte offizielle Veröffentlichung aus dem für die Gruppe äußerst erfolgreichen Jahr 2001. Aufgenommen in Tokyo startet der Konzertmitschnitt mit Horace Silvers „Strollin’“, im weiteren Verlauf wird dann unter anderem eine rasante Version von „Shaw Nuff“ geboten oder die Ballade „You’ve Changed“ einzigartig interpretiert. Titel, die unter normalen Umständen angestaubt daherkommen, entfalten durch Jarretts Improvisationen immer wieder neue Facetten. Seine „Standards“ sind lediglich Skelette, die er zu einem Körper formt – Themen, die durch Jarretts Bearbeitung zu etwas komplett Neuem werden. Seit über 30 Jahren spielen die drei Musiker nun zusammen und seit mehr als 25 Jahren widmen sie sich „Standards“. Diese Kontinuität, fast blindes Verstehen untereinander, verbunden mit hoher Intellektualität, Spiritualität und Spielfreude beschert dem Hörer einzigartige musikalische Momente. Mehr als ein Glücksfall für Mr. Jarrett, solch kongeniale Mitspieler für seine Bühne gefunden zu haben, die der Aura trotzen, zudem gleichberechtigte Partner und unverzichtbare Bereicherung in der Zusammenarbeit sind. Die absolute ECM-CD-Besonderheit ist der Bonustrack „Stella By Starlight“ – eine Soundcheckversion, die demonstriert, auch ohne Publikum widmen sich die Musiker mit ganzem Herzen nur der Musik. „Yesterdays“ präsentiert das Keith Jarrett Trio auf musikalisch praktisch vollkommenen Standards-Niveau: weder Spiel noch Titel hinterlassen da einen „gestrigen“ Eindruck.
Thomas J. Krebs

Joachim Kühn, Michael Wollny
Live at Schloss Elmau

ACT

Hier treffen zwei Pianistengenerationen aufeinander: Der 1944 geborene Joachim Kühn war einer der ersten freien Musiker in Europa und gilt bis heute als Ikone des Avantgarde-Jazz. Michael Wollny hingegen ist gerade mal dreißig und zählt zu den Senkrechtstartern dieses Jahrtausends. Im vergangenen September trafen sich die beiden zu einem gemeinsamen Auftritt auf Schloss Elmau. Nun liegt die Live-Aufnahme vor, Dokument eines beeindruckend intensiven Duospiels. Äußerst wachsam und feinnervig gehen die beiden Pianisten aufeinander ein. Mal verschlingen sich die Stimmen in innigen, zärtlichen Dialogen, dann wieder spornen sich die Musiker zu heftig aufbegehrenden Ekstasen an. Ausgangspunkt der Improvisationen ist Kühns Harmoniekonzept, das auf verminderten und erweiterten Intervallen basiert. Es erlaubt Wohlklang und Gesanglichkeit abseits stereotyper Harmoniefloskeln. Das Herzstück der Platte stellt Wollnys Komposition „Hexentanz“ dar, deren Vorläufer bereits auf seinem gleichnamigen Solo-Debüt von 2007 erschien. Nun sind es zwei Pianisten, die organisch durch diese Szenenfolge gleiten. Da werden Bilder im Kopf geweckt; vom Tanz ums Hexenfeuer oder Flugreisen auf Besen. Je ein Stück spielen die Pianisten allein. Wollny gleitet in der lyrischen Improvisation „Elmau“ bruchlos durch Barock-Anklänge, aufgetürmte romantische Harmonien und impressionistische Passagen. Kühn ist nüchterner zugange; in seiner Paraphrase einer Bach-Chaconne lässt er ein transparentes Stimmengeflecht entstehen.
Antje Rößler

Pär Lammers Trio
Hinten rechts, der Regen

Traumton CD 907402

Natürlich gab es viele Klaviertrios in der Geschichte des Jazz und vermutlich wird es sie auch immer geben. Das ist nichts, was man zu bedauern hätte, sondern ein Grund zur Freude. Auch das eine der dürftigsten Erkenntnisse, die man aus dem Album des Pär Lammers Trio ziehen könnte.
Eine andere Perspektive wäre: Die Platte geht ab wie ein Rakete, sie stockt wie Mozarella, sie saugt sich klanglich fest wie ein Ohrwurm an der Schnecke des Ohres. Es handelt sich um so frische Musik, so selbstverständliches Musizieren, so begründungslos in der musikalischen Architektur gleichwohl mit einem tiefreichenden Fundament und rasant komponiert wie realisiert. Das Trio macht einen Erstaunen.
Denn das Neue hier ist der Ton, der ja das Aroma der Musik zugleich zum Ursprung wie Resultat hat. Das öffnet von vorneweg die Ohren für diesen musikalischen Durchzug. Dabei ist die musikalische Substanz ja an sich gar nicht mal so ungewöhnlich. Ostinati über die volle Hamburger Breitseite reichen sich die Hand mit gegenläufigen Rhythmen, Tempowechsel (die aber gerne verknüpft sind Strukturwechseln der Empfindungen).
Das Ganze mixt sich beim Pär Lammers Trio aber so kunstreich wie ungezwungen und schlägt auf diese Weise eine Brücke zwischen Pop und Jazz. (Von allem das Beste nur.)
Natürlich gab es viele Klaviertrios in der Geschichte des Jazz und ganz sicher wird es sie auch immer geben.
Martin Hufner

Thomas Siffling Trio
Cruisen

JAZZ’n’ARTS Records 4109

Er ist inzwischen bekannt für Konzeptalben: feierte doch Thomas Siffling schon mit der CD „Kitchen Music“ große Erfolge mit der Idee, Jazzmusik und Kochrezepte so kongenial wie originell miteinander zu verbinden. Auf seinem neuen Album „Cruisen“ geht es diesmal um die andere seiner beiden ganz offen propagierten Liebhabereien: Autos. Und nicht nur schnell sollten sie sein, sondern auch schick und luxuriös! Anders gesagt, spielen Lebensart und Lebenslust auf „Cruisen“ eine gravierende Rolle. Schön verpackt kommt das Ganze daher; im Booklet finden sich dazu passende Ausflugsrouten mit Haltepunkt-Vorschlägen für Landschaftsreize wie die Deutsche Alleenstraße, die Mille Miglia oder die Wachau. Und wer in Zeiten des internationalen Finanzkollaps so richtig des Luxus frönen will, sollte eine Tour (am besten im Cabrio) entlang einer dieser Routen schon mal für den Sommer 2009 einplanen. Auch die hierfür geeignete Musik kredenzt uns Herr Siffling mit seinem Trio und den Gästen Xavier Fischer (Wurlitzer) und Veronika Harcsa (voc, bekannt durch die ungarische Band Erik Sumo): Lounge Jazz – oder „Nujazz mit Tiefgang“, wie Thomas Siffling selbst es bezeichnet. Ergänzt durch zwei Remixe bietet „Cruisen“ genau die richtige Musik zum Autofahren oder Chillen, zum Weintrinken oder den Urlaubsgenuss. Kurz, es handelt sich um geglätteten Jazz, der aber durchaus auch anspruchsvoll ist. Ansonsten: Musik für coole Männer und Frauen, die noch (Autofahrer-)Träume haben.
Carina Prange

radio.string.quartet.vienna & Klaus Paier: Radiotree
ACT 9473-2

Unisono im rasanten Balkanstil streben das radio.string.quartet.vienna & Klaus Paier zum „FlyUp“ den „Radiotree“. Ein exquisites Kammermusikprojekt, das zeitgenössische Ressourcen in einem singulären Stil absorbiert. So den „Tango Nuevo“ von Astor Piazzolla für eine „Musical Journey In Three Movements“, wobei Klaus Paier das Akkordeon-Thema über einen markanten Rhythmus der Streicher über ein fast sentimentales Pizzicato-Intermezzo zur Moderne wendet. Ähnlich auch „Prélude & Circulo“, nur dass hier typische Glissandi die Bandoneon-Improvisationen antreiben. Die Suiten für Cello solo von J.S. Bach könnten Pate für „So The Story Runs...“ gewesen sein, allerdings chromatisch in die Zukunft gerichtet. Nicht so dominant wie in den eigenen Kompositionen ist die Stimmführung von Klaus Paier bei Referenzen zum Jazzmaestro Joe Zawinul, dessen „In A Silent Way“ durch einen sphärischen Violinpart nun an eine indische Raga erinnert. So hat Bernie Mallinger auch „Cannonball“ als Synthese aus klassischen Spieltechniken und „dirty“ Jazzintonation arrangiert. Schließlich ist noch der „Hosent‘raga“, ein Derwisch-Tanz mit harmonischen Finessen, zu erwähnen, ein Memorial für den österreichischen Vibraphonisten und musikalischen Grenzgänger Werner Pirchner. Die Äste des „Radiotree“ wachsen eben in viele Richtungen und bleiben dennoch mit einer Stamm-Idee verbunden.
Hans-Dieter Grünefeld

Ulrich Gumpert Workshop Band
Suites

Jazzwerkstatt jw 054

Tatsächlich: 36 Jahre ist es her, als Ulrich Gumpert mit seiner Workshop Band für das Label AMIGA in den Berliner Kammerspielen des Deutschen Theaters seine Suite „Aus teutschen Landen“ einspielte und damit dem europäischen Free Jazz ganz eigene Impulse verabreichte. Indem er deutsche Volkslieder für ein 13-köpfiges Orchester neu arrangierte, wagte er sich auf ein vollkommen neues Feld. Folklore galt hierzulande, anders als anderswo, als problematisch, als historisch kontaminiert, gehörte in die Niederungen schunkelnder Trivialunterhaltung und basta. Eben nicht. Gumpert führte vor, dass es auch anders geht, dass es doch ein richtiges Leben im falschen gab, indem er eine Individualistenhorde disziplinierte und von der Startrampe des Volkslieds abspringen ließ. Quicklebendig ging es zu, als so die Free-Jazz-Erfahrungen an die Leine gelegt wurden. Freiheit war nicht nur die von, sondern auch die für etwas. Und überhaupt hatte europaweit die sogenannte Kaputtspielphase begonnen, sich im Kreis zu drehen. Ein frischer Wind war das und ist es noch. Denn auch nach vollkommen gewendeten Vorzeichen erweist sich Pianist Gumpert als Zeremonienmeister einer neuen Jazzbohème. Die hat wieder ein vitales Zentrum in Berlin. Also gibt es mehr als einfach noch eine CD von dort, wenn Gumpert ein Oktett mit sechs Bläsern aus 30- bis 40-Jährigen rekrutiert und mit ihm altes Material einer Tiefenprüfung unterzieht.
Ulrich Steinmetzger

Marc Copland: Night Whispers –
New York Trio Recordings III

Pirouet

Es ist eigentlich nichts Besonderes, dass ein Pianist eine Serie von Trio-Alben veröffentlicht. Bei Marc Coplands New York Trio Recordings, dessen dritter Teil nun erscheint, liegt die Sache etwas anders. Copland wechselt nämlich für jede Aufnahme ganz gezielt das Drum-Bass-Tandem. Diesmal hat er sich den Bassisten Drew Gress und den Schlagzeuger Bill Stewart zur Seite geholt. Die beiden erweitern vor allem die Klangfarbenpalette; sie besitzen gleichsam ein orchestrales Empfinden, und außerdem einen Sinn für strukturelle Abläufe, was sich etwa in der ätherischen Komposition „Like It Never Was“ zeigt, die aus der Feder des Bassisten stammt. Dass sich Copland als ein Nachfolger von Bill Evans oder Herbie Hancock versteht, ist nicht zu überhören. Sein harmonischer Einfallsreichtum ist ganz erstaunlich. Das Augenmerk liegt auf Klangfarben, Harmonien und Texturen. Lustvoll folgt man den feinen Akkordverästelungen im Davis-Klassiker „So What“. Seinen flexiblen Anschlag bezeugt der Pianist etwa mit der Solo-Interpretation einer Ballade. Dass dieses Trio nicht ständig aufeinander hockt, erweist sich als Vorteil, denn die Aufmerksamkeit füreinander ist umso wacher und gespannter. Die drei verwickeln sich in einen subtilen kammermusikalischen Wortwechsel. Mit diesem facettenreichen Album beweist Copland, dass er zu Recht als einer der wichtigsten Jazzpianisten dieses Jahrzehnts gilt.
Antje Rößler

Daniel Humair/Joachim Kühn/Tony Malaby: Full Contact
Bee Jazz 020

Nur in „Full Contact“ kann Musik gelingen, wenn sie von spontanen Impulsen gesteuert wird. Das wissen auch Daniel Humair (dr), Joachim Kühn (p) und Tony Malaby (ts), deshalb haben sie nicht alles dem Zufall oder dem mentalen Selbstvertrauen überlassen. Mindestens minimale Steuerzeichen wie etwa einen fordernden Basisakkord haben sie verabredet, um ihre emotionalen Wellen in Beschleunigungen und Abschwächungen zu gestalten. So erreichen sie zunächst betrübt in unteren Klavierregistern eine „Oasis“, deren Atmosphäre sich allmählich durch anstachelnde Übergänge aufklärt. Das motorische Thema zu „Ghislène“ wird mit einem rhythmischen Treibriemen von Piano und Schlagzeug in einen pointillistischen Stil geführt, in das sich kontrastiv ein elegisches Saxsolo einfügt. An harmolodischen Ranken hangelt sich das Sax auch im ruhigen „Salinas“ von Joachim Kühn, während es in der kollektiv improvisierten „Effervescent Springbox“ ziemlich nervöse Dialoge mit dem Klavier hat. Disziplin ist ein weiteres Merkmal dieses Albums, wenn sich das hektische Trioknäuel des „Buried Head“ zu einem vagen Riff formt und jeweils in ruhigen Solopassagen beruhigt. Quasi als Regisseur gleicht Daniel Humair auf einem moderaten Energielevel die manchmal heftigen Temperamente von Joachim Kühn und Tony Malaby aus, sodass sich in „Full Contact“ bewusst klar strukturierter Free Jazz verwirklicht.
Hans-Dieter Grünefeld

Chet Baker/Wolfgang Lackerschmid
Artists Favor

Hipjazz 004

Nachdem sich der deutsche Vibraphonist Wolfgang Lackerschmid und der US-amerikanische Trompeter Chet Baker 1979 begegnet waren, bildeten sie ein nun schon legendäres Duo. Anfang und Ende ihrer Kooperation bis 1988, dem Todesjahr von Chet Baker, sind exemplarisch auf „Artists Favor“ kompiliert. Schon ihre erste gemeinsame Improvisation über den Standard „You Don‘t Know What Love Is“ zeigt, dass sie eine geradezu telepathische Fähigkeit der Kommunikation hatten. Der Satinklang der Trompete passt wunderbar zu den weich fließenden melodischen Linien des Vibraphons. Vokale Qualitäten hat „Five Years Ago“, wenn sich gehauchte Trompetentöne von Chet Baker in „singende“ Vibraphonmotive einfädeln. Solch atmosphärische Meditationen sind auch typisch für „Dessert“, allerdings mit punktuellen Gongs in fernöstliche Regionen gerückt. Im Übrigen bleibt der Sound introvertiert, denn Chet Baker bevorzugt die mittleren und tiefen Register auch in den Aufnahmen aus dem Jahre 1987, an denen etwa Günter Lenz (b) und Edir dos Santos (dr) beteiligt waren. Der Stil ist jedoch variabler: ein eleganter Latinswing in „Volta Trais“ und „Try It Dry“ als Shuffle, bei dem es eine virtuose Duo-Improvisation von Chet Baker mit Nicola Stylo (fl) gibt. So ist „Artists Favor“ – die meisten Kompositionen sind von Wolfgang Lackerschmid – eine willkommene Wiederveröffentlichung eines außergewöhnlichen Duos.
Hans-Dieter Grünefeld

nuBox/DJ Illvibe/hr-Bigband/Ed Partyka. Limbic System Files
NIN/Enja 1908-2

Sunday Night Orchestra
Overcast – The Music Of Ed Partyka

Mons Records 874428

Regenerativ kann Tradition durch Anpassung an Erkenntnisse der Gegenwart sein. So wenn sie „Overcast“ (bedeckt) ist von flimmernden Tremoli gedämpfter Trompeten, wie Ed Partyka seine Komposition für das Sunday Night Orchestra arrangiert hat. Diese Klangdämmerung hellt die erdige Stimme von Efrat Alony allmählich auf, indem sie die zirkulierenden Deklamationen ihres Gesangs an ein melancholisches Sax-Solo weiterreicht. Gespreizte Dissonanzen bilden den harmonischen Schirm zum „Opium For The Masses“, ein Marx-Zitat, das über nervöse Piano-Arpeggios zu einem Accelerando-Krimi und schließlich einem mechanischen Tango ad absurdum geführt wird. Die kreative Tristesse dieser Musik und ihre implizite Religionskritik kulminiert dann, wenn Efrat Alony mit sardonischem Humor und diabolischem Gesang „Get Happy“ angesichts des „Jüngsten Gerichts“ fordert. Nicht in der konventionellen Besetzung, aber im Klangspektrum und im Stil hat Ed Partyka sein Big-Band-Konzept angepasst.Radikaler sind die Extensionen, die Ed Partyka für das Projekt „Limbic System Files“, soll bedeuten: am Rand zeitgenössischer Jazzavantgarde vorbereitet hat. Auf der Basis von Kompositionen von Peter Eisold (b) und Alois Kott (dr & electronics), auch als nuBox bekannt, hat er witzige Big-Bandtronics integriert. Tekknoloops und skurrile Akkordsätze schichtet Ed Partyka bei „Zimperk‘s Hunt“ zu brodelnden Swingereignissen. Massive, grelle Brassblöcke reiben sich am „Limbus“ mit Vokalinjektionen oder mischen „Privilegde“ funky Motive mit einem morbiden Trompetensolo, dazwischen: turntable-scratches von DJ Illvibe und jähe electronic spots.
Hans-Dieter Grünefeld

Woody Herman
rec. 1962-64

Mosaic MS-031 (3 CDs)

Von 1936 bis kurz vor seinem Tod 1987 leitete Woody Herman seine Big Band, die zu den besten des Jazz gehörte – immer mit sehr viel swing, einer unbändigen Spielfreude, einfallsreichen Arrangements und vielen großen Solisten, die sehr gerne bei ihm waren, denn er war als Bandleader ungemein beliebt. Immer wieder gelang es ihm, mit jungen Musikern einen neuen Gipfel zu erklimmen, so auch Anfang bis Mitte der 60er-Jahre. Schlüsselfiguren waren damals Pianist Nat Pierce, der auch viele Arrangements schrieb, Tenorsaxophonist Sal Nistico, in Ton und drive an Johnny Griffin erinnernd, Trompeter Bill Chase, Posaunist Phil Wilson und Jake Hanna am Schlagzeug, der das Orchester zusammenhielt und vorwärts trieb wie in den 40er-Jahren sein Vorgänger Dave Tough. Von den vielen Höhepunkten unter den 44 Titeln sei hier nur „Tunin‘ in‘“ hervorgehoben (das gewissermaßen um den Kammerton a kreist), das fetzige „Hallelujah Time“ (mit einem Tenor-Battle) und das raffinierte „After you‘ve gone“ (ein Bill-Holman-Arrangement). Im Booklet werden übrigens sämtliche Arrangeure genannt (immer noch keine Selbstverständlichkeit). Und der Sound ist sehr gut.
Joe Viera

Joshua Redman
Compass

Nonesuch  510844-2

Kleine Formationen stellen höchste Ansprüche an einen Musiker und seine Band. So führt Joshua Redman nun mit der CD „Compass“ das weiter, was er bereits 2007 auf seinem Album „Back East“ begann. In verschiedenen Trio-, Quartett- und Doppel-Trio-Besetzungen lotet er Klangperspektiven und -räume aus. Die Aufnahmen entstanden innerhalb weniger Tage in den New Yorker Avatar Studios in hörbar entspannter Atmosphäre. Mit von der Partie sind Larry Grenadier und Reuben Rogers am Bass, sowie Brian Blade und Gregory Hutchinson an den Drums. Ob swingende Anklänge oder pulsierend treibende Rhythmen, über denen Red-
mans Saxophon schwebt, stets herrscht eine gewisse Unruhe, getrieben von der Suche nach eigenem Klang. Die Stücke fließen kontinuierlich, einen besonderen Reiz dabei hat neben Trio-Stücken die Kombination von Zwillings-Drums und/oder zwei Bässen in einem Song. Dabei zupft Grenadier links vom Zentrum seinen Bass, während Hutchinson auf der rechten Seite agiert und Blade einem Echo gleich auf der linken Seite wieder antwortet, während Redman beseelt in sein Saxophon bläst. Das Ganze kommt nicht groß oder wuchtig daher, sondern eher schwebend, lebhaft und doch gleichzeitig bestimmt. „Compass“ ist vielleicht eines der persönlichsten Alben, die Redman bisher veröffentlicht hat. Auf jeden Fall ist der Titel absolut treffend gewählt – Redman weiß genau, was er will und orientiert sich ohne Umschweife zielgerichtet auf einen ungemein wichtigen Punkt: sich selbst und sein innerstes Wesen.
Thomas J. Krebs

Bernd Rinser
Southern Swanp Impressions

Driftwood/Fenn Music

Roots Music verbindet man mit New Orleans, mit Nashville, mit Chicago. Jedenfalls nicht mit Marktheidenfeld. Dort aber lebt und wirkt der Gitarrist und Sänger Bernd Rinser, der mit bislang drei nahezu im Ein-Mann-Betrieb eingespielten CDs die Szene bereits aufhorchen ließ. Nun hat er sein bislang reifstes Werk vorgelegt. Es ist erneut die reine Lehre, die Rinser hier predigt. Sein vom Bassisten Uwe Knüppel und einer Schar exzellenter Gastmusiker begleiteter – auch aufnahmetechnisch sehr ansprechender – Mix aus Delta-Blues, Country und Hillbilly-Rock klingt wie von Südstaaten-Veteranen erschaffen. Da scheppern die Stahlsaiten authentisch wie vor einem dreiviertel Jahrhundert, da stimmt die Bluesharp in manchen Klagegesang ein, und auch die Vermählung der Stromgitarre mit dem Bottleneck feiert fröhliche Urstände („Love Is“). Dass die Texte sich um die ewigen Bluesthemen wie die Flüchtigkeit von Liebe oder Geld drehen, machen schon die Titel wie „Management Blues“, „To Learn The Ways Of Love“ oder „Wolfwoman“ klar. Leider wird die Verehrung der Tradition mitunter übertrieben: Manchmal atmen die Songs nicht nur den Geist von Johnny Cash, Warren Zevon und vor allem dem frühen Willy De Ville, sondern Rinser versucht auch, originaler als original zu sein. Da säuft dann die Dobro im Klischee ab, da beginnt vieles im Schema zu erstarren und vor allem die Manierismen von Rinsers Gesang – viel zu dick aufgetragene Betonungen, ein grausig rollendes R – zu nerven. Weswegen das Ganze letztlich leider eine Sache für die eingefleischten Fans bleiben dürfte.
Oliver Hochkeppel

Bernd Kullack Quartett
Der Geiger zählt

NRW Records 2008

Ein Klassik-Geiger, der sich mal eben im Jazz versucht? Von wegen! Wenn Bernd Kullack den Bogen über sein Instrument sausen lässt, dann kommt genug von dem auf, worauf nur das englische Wort „Sound“ passt. Dieses Violinspiel strotzt vor Sinnlichkeit, phrasiert in sattestem Bluesfeeling. Keine Frage – der 1966 geborene Recklinghäuser hat die Sache im Blut. So bestechend die künstlerische Ernsthaftigkeit dieser Produktion, so augenzwinkend ist jener Humor, der aus den acht Titeln des Albums spricht: „Einzelsurium“, „Kraulkappe“ oder „Herbstgesicht“ nannte Kullack die Kompositionen aus eigener Feder oder von seinem langjährigen Weggefährten Dieter Greifenberg. Doch was verquer anmuten mag, kommt in Wahrheit umso mehr „straigt ahead“ zur Sache: Lupenrein-stilsicher wird so manches Genre in die weitläufigen Band-Arrangements integriert: lässiger Barjazz, nostalgischer Gypsy Swing oder rockige Ingredienzen und funkige Grooves – alldies mündet in einen rasanten Mainstream-Jazz unserer Tage, der an die hellen Seiten des Lebens appelliert. Kullack zieht und dehnt seine Töne, nimmt es locker mit Dieter Greifenbergs Pianophrasen auf und strotzt der impulsiven Rhythmusgruppe von Wolfgang Engelbertz (Bass) und Wim de Vries (Drums) souverän. Zwei prominente Gäste konnte dies nur animieren, in die hier zelebrierte Spielfreude mit einzusteigen: Barbara Dennerleins Hammond-Orgel verbreitet im Stück „Halunkenrunkel“ ihr ganzes warmes Timbre, und auch der in New York lebende Vibrafonist Stefan Bauer veredelt zwei Nummern des Albums.
Stefan Pieper

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